"Zuerst das Land und dann die Partei"
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende, Kurt Beck, hat die Parteien in Schleswig-Holstein aufgerufen, das Lagerdenken zu überwinden. Eine große Koalition sei für ihn aber nur eine Notlösung, weil Regierung und Opposition eine gewisse Balance haben müssten. Er äußerte sich weiterhin zu den bevorstehenden Wahlen in NRW und den Ergebnissen des Jobgipfels.
Am vergangenen Donnerstag gab es ja einen in der Form sicher überraschenden echten Wahl-Krimi in Schleswig-Holstein. Vier Wahlgänge, viermal ist Heide Simonis nicht wiedergewählt worden zur Ministerpräsidentin. Es gibt jetzt erst mal gar keine neue Regierung, die alte amtiert. Erst im April soll dann eine irgendwie geartete neue Regierung zustande kommen. Wie soll die denn, wie kann die denn aussehen?
Beck: Ich will natürlich jetzt nicht den Schleswig-Holsteinern dreinreden…
Das klingt sehr nach einer Phrase.
Beck: Nein, das ist keine Phrase. Das ist eine Geschichte, die ich mir selber auch verbitten würde, wenn von außen ein Schlaumeier kommt und jetzt übers Radio sagt, was hätte der denn vorgestern machen müssen oder noch vorher. Es geht jetzt einfach darum - die Verpflichtung hat man - und das mag sich wie eine Phrase anhören, ist aber ein Grundsatz: zuerst das Land und dann die Partei.
Heißt das im Klartext, nach dem Rückzug von Frau Simonis: die Große Koalition ist die Lösung?
Beck: Ich glaube, dass auch eine Person, die gute Erfolge hatte, am Ende ihre persönlichen Interessen und ihre persönlichen Entwicklungen hinter die Interessen des Landes zurückstellen muss. Das ist leichter aus Rheinland-Pfalz nach Schleswig-Holstein gesagt, als man selber handeln würde, das weiß ich wohl. Dennoch, man muss sich immer wieder selber, glaube ich, in diese Pflicht nehmen.
Hätten Sie denn nach so einem Wahlergebnis wie in Schleswig-Holstein überhaupt diese Art von Konstellation, offenbar ganz und gar ohne Alternativen zu prüfen, angestrebt - also Rot-Grün plus Duldung SSW, der dänischen Minderheit, mit einer Stimme Mehrheit? Ich meine, es war ja schon gewagt oder vielleicht sogar auch leichtsinnig?
Beck: Jetzt sieht das auf jeden Fall rückblickend leichtsinnig aus. Aber zu dem Zeitpunkt als es anstand hätte die alternative Konstellation, außer der Großer Koalition, auch maximal nur eine Stimme Mehrheit gehabt hätte, also insoweit ist das schon relativ. Ich glaube, wenn da nicht ein Mensch dabei wäre, der bei Abstimmungen in der Fraktionen und auf dem Parteitag mit stimmt und dann hinterher im geheimen Kämmerchen das Kreuzchen anders macht, wenn also dieser Verrat, diese Charakterlosigkeit nicht da wäre, dann wäre das durchaus ein Experiment gewesen, das geht. Das ist ja wohlfeil aber dennoch wahr: Adenauer hat die Bundesrepublik mit einer Stimme Mehrheit regiert und so schlecht war es nicht.
Aber dennoch ist es vielleicht auch ein Zeichen, dass Rot-Grün wackelt und als Modell nicht mehr Bestand hat, sondern der von Ihnen ja oft so favorisierten Großen Koalition oder zumindest anderen Konstellationen den Weg bereitet – Sie selbst haben Rot-Gelb in Rehinland-Pfalz.
Beck: Ich habe Rot-Grün nie für ein Modell gehalten. Ich habe mich auch nie so verhalten. Allerdings gebe ich auch nicht viel auf Große Koalitionen. Das ist, glaube ich, eher eine Not-Konstruktion in einer Demokratie, denn Regierung und Opposition, das muss auch jeweils Gewicht haben. Da muss aus meiner Sicht eine gewisse Balance da sein, aber ich bin sehr dafür, dass wir aus diesem Lager-Denken rauskommen und dass unterschiedliche Konstellationen in Koalitionen in der Republik möglich sind.
Aber für die anstehenden Landtagswahlen in NRW ist es ein fatales Zeichen.
Beck: Für NRW macht es die Situation nicht leichter…
Eine einzige rot-grüne Landesregierung gibt es ja nur noch, die in NRW.
Beck: Das muss auch nicht gegen sie sprechen. Ich führe auch die einzige rot-gelbe Landesregierung und ich finde, es spricht nicht gegen uns. Das würde ich nicht als Argument gelten lassen, aber dass dieses Scheitern in Schleswig-Holstein nicht gerade Ermutigung ist, das räume ich ausdrücklich ein.
Jetzt haben Sie Donnerstagabend hier so eine Art Krisensitzung in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin – wo wir im Moment miteinander reden - gemacht, mit den SPD-Ministerpräsidenten. Zu was hat man sich denn da gemeinsam aufgeschwungen, außer zu bedauerndem Mitleid?
Beck: Also es war keine Krisensitzung, sondern es war das Treffen…
…aber eine Sitzung aufgrund einer Krise.
Beck: …eine Sitzung, die ich immer am Vorabend eines Bundesrates leite. Immer. Also insoweit war es keine Sondersituation. Wir haben uns schwerpunktmäßig mit der Vorbereitung des Bundesrates befasst - business as usual …
Damit haben Sie aber bestimmt nicht angefangen, das glauben wir nicht.
Beck: Doch, ich habe damit angefangen, aber das hing ja auch damit zusammen, dass der Bundeskanzler erst etwas später dazu kommen konnte.
Das Wichtige zum Schluss - und dafür länger.
Beck: Na, ja, gut, lang schon, ja, aber es war schon so, dass wir natürlich in erster Linie seinen Bericht über den Jobgipfel mit der Union entgegengenommen haben, dass wir mit dem Kanzler sehr sorgfältig jetzt auch die Umsetzungschancen dieses Jobgipfel-Gesprächs besprochen haben.
Dazu gleich noch, aber sagen Sie wirklich noch einen Satz, wie man mit so einer ja auch sicherlich für Sie überraschenden Situation in Kiel im Gespräch zwischen den 'Landesfürsten' umgegangen ist.
Beck: Ja, es war schon ein Stück weit Betroffenheit da, weil jeder, der da am Tisch sitzt, ist in einer Verantwortungsposition, so dass man sich denkt, wie würde es Dir denn jetzt selber fühlen, wenn es dir so gegangen wäre wie Heide Simonis. Das ist wohl wahr. Aber dennoch, wir haben uns nicht sehr lange damit aufgehalten, weil, verschütteter Milch nachzuweinen, das ist, meine ich sinnlos…
Nein, aber man muss doch jetzt entscheiden, wie es weiter geht.
Beck: Nein, das müssen wir nicht entscheiden. Das entscheidet in der Tat Schleswig-Holstein, wie es weiter geht…
Und die fragen niemanden?
Beck: Die fragen nach Rat, aber sie entscheiden selber. Ich glaube, dass sie selber wissen, dass man nicht die Leute jetzt einfach wieder in Neuwahlen jagen kann. Man kann ja nicht sagen, wir Politiker bringen nichts fertig, die einen nicht und die anderen nicht, und dann muss man wieder wählen.
Aber wenn die SPD dabei gewinnen könnte, würde man vielleicht auch darüber eher nachdenken.
Beck: Na, ja, das glaube ich weniger. Ich glaube auch, dass die CDU keine überzogenen Neigungen hat zu Neuwahlen, weil man schon weiß, das würde eine Wahlbeteiligung wahrscheinlich geben, die der Demokratie insgesamt nicht gut täte.
Herr Beck, diese Woche ist ja sehr viel geredet worden. Es gab eine Rede des Bundespräsidenten; der Kanzler hat die Regierungserklärung gehalten; die Opposition hat erwidert und dann gab es das besondere Treffen am Donnerstag im Kanzleramt, den Jobgipfel. Was ist denn außer den Reden wirklich dabei heraus gekommen? Wenn man die Reaktion der Wirtschaft in den Zeitungen verfolgt in den Tagen nach dem Gipfel, dann hat man doch den Eindruck, die Richtung stimmt zwar, aber alle sagen: das reicht noch lange nicht.
Beck: Das ist die typische Meckerei in Deutschland. Die hängt mir zum Hals raus bis zum geht nicht mehr. Es wird für einzelne Interessensgruppen nie reichen. Wenn wir Null-Steuern hätten in Deutschland, dann würden Leute sagen, 'wieso kriegt man nicht noch was raus?', also das ist wirklich eher ein Teil des Krankheitsbildes denn eine angemessene Reaktion.
Aber was ist denn das Habhafte?
Beck: Das Habhafte ist, dass man sich über weitere Schritte im Bereich der Steuerentlastung verständigt hat, wiewohl wir schon sechzig Milliarden entlastet haben. Das ist ein richtiger Ansatz bei der Körperschaftssteuer, weil die nominalen Sätze hoch sind. Man muss eine Gegenfinanzierung machen, weil die öffentlichen Hände ja nichts mehr in der Kasse haben – ich überzeichne jetzt – aber es ist äußerst eng. Daneben soll über Erbschaftsteuer gesprochen werden, um Betriebsübergänge von einer Generation auf die Nächste zu erleichtern, auch ein reales Problem der mittelständischen Wirtschaft. Es soll über eine Entlastung der Personengesellschaften und insbesondere des Handwerksbereichs, der kleinen, mittleren Unternehmen kommen. Es wird darüber hinaus Bürokratie-Abbau geben. Es wird milliardenschwere zusätzliche Investitionen der öffentlichen Hand geben. Es wird ein mit 250 Millionen bestücktes Programm zu Lohnkostenzuschüssen für über 58-Jährige geben.
Was mich überrascht hat bei dieser Liste ist, dass Sie als Erstes die Steuersenkung genannt haben, denn in einem Interview mit der 'Leipziger Volkszeitung' vor nicht all zu langer Zeit haben Sie gesagt, die Steuern seien nicht das Problem in Deutschland.
Beck: Ich habe gesagt, wir sollten keine Geschichte mit heißer Nadel stricken und die Steuern sind auch nicht das zentrale Problem, denn wir hatten eine gesamtwirtschaftliche Steuerlast noch vor drei, vier, fünf Jahren, die war drei Prozent höher als jetzt und wir hatten damals zwei Prozent Wirtschaftswachstum. Wir hatten im letzten Jahr noch 20,25 Prozent Steuerlast, das ist unendlich viel Geld für die öffentlichen Haushalte, für Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungen etc. und wir haben gerade mal 1,6 Prozent Wachstum erreicht. Also diese Korrelation, das eine runter, das andere funktioniert besser, ist sicher nicht in Ordnung. Aber punktuell, das habe ich auch immer deutlich gemacht, punktuell Verbesserungen vorzunehmen, ohne das Steueraufkommen in der Gesamtheit weiter zu senken, im Niveau weiter zu senken, indem man die Steuerschlupflöcher, die man zumacht, das Niveau zu halten, das habe ich nie verneint. Es ist jetzt allerdings auch wichtig, dass wir nicht mit heißer Nadel stricken, das muss funktionieren.
Aber es ist doch so, dass wir eben noch mit der Gesamtsteuerlast von Kapitalgesellschaften in Deutschland in der europäischen Spitze ganz oben stehen, jedenfalls hat das Mannheimer Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung das errechnet.
Beck: Es ist zwar richtig, was Sie sagen, es sind noch 37,5 Prozent Unternehmenssteuern drin, wenn man Solidaritätszuschlag und alles dazu rechnet, deshalb sage ich auch, diese Sätze müssen runter. Aber es sind nominelle Sätze, keine realen.
Aber wir liegen vor dieser Steuersenkung in Deutschland mit durchschnittlich 36,1 Prozent real auch an der Spitze.
Beck: Nein, nein, das sind nominelle Sätze…
… das Institut nennt sie real.
Beck: Das bestreite ich eben, dass es wirklich real so ist. Nein, ich glaube schon, dass wir mit den nominalen Sätzen, also der theoretischen Höhe der Steuersätze runter müssen, weil natürlich gerade aus dem Ausland auf die nominalen Sätze stärker gesehen wird. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, gerade im Bereich der Körperschaftssteuer, zu gestalten. Die großen Unternehmen in Deutschland zahlen im Schnitt zwischen acht und zwölf Prozent Steuern.
Das müsste doch auch in Ihrem Interesse sein, dass man da auch die kleineren und mittleren Betriebe stärkt, denn die haben in der Regel nicht die Instrumentarien und steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, um sich da runter zu rechnen.
Beck: Die Kleinen und Mittleren werden ja jetzt bedacht. Man muss auch sehen, es ist noch nie ein so niedriger Steuersatz für Personengesellschaften da gewesen wie jetzt. Es hat es noch nie gegeben vorher, dass man beispielsweise seine Gewerbesteuer, die an die Kommune fließt, mit der Einkommensteuerlast verrechnen kann, und da ist jetzt beabsichtigt…
In anderen europäischen Ländern gibt es allerdings gar keine Gewerbesteuer, wie in Österreich zum Beispiel.
Beck: Ja, aber in anderen europäischen Ländern ist es – jetzt will ich mal von Österreich absehen –auch nicht so, dass wir eine solch gute Infrastruktur erwarten. Wer nach Ungarn oder nach Polen geht oder noch weiter in den Osten in Europa, der findet nicht annähernd eine solche Infrastruktur vor. Der findet eben nicht Behörden vor, die funktionieren, sondern da wird über dem Tisch bezahlt und unter dem Tisch noch mal bezahlt, sonst kriegt man nichts hin. Also, Deutschland ist auch, was seine Voraussetzung für die Unternehmen angeht, durchaus in der Spitzengruppe weltweit.
Die Lohnzusatzkosten werden die durch den Jobgipfel oder das, was dort beschlossen wurde, merklich sinken?
Beck: Da sind ja Entscheidungen getroffen. Die Krankenversicherung ist jetzt endlich mal dran die Beitragssenkungen vorzunehmen, die sie vornehmen müssten, denn die sind riesig entlastet worden - um vier Milliarden im letzten Jahr.
Die Arbeitslosenversicherung soll aber nicht abgesenkt werden.
Beck: Die Arbeitslosenversicherung abzusenken, halte ich auch für falsch.
Warum?
Beck: Weil da, nach dem Unionsvorschlag, elf Milliarden ausfallen würden. Das heißt: insbesondere in den neuen Ländern, dass wir die ganzen Maßnahmen, die wir ergreifen, nicht mehr finanzieren könnten. Und wir müssen die jungen Leute unter 25 endlich in Arbeit bringen. Wir haben gesehen, wie viele da in der Sozialhilfe waren. Denen müssen wir natürlich etwas anbieten; die müssen wir in Jobs bringen; die müssen wir in Maßnahmen bringen. Die müssen zum Teil wieder lernen, überhaupt morgens aufzustehen. Und wenn ich das Geld dafür zusammenstreiche – gilt auch für ältere Arbeitnehmer – dann haben wir eine kontraproduktive Bewegung. Ich glaube, die Union schlägt das nicht zuletzt auch deshalb vor, weil man natürlich taktisch, wenn das noch mal 300.000 Arbeitslose mehr sind, ein noch größereres Katastrophen-Szenario malen lässt. Ich glaube, dass es wichtiger ist, solche Maßnahmen, sehr gezielte Maßnahmen, einzusetzen als jetzt zu sagen, wir senken da um einen Prozent.
Wenn Sie sich die Liste angucken - wir haben ja eben noch mal kurz aufgezählt, was beschlossen wurde beim Jobgipfel am Donnerstag - ist ja eigentlich nichts darauf was nicht auch der Bundespräsident in seiner Rede, Horst Köhler, hätte sagen können oder sogar gesagt hat. Stört Sie das eigentlich? Wo ist das Sozialdemokratische dabei?
Beck: Also ich will jetzt nicht die Rede des Herrn Bundespräsidenten bewerten. Ich glaube, dass, wenn er die Absicht gehabt hätte, das ganze Feld der Interessenslagen der deutschen Bevölkerung zu beleuchten, dann hätte er eine Reihe von Elementen seiner Rede zugefügt müssen.
Und welche Elemente sind es bei der Ergebnisliste des Jobgipfels, die das erfüllen?
Beck: Der Jobgipfel hat sich gezielt bezogen auf das, was aktuell und relativ kurzfristig machbar ist. Ich glaube, dass das, was der Herr Bundespräsident gesagt hat, von der Richtung her, eine Linie ist, die allerdings auch nicht überraschend war. Sie ist diejenige, die momentan in Deutschland allgegenwärtig ist, die eher von CDU und FDP in Anspruch genommen wird, was ich auch für ein Problem halte. Ich will deshalb nicht umgekehrt mit den gleichen Vorgehensweisen antworten. Der Bundespräsident ist unser aller Bundespräsident und ich habe das, was Frau Merkel und Herr Stoiber im Bundestag gemacht haben, für völlig unangemessen gehalten, nämlich den Bundespräsidenten parteipolitisch zu vereinnahmen.
Aber wäre es denn für SPD-Wähler oder die Partei nicht auch gut gewesen, wenn so etwas wie Erbschaftsteuer, oder Vermögensteuer bei Ihnen auch ein Thema wird?
Beck: Es ist ja ein Thema. Es ist ja ein Thema, dass der Bundeskanzler vorgeschlagen hat.
Ja, aber eher Entlastung bei der Erbschaftsteuer, da, wo das Geld im Betrieb stecken bleibt, doch nicht etwa sie für ererbtes Vermögen zu erhöhen - was ja auch eine denkbare Variante wäre.
Beck: Na ja, ich glaube nicht, dass wir in einer Situation sind, dass wir jetzt Erbschaftssteuern insgesamt erhöhen sollten. Es gibt ja diese Untersuchungen schon seit sehr langer Zeit. Wenn Sie das Eigenheim der Arbeitnehmerfamilie, die sich das vom Mund abgespart hat, freistellen wollen und Sie gehen mal in den Großraum Berlin oder in den Großraum München oder in den Rhein-Main-Raum, dann müssten Sie Freibeträge dort wählen, das am Ende überhaupt keine Erbschaftssteuer mehr herauskäme.
Herr Beck, Grund, warum die berühmte 'Föderalismus-Kommission' schlussendlich im Dezember letzten Jahres gescheitert ist, waren die Differenzen, wie viel der Bund bei Bildungsfragen mit reinreden können soll, reinregieren können soll in die Fragen, die die Länder angehen und wie viel nicht. Das ist ein Ergebnis dieser ganzen Reden der Staatsmänner und –frauen diese Woche: Alle wollten es gern, jetzt wird die Föderalismus-Kommission ihre Arbeit wieder aufnehmen. Zum Stichwort Bildung: Jetzt fragen wir doch mal einen Ministerpräsidenten - also einen Lobbyisten der Länder-Interessen sozusagen, der aber gleichzeitig Vize-Parteichef der im Bund regierenden größeren Koalitionspartei ist: wie viel Bund wäre denn Ihrer Meinung nach sinnvoll bei der Bildung, wenn man den einzelnen Bildungs-Institutionen Hochschulen, Schulen, sehr viel Autonomie gäbe? Wozu brauchen wir dann die Länder noch?
Beck: Der Bund war bisher für die so genannte Bildungsplanung mit zuständig. Die hat er nie wahrgenommen. Es gibt keine Bildungsplanung der Bundesregierungen, seit vielen Jahr nicht mehr. Also es geht darum, dass wir realistisch die tatsächlichen Notwendigkeiten sehen. Ich habe ja einen Vorschlag gemacht im Dezember, der auch intensiv beraten worden ist, leider nicht getragen hat, weil es am Ende ja darauf hinaus lief, dass die Bundesseite immer noch mehr wollte und dass der hessische Ministerpräsident Koch und einige andere das mehr parteitaktisch gesehen haben und diese Auseinandersetzung benutzt haben, um alles oder nichts zu spielen.
Also waren beide Seiten zu inflexibel letztlich?
Beck: Es waren beide Seiten inflexibel. Ich habe das auch damals schon gesagt, aber es ist dann am Ende alles oder nichts gespielt worden, ein Junktim daraus gemacht worden, obwohl wir 90 Prozent aller anderen Fragen ja eigentlich weitestgehend oder schon ganz geregelt hatten. Ich werde wieder einen Vorschlag machen, ich bin dabei den abzugleichen. Wir müssen uns da bewegen, wir müssen diese Bildungsfrage regeln…
Wie sieht Ihr Vorschlag aus?
Beck: Ohne dass jetzt schon im Detail öffentlich zu machen - der Bund muss sicher bei den Fragen mitreden können, die die Einbindung der Bildungspolitik in die europäische Entwicklung aber auch was die wirtschaftspolitischen, die sozial- und kulturpolitischen Gesamtentwicklungen in Deutschland angeht. Der Bund muss zum Zweiten, aus meiner Sicht, für große Forschungseinrichtungen, die man nicht 16 Mal braucht, sondern ein oder zweimal in der Republik, die Zuständigkeit haben und für alles andere sind die Länder zuständig. Die können es auch besser als der Bund.
Das Gespräch führten Annette Riedel und Anke Becker-Wenzel.
Kurt Beck: Geboren am 5. Februar 1949. 1963 Nach Abschluss der Volksschule Berufsausbildung zum Elektromechaniker Fachrichtung Elektronik. 1969 Funkelektroniker bei der Bundeswehr. 1969 Mitglied in der ÖTV. 1972 Eintritt in die SPD. 1972 Realschulabschluss im 2. Bildungsweg. 1972 Freigestellter Personalrats- und Bezirkspersonalratsvorsitzender. Seit 18.05.1979 Mitglied des Landtages Rheinland-Pfalz.1985-1991 Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. 1989-1994 Ortsbürgermeister in Steinfeld. 1991-1994 Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Seit 04.12.1993 Vorsitzender der SPD Rheinland-Pfalz. Seit 26.10.1994 Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz. Seit 26.10.1994 Vorsitzender der Rundfunkkommission der Ministerpräsidenten der Länder. Seit 01.01.1999 Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Seit 27.08.1999 Vorsitzender des Verwaltungsrates des ZDF.
Beck: Ich will natürlich jetzt nicht den Schleswig-Holsteinern dreinreden…
Das klingt sehr nach einer Phrase.
Beck: Nein, das ist keine Phrase. Das ist eine Geschichte, die ich mir selber auch verbitten würde, wenn von außen ein Schlaumeier kommt und jetzt übers Radio sagt, was hätte der denn vorgestern machen müssen oder noch vorher. Es geht jetzt einfach darum - die Verpflichtung hat man - und das mag sich wie eine Phrase anhören, ist aber ein Grundsatz: zuerst das Land und dann die Partei.
Heißt das im Klartext, nach dem Rückzug von Frau Simonis: die Große Koalition ist die Lösung?
Beck: Ich glaube, dass auch eine Person, die gute Erfolge hatte, am Ende ihre persönlichen Interessen und ihre persönlichen Entwicklungen hinter die Interessen des Landes zurückstellen muss. Das ist leichter aus Rheinland-Pfalz nach Schleswig-Holstein gesagt, als man selber handeln würde, das weiß ich wohl. Dennoch, man muss sich immer wieder selber, glaube ich, in diese Pflicht nehmen.
Hätten Sie denn nach so einem Wahlergebnis wie in Schleswig-Holstein überhaupt diese Art von Konstellation, offenbar ganz und gar ohne Alternativen zu prüfen, angestrebt - also Rot-Grün plus Duldung SSW, der dänischen Minderheit, mit einer Stimme Mehrheit? Ich meine, es war ja schon gewagt oder vielleicht sogar auch leichtsinnig?
Beck: Jetzt sieht das auf jeden Fall rückblickend leichtsinnig aus. Aber zu dem Zeitpunkt als es anstand hätte die alternative Konstellation, außer der Großer Koalition, auch maximal nur eine Stimme Mehrheit gehabt hätte, also insoweit ist das schon relativ. Ich glaube, wenn da nicht ein Mensch dabei wäre, der bei Abstimmungen in der Fraktionen und auf dem Parteitag mit stimmt und dann hinterher im geheimen Kämmerchen das Kreuzchen anders macht, wenn also dieser Verrat, diese Charakterlosigkeit nicht da wäre, dann wäre das durchaus ein Experiment gewesen, das geht. Das ist ja wohlfeil aber dennoch wahr: Adenauer hat die Bundesrepublik mit einer Stimme Mehrheit regiert und so schlecht war es nicht.
Aber dennoch ist es vielleicht auch ein Zeichen, dass Rot-Grün wackelt und als Modell nicht mehr Bestand hat, sondern der von Ihnen ja oft so favorisierten Großen Koalition oder zumindest anderen Konstellationen den Weg bereitet – Sie selbst haben Rot-Gelb in Rehinland-Pfalz.
Beck: Ich habe Rot-Grün nie für ein Modell gehalten. Ich habe mich auch nie so verhalten. Allerdings gebe ich auch nicht viel auf Große Koalitionen. Das ist, glaube ich, eher eine Not-Konstruktion in einer Demokratie, denn Regierung und Opposition, das muss auch jeweils Gewicht haben. Da muss aus meiner Sicht eine gewisse Balance da sein, aber ich bin sehr dafür, dass wir aus diesem Lager-Denken rauskommen und dass unterschiedliche Konstellationen in Koalitionen in der Republik möglich sind.
Aber für die anstehenden Landtagswahlen in NRW ist es ein fatales Zeichen.
Beck: Für NRW macht es die Situation nicht leichter…
Eine einzige rot-grüne Landesregierung gibt es ja nur noch, die in NRW.
Beck: Das muss auch nicht gegen sie sprechen. Ich führe auch die einzige rot-gelbe Landesregierung und ich finde, es spricht nicht gegen uns. Das würde ich nicht als Argument gelten lassen, aber dass dieses Scheitern in Schleswig-Holstein nicht gerade Ermutigung ist, das räume ich ausdrücklich ein.
Jetzt haben Sie Donnerstagabend hier so eine Art Krisensitzung in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin – wo wir im Moment miteinander reden - gemacht, mit den SPD-Ministerpräsidenten. Zu was hat man sich denn da gemeinsam aufgeschwungen, außer zu bedauerndem Mitleid?
Beck: Also es war keine Krisensitzung, sondern es war das Treffen…
…aber eine Sitzung aufgrund einer Krise.
Beck: …eine Sitzung, die ich immer am Vorabend eines Bundesrates leite. Immer. Also insoweit war es keine Sondersituation. Wir haben uns schwerpunktmäßig mit der Vorbereitung des Bundesrates befasst - business as usual …
Damit haben Sie aber bestimmt nicht angefangen, das glauben wir nicht.
Beck: Doch, ich habe damit angefangen, aber das hing ja auch damit zusammen, dass der Bundeskanzler erst etwas später dazu kommen konnte.
Das Wichtige zum Schluss - und dafür länger.
Beck: Na, ja, gut, lang schon, ja, aber es war schon so, dass wir natürlich in erster Linie seinen Bericht über den Jobgipfel mit der Union entgegengenommen haben, dass wir mit dem Kanzler sehr sorgfältig jetzt auch die Umsetzungschancen dieses Jobgipfel-Gesprächs besprochen haben.
Dazu gleich noch, aber sagen Sie wirklich noch einen Satz, wie man mit so einer ja auch sicherlich für Sie überraschenden Situation in Kiel im Gespräch zwischen den 'Landesfürsten' umgegangen ist.
Beck: Ja, es war schon ein Stück weit Betroffenheit da, weil jeder, der da am Tisch sitzt, ist in einer Verantwortungsposition, so dass man sich denkt, wie würde es Dir denn jetzt selber fühlen, wenn es dir so gegangen wäre wie Heide Simonis. Das ist wohl wahr. Aber dennoch, wir haben uns nicht sehr lange damit aufgehalten, weil, verschütteter Milch nachzuweinen, das ist, meine ich sinnlos…
Nein, aber man muss doch jetzt entscheiden, wie es weiter geht.
Beck: Nein, das müssen wir nicht entscheiden. Das entscheidet in der Tat Schleswig-Holstein, wie es weiter geht…
Und die fragen niemanden?
Beck: Die fragen nach Rat, aber sie entscheiden selber. Ich glaube, dass sie selber wissen, dass man nicht die Leute jetzt einfach wieder in Neuwahlen jagen kann. Man kann ja nicht sagen, wir Politiker bringen nichts fertig, die einen nicht und die anderen nicht, und dann muss man wieder wählen.
Aber wenn die SPD dabei gewinnen könnte, würde man vielleicht auch darüber eher nachdenken.
Beck: Na, ja, das glaube ich weniger. Ich glaube auch, dass die CDU keine überzogenen Neigungen hat zu Neuwahlen, weil man schon weiß, das würde eine Wahlbeteiligung wahrscheinlich geben, die der Demokratie insgesamt nicht gut täte.
Herr Beck, diese Woche ist ja sehr viel geredet worden. Es gab eine Rede des Bundespräsidenten; der Kanzler hat die Regierungserklärung gehalten; die Opposition hat erwidert und dann gab es das besondere Treffen am Donnerstag im Kanzleramt, den Jobgipfel. Was ist denn außer den Reden wirklich dabei heraus gekommen? Wenn man die Reaktion der Wirtschaft in den Zeitungen verfolgt in den Tagen nach dem Gipfel, dann hat man doch den Eindruck, die Richtung stimmt zwar, aber alle sagen: das reicht noch lange nicht.
Beck: Das ist die typische Meckerei in Deutschland. Die hängt mir zum Hals raus bis zum geht nicht mehr. Es wird für einzelne Interessensgruppen nie reichen. Wenn wir Null-Steuern hätten in Deutschland, dann würden Leute sagen, 'wieso kriegt man nicht noch was raus?', also das ist wirklich eher ein Teil des Krankheitsbildes denn eine angemessene Reaktion.
Aber was ist denn das Habhafte?
Beck: Das Habhafte ist, dass man sich über weitere Schritte im Bereich der Steuerentlastung verständigt hat, wiewohl wir schon sechzig Milliarden entlastet haben. Das ist ein richtiger Ansatz bei der Körperschaftssteuer, weil die nominalen Sätze hoch sind. Man muss eine Gegenfinanzierung machen, weil die öffentlichen Hände ja nichts mehr in der Kasse haben – ich überzeichne jetzt – aber es ist äußerst eng. Daneben soll über Erbschaftsteuer gesprochen werden, um Betriebsübergänge von einer Generation auf die Nächste zu erleichtern, auch ein reales Problem der mittelständischen Wirtschaft. Es soll über eine Entlastung der Personengesellschaften und insbesondere des Handwerksbereichs, der kleinen, mittleren Unternehmen kommen. Es wird darüber hinaus Bürokratie-Abbau geben. Es wird milliardenschwere zusätzliche Investitionen der öffentlichen Hand geben. Es wird ein mit 250 Millionen bestücktes Programm zu Lohnkostenzuschüssen für über 58-Jährige geben.
Was mich überrascht hat bei dieser Liste ist, dass Sie als Erstes die Steuersenkung genannt haben, denn in einem Interview mit der 'Leipziger Volkszeitung' vor nicht all zu langer Zeit haben Sie gesagt, die Steuern seien nicht das Problem in Deutschland.
Beck: Ich habe gesagt, wir sollten keine Geschichte mit heißer Nadel stricken und die Steuern sind auch nicht das zentrale Problem, denn wir hatten eine gesamtwirtschaftliche Steuerlast noch vor drei, vier, fünf Jahren, die war drei Prozent höher als jetzt und wir hatten damals zwei Prozent Wirtschaftswachstum. Wir hatten im letzten Jahr noch 20,25 Prozent Steuerlast, das ist unendlich viel Geld für die öffentlichen Haushalte, für Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungen etc. und wir haben gerade mal 1,6 Prozent Wachstum erreicht. Also diese Korrelation, das eine runter, das andere funktioniert besser, ist sicher nicht in Ordnung. Aber punktuell, das habe ich auch immer deutlich gemacht, punktuell Verbesserungen vorzunehmen, ohne das Steueraufkommen in der Gesamtheit weiter zu senken, im Niveau weiter zu senken, indem man die Steuerschlupflöcher, die man zumacht, das Niveau zu halten, das habe ich nie verneint. Es ist jetzt allerdings auch wichtig, dass wir nicht mit heißer Nadel stricken, das muss funktionieren.
Aber es ist doch so, dass wir eben noch mit der Gesamtsteuerlast von Kapitalgesellschaften in Deutschland in der europäischen Spitze ganz oben stehen, jedenfalls hat das Mannheimer Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung das errechnet.
Beck: Es ist zwar richtig, was Sie sagen, es sind noch 37,5 Prozent Unternehmenssteuern drin, wenn man Solidaritätszuschlag und alles dazu rechnet, deshalb sage ich auch, diese Sätze müssen runter. Aber es sind nominelle Sätze, keine realen.
Aber wir liegen vor dieser Steuersenkung in Deutschland mit durchschnittlich 36,1 Prozent real auch an der Spitze.
Beck: Nein, nein, das sind nominelle Sätze…
… das Institut nennt sie real.
Beck: Das bestreite ich eben, dass es wirklich real so ist. Nein, ich glaube schon, dass wir mit den nominalen Sätzen, also der theoretischen Höhe der Steuersätze runter müssen, weil natürlich gerade aus dem Ausland auf die nominalen Sätze stärker gesehen wird. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, gerade im Bereich der Körperschaftssteuer, zu gestalten. Die großen Unternehmen in Deutschland zahlen im Schnitt zwischen acht und zwölf Prozent Steuern.
Das müsste doch auch in Ihrem Interesse sein, dass man da auch die kleineren und mittleren Betriebe stärkt, denn die haben in der Regel nicht die Instrumentarien und steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, um sich da runter zu rechnen.
Beck: Die Kleinen und Mittleren werden ja jetzt bedacht. Man muss auch sehen, es ist noch nie ein so niedriger Steuersatz für Personengesellschaften da gewesen wie jetzt. Es hat es noch nie gegeben vorher, dass man beispielsweise seine Gewerbesteuer, die an die Kommune fließt, mit der Einkommensteuerlast verrechnen kann, und da ist jetzt beabsichtigt…
In anderen europäischen Ländern gibt es allerdings gar keine Gewerbesteuer, wie in Österreich zum Beispiel.
Beck: Ja, aber in anderen europäischen Ländern ist es – jetzt will ich mal von Österreich absehen –auch nicht so, dass wir eine solch gute Infrastruktur erwarten. Wer nach Ungarn oder nach Polen geht oder noch weiter in den Osten in Europa, der findet nicht annähernd eine solche Infrastruktur vor. Der findet eben nicht Behörden vor, die funktionieren, sondern da wird über dem Tisch bezahlt und unter dem Tisch noch mal bezahlt, sonst kriegt man nichts hin. Also, Deutschland ist auch, was seine Voraussetzung für die Unternehmen angeht, durchaus in der Spitzengruppe weltweit.
Die Lohnzusatzkosten werden die durch den Jobgipfel oder das, was dort beschlossen wurde, merklich sinken?
Beck: Da sind ja Entscheidungen getroffen. Die Krankenversicherung ist jetzt endlich mal dran die Beitragssenkungen vorzunehmen, die sie vornehmen müssten, denn die sind riesig entlastet worden - um vier Milliarden im letzten Jahr.
Die Arbeitslosenversicherung soll aber nicht abgesenkt werden.
Beck: Die Arbeitslosenversicherung abzusenken, halte ich auch für falsch.
Warum?
Beck: Weil da, nach dem Unionsvorschlag, elf Milliarden ausfallen würden. Das heißt: insbesondere in den neuen Ländern, dass wir die ganzen Maßnahmen, die wir ergreifen, nicht mehr finanzieren könnten. Und wir müssen die jungen Leute unter 25 endlich in Arbeit bringen. Wir haben gesehen, wie viele da in der Sozialhilfe waren. Denen müssen wir natürlich etwas anbieten; die müssen wir in Jobs bringen; die müssen wir in Maßnahmen bringen. Die müssen zum Teil wieder lernen, überhaupt morgens aufzustehen. Und wenn ich das Geld dafür zusammenstreiche – gilt auch für ältere Arbeitnehmer – dann haben wir eine kontraproduktive Bewegung. Ich glaube, die Union schlägt das nicht zuletzt auch deshalb vor, weil man natürlich taktisch, wenn das noch mal 300.000 Arbeitslose mehr sind, ein noch größereres Katastrophen-Szenario malen lässt. Ich glaube, dass es wichtiger ist, solche Maßnahmen, sehr gezielte Maßnahmen, einzusetzen als jetzt zu sagen, wir senken da um einen Prozent.
Wenn Sie sich die Liste angucken - wir haben ja eben noch mal kurz aufgezählt, was beschlossen wurde beim Jobgipfel am Donnerstag - ist ja eigentlich nichts darauf was nicht auch der Bundespräsident in seiner Rede, Horst Köhler, hätte sagen können oder sogar gesagt hat. Stört Sie das eigentlich? Wo ist das Sozialdemokratische dabei?
Beck: Also ich will jetzt nicht die Rede des Herrn Bundespräsidenten bewerten. Ich glaube, dass, wenn er die Absicht gehabt hätte, das ganze Feld der Interessenslagen der deutschen Bevölkerung zu beleuchten, dann hätte er eine Reihe von Elementen seiner Rede zugefügt müssen.
Und welche Elemente sind es bei der Ergebnisliste des Jobgipfels, die das erfüllen?
Beck: Der Jobgipfel hat sich gezielt bezogen auf das, was aktuell und relativ kurzfristig machbar ist. Ich glaube, dass das, was der Herr Bundespräsident gesagt hat, von der Richtung her, eine Linie ist, die allerdings auch nicht überraschend war. Sie ist diejenige, die momentan in Deutschland allgegenwärtig ist, die eher von CDU und FDP in Anspruch genommen wird, was ich auch für ein Problem halte. Ich will deshalb nicht umgekehrt mit den gleichen Vorgehensweisen antworten. Der Bundespräsident ist unser aller Bundespräsident und ich habe das, was Frau Merkel und Herr Stoiber im Bundestag gemacht haben, für völlig unangemessen gehalten, nämlich den Bundespräsidenten parteipolitisch zu vereinnahmen.
Aber wäre es denn für SPD-Wähler oder die Partei nicht auch gut gewesen, wenn so etwas wie Erbschaftsteuer, oder Vermögensteuer bei Ihnen auch ein Thema wird?
Beck: Es ist ja ein Thema. Es ist ja ein Thema, dass der Bundeskanzler vorgeschlagen hat.
Ja, aber eher Entlastung bei der Erbschaftsteuer, da, wo das Geld im Betrieb stecken bleibt, doch nicht etwa sie für ererbtes Vermögen zu erhöhen - was ja auch eine denkbare Variante wäre.
Beck: Na ja, ich glaube nicht, dass wir in einer Situation sind, dass wir jetzt Erbschaftssteuern insgesamt erhöhen sollten. Es gibt ja diese Untersuchungen schon seit sehr langer Zeit. Wenn Sie das Eigenheim der Arbeitnehmerfamilie, die sich das vom Mund abgespart hat, freistellen wollen und Sie gehen mal in den Großraum Berlin oder in den Großraum München oder in den Rhein-Main-Raum, dann müssten Sie Freibeträge dort wählen, das am Ende überhaupt keine Erbschaftssteuer mehr herauskäme.
Herr Beck, Grund, warum die berühmte 'Föderalismus-Kommission' schlussendlich im Dezember letzten Jahres gescheitert ist, waren die Differenzen, wie viel der Bund bei Bildungsfragen mit reinreden können soll, reinregieren können soll in die Fragen, die die Länder angehen und wie viel nicht. Das ist ein Ergebnis dieser ganzen Reden der Staatsmänner und –frauen diese Woche: Alle wollten es gern, jetzt wird die Föderalismus-Kommission ihre Arbeit wieder aufnehmen. Zum Stichwort Bildung: Jetzt fragen wir doch mal einen Ministerpräsidenten - also einen Lobbyisten der Länder-Interessen sozusagen, der aber gleichzeitig Vize-Parteichef der im Bund regierenden größeren Koalitionspartei ist: wie viel Bund wäre denn Ihrer Meinung nach sinnvoll bei der Bildung, wenn man den einzelnen Bildungs-Institutionen Hochschulen, Schulen, sehr viel Autonomie gäbe? Wozu brauchen wir dann die Länder noch?
Beck: Der Bund war bisher für die so genannte Bildungsplanung mit zuständig. Die hat er nie wahrgenommen. Es gibt keine Bildungsplanung der Bundesregierungen, seit vielen Jahr nicht mehr. Also es geht darum, dass wir realistisch die tatsächlichen Notwendigkeiten sehen. Ich habe ja einen Vorschlag gemacht im Dezember, der auch intensiv beraten worden ist, leider nicht getragen hat, weil es am Ende ja darauf hinaus lief, dass die Bundesseite immer noch mehr wollte und dass der hessische Ministerpräsident Koch und einige andere das mehr parteitaktisch gesehen haben und diese Auseinandersetzung benutzt haben, um alles oder nichts zu spielen.
Also waren beide Seiten zu inflexibel letztlich?
Beck: Es waren beide Seiten inflexibel. Ich habe das auch damals schon gesagt, aber es ist dann am Ende alles oder nichts gespielt worden, ein Junktim daraus gemacht worden, obwohl wir 90 Prozent aller anderen Fragen ja eigentlich weitestgehend oder schon ganz geregelt hatten. Ich werde wieder einen Vorschlag machen, ich bin dabei den abzugleichen. Wir müssen uns da bewegen, wir müssen diese Bildungsfrage regeln…
Wie sieht Ihr Vorschlag aus?
Beck: Ohne dass jetzt schon im Detail öffentlich zu machen - der Bund muss sicher bei den Fragen mitreden können, die die Einbindung der Bildungspolitik in die europäische Entwicklung aber auch was die wirtschaftspolitischen, die sozial- und kulturpolitischen Gesamtentwicklungen in Deutschland angeht. Der Bund muss zum Zweiten, aus meiner Sicht, für große Forschungseinrichtungen, die man nicht 16 Mal braucht, sondern ein oder zweimal in der Republik, die Zuständigkeit haben und für alles andere sind die Länder zuständig. Die können es auch besser als der Bund.
Das Gespräch führten Annette Riedel und Anke Becker-Wenzel.
Kurt Beck: Geboren am 5. Februar 1949. 1963 Nach Abschluss der Volksschule Berufsausbildung zum Elektromechaniker Fachrichtung Elektronik. 1969 Funkelektroniker bei der Bundeswehr. 1969 Mitglied in der ÖTV. 1972 Eintritt in die SPD. 1972 Realschulabschluss im 2. Bildungsweg. 1972 Freigestellter Personalrats- und Bezirkspersonalratsvorsitzender. Seit 18.05.1979 Mitglied des Landtages Rheinland-Pfalz.1985-1991 Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. 1989-1994 Ortsbürgermeister in Steinfeld. 1991-1994 Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Seit 04.12.1993 Vorsitzender der SPD Rheinland-Pfalz. Seit 26.10.1994 Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz. Seit 26.10.1994 Vorsitzender der Rundfunkkommission der Ministerpräsidenten der Länder. Seit 01.01.1999 Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Seit 27.08.1999 Vorsitzender des Verwaltungsrates des ZDF.