Glück und dann auch noch Gott
23:27 Minuten
Günter Netzer traf den Ball nicht richtig und erzielte so seinen legendären Treffer im DFB-Pokalfinale 1973. Die Abläufe im Sport sind oftmals unberechenbar, dem Zufall Tür und Tor geöffnet. Und womöglich mischt manchmal sogar der Herrgott mit.
"Zählt man nun alle Tore zusammen, kommt man auf 47 Prozent."
Martin Lames. Forscher.
"Dieser Zufallsanteil am Zustandekommen von Toren scheint so etwas wie eine Naturkonstante vom Fußball zu sein."
"Die Aussage kann nur von irgendeinem Statistischen Amt kommen oder von denjenigen, die vom Fußball erstens keine Ahnung haben."
"Das ist völlig richtig, was der Peter Neururer da sagt, und das Glück ist, denke ich mal, mit Minimalprozenten zu berechnen, ja. Unterhalb von zehn Prozent."
Wolfgang Weber. Kölner Urgestein.
"Manchmal, ja, das der Ball flattert, wenn geschossen wird, und durch Windböen oder wie auch immer 'ne andere Richtung bekommt."
"Wenn die Rasenkante hochsteht, weil da gerade 'ne Furche vorher war, weil eben leicht abgefälscht …"
Kathrin Seufert. Psycho-Abteilung.
"Und wenn's nur der Hosenzipfel war, der den Ball irgendwie in 'ne andere Richung gelenkt hat."
Was so alles passieren kann!
Forscher behaupten, knapp die Hälfte aller Tore seien Zufallsprodukte, also Glücksache. In der Bundesliga aber reden Trainer knallhart von Unvermögen, wenn jemand den Ball nur gegen den Innenpfosten schießt.
"Schlecht gezielt. Schlecht gezielt. Einen Zentimeter weiter nach rechts oder nach links, je nachdem welchen Innenpfosten er trifft, ist der Ball drin. Dann brauche ich kein Glück, dann habe ich kein Pech, sondern dann ist der Ball drin, dann redet man darüber nicht."
Wir reden dennoch davon. Mit Peter Neururer, dem ehemaligen Bundesligatrainer. Denn der bestreitet Glück im Sport. Und konsequenterweise auch Pech. So knallhart kannte man Neururer bisher gar nicht.
"Das ist effektiv so. 'Mensch, habe ich ein Pech gehabt', vollkommen klar, das ist menschlich. Aber rein faktisch ist es nicht richtig. Ein Ball, der gegen den Pfosten geht, ist einfach nicht gut getroffen."
An der Technischen Universität in München aber bleiben die Forscher bei ihren Ergebnissen. Eine Saison lang haben sie am Monitor Spiele der Bundesliga und der Premier League angeschaut und ausgewertet. Martin Lames, der Prof aus dem Corona-Off:
"Zum Beispiel Abpraller, die vom Pfosten oder vom Torwart dem Stürmer vor die Füße fallen und der verwandelt dann, die klassischen abgefälschten Freistöße, dann auch, wenn der Ball vom Pfosten nicht ins Feld prallt, sondern ins Tor reingeht oder von der Latte, und auch 'ne wichtige Variable war, dass die Abwehr vor dem Erzielen des Tores die Füße sozusagen im Spiel hatte, das heißt, ein Kontakt der Abwehr unmittelbar vor dem Tor wurde auch als Zufallsvariable bewertet, beispielsweise Eigentore.
Man kann an Computern natürlich vieles machen, aber da steckt man nicht im Menschen. Und vor allen Dingen: Ich kann irgendwelche Dinge, die ich dann nicht erklären kann, warum auch immer, wissenschaftlich teilweise auch nicht, physikalisch vielleicht ... führe ich dann immer zu diesen Komponenten Glück dazu. Irgendwas, was ich nicht erklären kann, ist Glück. Oder eben auch Pech. Ich sage persönlich: Pech gibt`s im Fußball nicht, Es gibt nur weniger Glück möglicherweise, in erster Linie zählt aber Arbeit und zählt das, was ich mir erarbeitet habe an Automatismen. Dazu gehören auch zum Beispiel Torabschlüsse. Dass die möglicherweise, wodurch auch immer bedingt, zustandekommen, diese Möglichkeiten, überhaupt zum Torabschluss zu kommen, hat was mit Verhalten zu tun. Dieses Verhalten kann ich aber erklären, und zwar auf sportliche Art und Weise erklären."
Über den Schlappen gerutscht
Also gut. Erklären wir. Versuchen wir es zumindest anhand von konkreten Spielszenen, wo der Ball nicht so rollen wollte wie geplant, und der Schütze am eigenen Unvermögen gescheitert ist.
"Der Günter Netzer sagt da ganz klipp und klar, ihm ist der Ball über den Schlappen gerutscht, und dadurch hat der Ball eine Drehung bekommen."
Wolfgang Weber, Vizeweltmeister, Deutscher Meister und was nicht alles, zum denkwürdigen DFB-Pokalfinale 1973 zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach, als Günter Netzer sich in der Verlängerung selbst einwechselte und unkontrolliert gegen den Ball drosch.
"Der Ball ist dann ins Dreieck praktisch reingeschossen worden, obwohl er vielleicht etwas ganz anderes wollte. Aber er hat den Ball dann in Anführungsstrichen so unglücklich getroffen, dass er drin war."
2:1 für Gladbach.
"Das ist eine physikalische Begründung dafür, also seine Technik war nicht dementsprechend, wie er eigentlich ein sehr guter Techniker war, aber bei diesem Torabschluss, der letztendlich spielentscheidend war, hat er den Ball nicht richtig getroffen. Wenn er ihn richtig getroffen hätte, möglicherweise wäre er aufs Tor so getroffen, dass Gerhard Welz ihn gehalten hätte, oder der wäre möglicherweise bis auf die Rheinwiesen geflogen. Das war nicht der Fall, und das ist natürlich ein Moment auch wiederum, den kann ich physikalisch erklären, aber wenn die Erklärung nicht ausreicht, dann sage ich, da hat er halt Glück gehabt."
Also doch. Aber Wolfgang Weber, mittlerweile 75 Jahre alt und seinerzeit begnadeter Abwehrspieler in Reihen des 1. FC Köln hätte ihn ja am Torschuss hindern können. Pech? Unvermögen? Schlampigkeit?
"Ja, datt weiß ich – ich war nicht in der Nähe von dem Ball, ne, ich hatte als Gegenspieler den Jupp Heynckes in dem Spiele, und Günter Netzer ist dann aus dem Mittelfeld gekommen über unsere rechte Seite, hat sich nach innen orientiert, und von da aus hat er den Ball in Richtung Tor schießen wollen, und ihm ist der Ball etwas abgerutscht. Leider."
Wolfgang Weber scheint überhaupt ein Spieler gewesen zu sein, in dessen Nähe der Ball machte, was er wollte, oder auch der Unparteiische.
1966, WM-Finale, schon wieder Verlängerung:
"Ja, ich bin der deutsche Pechvogel Nummer eins. Es war ja so: Der Ball, der Angriff der Engländer kam über rechts, dann wurde der Ball hereingeflankt, und der Hurst ist an den Ball gekommen, der Willy Schulz hat ihn abgeblockt, da hat was in der Übernahme auch nicht so 100-prozentig funktioniert, und dann hat der Hurst aus fünf Metern, sechs Meter innerhalb des Torraums den Ball abgefeuert.
Betrachtet man die Häufigkeit der einzelnen Variablen, dann lässt sich feststellen, dass bei Weitem am häufigsten die Zufallsvariable Gegnerbeteiligung zum Fassen kommt, circa über 20 Prozent aller Tore, und das ist etwas, was man so beim normalen Zusehen gar nicht so wahrnimmt, wie oft eigentlich die gegnerische Mannschaft die Finger im Spiel hatte oder besser Füße, beim Zustandekommen von Toren."
Oder der Linienrichter beim unsachgemäßen Schwenken seiner Fahne in Richtung Mittelkreis.
"Das war eine Fehlentscheidung. Nach den heutigen Maßstäben, wenn man da schon die Tore, wir brauchten nicht die Video-Beweise, Abseits oder Foul oder watt, man hätte da nur ne Torkamera gebraucht, die hätte ganz klar festgestellt, dass der Ball auf die Linie springt und wieder ins Feld zurück, und dann habe ich den Ball, glaubte ich, den Ball klären zu können, weil hinter mir stand auch mein Gegenspieler noch, und ich war ja eher am Ball als der, und hab dann den Ball geglaubt zur Ecke zu klären, und die Engländer haben die Hände hochgerissen. Da ist, glaube ich, der Linienrichter drauf reingefallen, der Herr Bachramov, der hat dann ja letzten Endes entschieden, dass der Ball drinnen gewesen sein soll."
Und hätte der Schiedsrichter nicht auf den Linienrichter gehört, hätte hätte Fahrradkette. Ob es nun Pech für die Deutschen und Glück für die Engländer oder ob der Linienrichter überfordert war? Vielleicht war ihm auch gerade etwas ins Auge geflogen. Der Sport bietet reichlich Momente des Zufalls, der Unwägbarkeiten, Unstimmigkeiten und lässt immer Raum für Spekulationen. Ungezählte Sendeminuten der nachbearbeitenden Berichterstattung künden davon. Wiederholungen in Endlosschleife künden vom Glück.
Die Münze fiel auf die falsche Seite
Und manchmal kann man wirklich nichts mehr machen. Bleiben wir bei Wolfgang Weber. Der Mann war in seiner Karriere des Öfteren mit Dingen konfrontiert, die zumindest von ihm nicht mehr zu beeinflussen waren.
Europapokal der Landesmeister, Viertelfinale zwischen dem 1. FC Köln und dem FC Liverpool. Ein drittes Spiel war vonnöten, am neutralen Ort in Rotterdam, Dauerregen:
"Mit dem Münzwurf hab ich so mitbekommen, dass ich, nachdem ich Mitte der 1. Halbzeit einen Wadenbeinbruch davongetragen habe, der allerdings damals noch nicht diagnostiziert werden konnte in so kurzer Zeit, ich habe dann noch anschließend 2. Halbzeit und Verlängerung, also 45 + 30, 75 Minuten mit gebrochenem Wadenbein auf dem Platz gestanden, mehr oder weniger, und ich hab unseren Jungs gesagt: Wenn ihr mal gar nicht mehr wisst, wo ihr den Ball hinspielen könnt, dann spielt mich ruhig an, den Ball kann ich noch irgendwie verarbeiten."
Wo gibt es heutzutage noch solche Recken? Die Kölner glichen jedenfalls zum 2:2 aus, sie waren auch in der Verlängerung das bessere Team, ohne das Spiel für sich entscheiden zu können. Also musste eine Münze her. Weber saß schmerzgeplagt am Mittelkreis im Regenmatsch, während drüben die Spieler beider Mannschaften den Schiedsrichter umringten.
"Und dann kam natürlich das ominöse, ja, Glücksspiel, Lotto zum Tragen, weil es gab damals noch kein Elfmeterschießen, also musste man das auf diesem Wege ermitteln, wer weiterkommt. Und da hab ich dann, hab ich mich auf die Mittellinie gesetzt, um das Geschehen mal zu überblicken, was da so passiert im Strafraum, und das dauerte und das dauerte, und ich dachte, Mensch, watt is denn da los, Sie wissen ja, dass die erste Münze praktisch senkrecht im Boden steckenblieb und gar nicht ermitteln konnte, ob weiß oder rot gewinnt. Und dann hat allerdings der Schiedsrichter noch mal die Münze hochgeworfen, und ich hab die Liverpooler hochspringen sehen, die waren rot, also die hatten dann die rote Seite der Medaille, und dann fiel die Münze leider auf die falsche Seite, und ich hab immer gesagt: 'Wenn es einen gerechten Fußballgott gegeben hätte, hätte die Münze nur in Richtung weiß fallen müssen.'
Das ist hart, aber das ist immer das Einfachste. Jeder Mensch versucht sich in dem Falle, wo er keine Erklärung für irgendwas hat, mit diesen Dingen da zu bedienen. Glück oder Pech. Na, ganz hoch philosophisch, auf Religion bezogen: Der größte Lückenbüßer dieser Welt. Losgelöst von der Wissenschaft, ja, ist Gott. Immer wenn der Mensch nicht weiter weiß, in schlimmsten Situationen seines Lebens, weil es keine andere Erklärung gibt, weil es keinen anderen Ausweg gibt. Und das wäre natürlich ein bisschen ne andere Ebene, ist im Fußball oft so, wenn man von Glück oder von Pech redet."
... und dann kam noch Pech dazu
Andy Möller hat ein Mal von Glück und Pech geredet. Mit einem Satz, der, völlig frei von irgendwelchen Auswegen oder -flüchten, Maßstäbe gesetzt hat:
"Hoch philosophisch, ne. 'Erst haben wir kein Glück gehabt, und dann kam auch noch Pech dazu.' Das sind wunderbare Geschichten, und wunderbare Sprüche, hoch philosophischer Art, vollkommen klar, aber es relativiert sich alles im Sport. Alles. Es geht letztlich um Leistung. Dass diese Leistungen teilweise beeinflusst werden über Dinge und von Dingen, auf die wir glauben, keinen Einfluss zu haben, das ist durchaus richtig, weil es da auch eine Wechselwirkung gibt, a): meine eigene Leistung, ob gut oder schlecht, ob glücklich oder unglücklich, und die Reaktion, die Vermischung der Verhaltensweisen des jeweiligen Gegners. Der ja auch glücklich oder unglücklich hantieren oder operieren kann."
Man stelle sich vor, Andy Möller sitzt bei der Sportpsychologin Kathrin Seufert und klagt: "Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech hinzu."
"Ja, dann sag ich, Sie haben vergessen, an Ihre Stärken zu denken. Also dann geht`s wirklich darum, auch in schweren Situationen zu denken: Ich kann das, ich hab dafür gut trainiert, ich weiß, was in meinem Rucksack drin ist, und dementsprechend das auszupacken, auch mal alles abschütteln zu können, die Gedanken wieder ins Hier und Jetzt zu bringen und eben nicht in den vergangenen 60 Minuten, die vielleicht nicht gut gelaufen sind, sondern sagen: Sind noch 30 und jetzt Vollgas."
Andy Möller kam ja auch immer etwas weinerlich daher. Seine Rucksäcke wirkten manchmal, als seien sie prall gefüllt mit Pleiten, Pech und Pannen. Ein klassischer Fall für die Sportpsychologie, um das Ding doch noch zu drehen.
"Glück ist keine Sache, die wir irgendwie bewusst herbeiführen können, wir können unsere Leistungsfähigkeit beeinflussen, psychologisch sowohl mental als auch physisch sicherlich, dann die Auswirkung haben, aber Glück ist keine berechenbare, kein berechenbares Ding, was wir irgendwie beeinflussen können, das hängt vielleicht nachher damit zusammen, wie wir das selber schaffen, unsere Leistung einzuordnen, dass wir das auf Glück attribuieren, aber direkt beeinflussbar, nein würde ich nicht sagen."
Wie aber behandeln wir jemanden, der glaubt, eine Seuche am Fuß zu haben? Mit Desinfektionsmitteln?
"Tja. Seuche am Fuß würde ich eben genau so mit 'vertraut seinen Fähigkeiten nicht mehr' titulieren, also zu sagen: 'Ja, es hat letzte Mal nicht geklappt, warum sollte das denn heute klappen?', und wenn man sich dann auch mental da reinsteigert, dann hat das sicher Auswirkungen auf die wirkliche physische Leistungsfähigkeit."
Dann wieder gibt es Spieler mit sogenanntem Torriecher. Oder sind das Glücksritter, die selber nicht wissen, warum sie genau da stehen, wo sie hingehören. Gerd Müller war so einer. Stand immer goldrichtig.
"Nein, das ist kein Glück. Das ist eine Fähigkeit. Und zwar hat das was mit Wahrnehumng zu tun. Also durchaus, wenn ich im sportlichen Bereich unterwegs bin, und auch in der Trainungslehre unterwegs bin und auch in der Psyche eines Spielers unterwegs bin, und verschiedene Situationen, in der ich den Spieler beobachte, dann weiß ich, wie seine Wahrnehmung aussieht. Und dann gibt es welche, das dann ne spezielle Wahrnehmung, zum Beispiel beim Erahnen, Vorausahnen, nicht nur bewegungs-analytisch, sondern auch sonst vorausahnend, Situationen ergreifen, und demzufolge dann zum Torerfolg kommen. Das ist kein Glück, das ist kein Glück. Das ist Glück, dass man diese Wahrnehmung hat, das ist richtig, genauso wie ich Glück rein von der genetischen Anlage her habe, wenn mir die und die Gene mitgegeben werden."
Lockerheit und Visualisierung
Und was ist mit dem Namensvetter Thomas Müller, der angeblich selber nie weiß, warum er gerade wo lang läuft, und dennoch einlocht.
"Eine Bewegungsvorabnahme. Er sieht eine Situation und erahnt im Vorfeld - das ist Sache der Erfahrung, was aus dieser Situation werden könnte, was da entstehen könnte. Und wenn es dann entsteht, wie er es vorwegnimmt, ist es kein Glück. Sondern ist eigentlich nur das Zustandekommen seiner Wahrnehmung in Verbindung mit seinen Fähigkeiten, aus dieser Wahrnehmung dann irgendwo was zu machen.
Ich würde Thomas Müller auch gerne mal fragen, wie er das selber empfindet tatsächlich, aber ich glaub schon, dass er sich seiner Fähigkeiten bewusst ist, und das ist eben das Wichtige. Er weiß genau, wie der den Ball zu treffen hat, um das Ding dann auch oben reinzuzirkeln, ich glaub, seine Körperhaltung und sein eher schlaksiger Körperbau unterstreicht dieses Merkmal so. Lockerheit."
Und diese Lockerheit lässt sich herbeiführen. Tore, die man nebenbei schießt, im Vorbeigehen gewissermaßen. Man lässt die Dinge geschehen, als kämen sie von selbst, als wären sie einem zugeflogen, wie Glück. Oder nicht? Zumindest wirkt es dann so. Und zumindest bietet die Psychologie Mittelchen an, mit denen wir unser ganz persönliches Glück erfahren können.
"Genau. Autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Traumreisen, das sind so die psychologischen Tricks. Ja, unbedingt, also ich bin ein großer Freund von der Visualisierungstechnik, sich was vorzustellen, wo man sich einfach frei gefühlt hat, sich wohl gefühlt hat, sich locker gefühlt hat, viele Fußballer verbinden das, also gerade die Stürmer mit irgendwelchen Torjubeln, weil es ein ganz besonderes Tor war, und sie jetzt sich frei gefühlt haben, Torhüter ganz oft haben dieses Gefühl, nach dem Elfmeterschießen die Anspannung, die abfällt."
Ein weiterer interessanter Zusammenhang hat sich ergeben mit der Nummer des Tores, das erste Tor benötigt einen besonders hohen Zufallsanteil, und wenn schon viele Tore gefallen sind, dann geht der Zufallsanteil immer mehr in den Hintergrund."
Martin Lames von der Münchener Fakultät für Sport.
"Das erklären wir dadurch, dass wenn schon viele Tore gefallen sind, die Situation weniger gefestigt ist, und deswegen der Zufall weniger mithelfen muss beim Zustandekommen eines Tores."
Der Sport lebt von Glück und Zufall. Fußball ist laut der Münchener Studie am häufigsten betroffen oder befallen, danach folgen Baseball, Eishockey mit 41,5 Prozent der laut Fachjargon "zufälligen Störungen" im Spielablauf, Basketball scheint mit 36,5 Prozent vergleichsweise berechenbar.
Und diese Störungen machen, geben wir es zu, den eigentlichen Reiz aus.
"Mit anderen Worten: Der Glück- oder Zufallseinfluss ist natürlich aus Sicht der Trainer oder Spieler etwas, was man fürchtet und was es zu minimieren gilt, durch hochwertiges, fehlerfreies Abwehrspiel beispielsweise, aber aus Sicht der Medien und Zuschauer ist das auch das Salz in der Suppe."
Vom Lucky Punch in Runde zwölf
Nächste Sportart, nächster Glücksmoment. Auch Boxer kommen oft nur zufällig mit einem blauen Auge davon.
"Es ist ja tatsächlich so, dass nicht immer der Beste gewinnt, sondern manchmal auch der Glücklichere, beim Boxen beispielsweise, da reicht ein Schlag."
Der Sportjournalist Thorsten vom Wege in der rückblickenden Berichterstattung:
"Das Paradebeispiel für Glück im Boxen ist ja der Lucky Punch. Aber dass das nicht unbedingt immer so sein muss, auch wenn ein Lucky Punch ein Lucky Punch ist, ist eben nicht jeder Lucky Punch gleich ein Lucky Punch. Klingt jetzt ein bisschen verschrobelt, aber ich will Ihnen sagen, was ich erlebt hab: Also 2005 in Halle an der Saale gab`s einen WBO-Weltmeisterschaftskampf, Zsolt Erdai, der Feuervogel, ein ungarischer Boxer im Stall von Universum, gegen Mehdi Sahnoune aus Frankreich. Erdai eigentlich ein technisch brillanter Boxer und auch einer, der richtig knallen konnte, wirkte irgendwie gehemmt und war überhaupt nicht in Form, der Franzose war der deutlich bessere Mann, man hatte phasenweise Angst, dass Erdai das überhaupt übersteht, und dann kam er so in der 11. Runde dann doch mal irgendwie zurück in den Kampf, und in der 12. Runde haut der den Sahnoune nach 2:37 um und schlägt ihn K.O. Ja, das ist Lucky Punch normalerweise. Was dann allerdings kam, das war eben das Überraschende, Fritz Sdunek, sein leider viel zu früh verstorbener Trainer, kam in die Pressekonferenz und sagte, Männer, jetzt kann ich euch`s ja sagen: Der Erdai, der hatte eine gebrochene Rippe. Haben wir gesagt: In welcher Runde ist das denn passiert? Dass Sdunek sagte, das überhaupt nicht in der Runde passiert, sondern in der letzten scharfen Trainingswoche, mit der Konsequenz, dass Erdai natürlich permanent mit der Angst lebte, dass der Gegner ihm auf diese angebrochene Rippe ständig drauf haut. Aber Erdai hat das eben so geschickt verstanden, über die größte Zeit des Kampfes zu kaschieren, dass der Mann zwar am Ende doch noch seine Schlaghand auspacken konnte, und demzufolge, hatte er das Glück in die eigenen Hände genommen im wahrsten Sinne des Worts und diesen Lucky Punch, der am Ende vielleicht doch kein klassischer Lucky Punch war, gelandet."
Im Boxsport geht es auch ohne Lucky Punch, wenn man Glück haben will: Nehmen wir den WM-Kampf zwischen Evander Holyfield und Riddick Bowe 1993 in Las Vegas. Bowe führt eindeutig nach Punkten, als plötzlich ein im wahrsten Sinne des Wortes durchgeknallter Paraglider durch das Hallendach bricht und knapp neben den Ring fällt. Der Kampf wird unterbrochen, der Springer von den Zuschauern verdroschen, und nach dem Vorfall dominiert Holyfield und gewinnt. Man weiß nicht, ob Holyfield sich beim verprügelten Paraglider bedankt hat, ohne ihn jedenfalls wäre er vermutlich von Riddick Bowe vermöbelt worden.
Vom Paraglider aber kommt man mühelos auf den Schanzentisch, beim Skisprung, und zwar über den Wind, denn der verheißt regelmäßig Glück, oder je nach der Richtung, aus der er kommt, Pech. Thorsten vom Wege kommentiert für uns:
"Also wie man Glück und Unglück auch ein bisschen steuern kann, da gibt da so`n Paradebeipiel aus dem Skispringen, von 1994, Jens Weißpflog machte sich damals auf, seine 4. Tournee zu gewinnen, und hatte Espen Bredesen, einen Norweger, als Gegner, und in Bischofshoven, da spielte der Wind ne relativ entscheidende Rolle, der blies nämlich sehr wechselhaft. Mal von vorne, mal von hinten. Vor Weißpflog sprang aber Lasse Ottesen, noch ein Norweger. Und der sprang, beziehungsweise der sprang vielmehr nicht. Der blieb also ewig auf dem Balken sitzen, machte überhaupt keine Anstalten, und nachdem er dann im Prinzip damit die Konkurrenz komplett durcheinander gebracht hatte, ist er von dem Balken runtergekrochen und war disqualifiziert, nahm das aber in Kauf, wie der nach ihm springende Weißpflog nun in den ungünstigen Wind hineinspringen musste. Das führte dazu, dass Weißpflog nicht so gut sprang, dass es zum Tourneesieg hätte reichen können, den holte sich Espen Bredesen, denn der hatte dann die guten Bedingungen.
Und dann ist der Mensch dazu geneigt, ich selber eben auch, dass als größten Pechsmoment seiner Karriere zu bezeichnen."
Und nun? Reden wir nicht mehr von Glück oder Pech. Reden wir nicht von Auslosungen im Pokal, bei denen Bayern München seinen sprichwörtlichen Dusel pflegt. Reden wir nicht von Geisterspielen, bei denen wer auch immer sein Unwesen treibt. Genießen wir den Sport mit allen Überraschungen, echauffieren wir uns darüber, freuen uns, denn seien wir gewiss: Wenn wir mal wieder kein Glück haben, kommt mit Sicherheit noch Pech hinzu. In diesem Sinne: Glück auf!