Zugespitzte ethische Fragen
Aktive und passive Sterbehilfe stehen ständig in der Diskussion. Erstere ist in Deutschland verboten, zweite gängige Praxis, zumal bei entsprechenden Patientenverfügungen. Weit unbekannter ist die sogenannte Freitodhilfe. Die Schweizer Vereine "Dignitas" und "Exit" ermöglichen ihren Mitgliedern nach genauer Prüfung fachgerechten und begleiteten Suizid per Natrium-Pentobarbital. In <em>Mein Wille geschehe</em> beleuchtet die Berliner Autorin Svenja Flaßpöhler die ethische Problematik des institutionalisierten Selbstmords und schildert zwei Sterbebegleitungen, an denen sie persönlich teilgenommen hat. Fragen bleiben zurück. Wenn in den meisten Prozessen der Moderne Optimierung angestrebt wird, warum nicht auch beim Sterben aus freiem Willen? Ist Sterbebegleitung vielleicht der Ausdruck höchster Aufgeklärtheit?
"Mein Wille geschehe" führt - wie Flaßpöhler schreibt - "philosophisches Nachdenken, konkrete Fallbeschreibungen, viele Gespräche und unmittelbares Erleben" zusammen. Das 158-Seiten-Werk ist also nicht aus einem Guss und die Qualität der sechs Kapitel unterschiedlich. Souverän stellt die promovierte Philosophin einen kulturhistorischen Abriss zum Selbstmord-Problem von Sokrates' Schierlingsbecher bis Sigmund Freuds Todestrieb an den Anfang. Der Leser lernt im Schnelldurchgang die wichtigsten Pro und Contra kennen - allerdings zum konventionellen Selbstmord, der fast immer ein verschwiegener Akt ist.
Bei der Freitodhilfe dagegen will der Kandidat bei Entschlussfindung und Tat ausdrücklich begleitet werden. Freitod wird dadurch ein sozialer Prozess, in den vom ärztlichen Gutachter bis zum Sterbegleiter viele Personen einbezogen sind. Beispielhaft untersucht Flaßpöhler den Fall der Suizidkandidatin Susanne Schönberg aus der Schweizer High Society - wofür ihr "Exit" die gesamte Schönberg-Akte post mortem zur Verfügung gestellt hat.
Da die Kandidatin aus psychischer Zerrüttung und nicht aufgrund unheilbaren körperlichen Leidens den Suizid wählte, stellen sich alle ethischen Fragen zugespitzt. Kann man das Ausmaß eines fremden psychischen Leidens überhaupt ermessen? Reicht es zur Legitimation als Helfer, sich auf das Recht zur Selbstbestimmung des Kandidaten zu berufen? Flaßpöhler selbst fragt viel mehr, als dass sie antwortet. Ihre eigene Haltung zur Freitodhilfe wäre wohl als äußerst skeptisches Verständnis zu bezeichnen. Gleichzeitig räumt sie mit dem Philosophen Volker Gerhard einem prominenten Kritiker der Freitodhilfe viel Raum ein.
Die Kapitel zum Fall Schönberg und zur Situation der Freitodbegleiter überzeugen durch Kombination von Originaldokumenten, gedankenvoller Reportage und reflektiertem Erleben. Oberflächlicher wird Flaßpöhler, wo sie ihr Thema an die Debatte über den Geldmangel in der medizinischen Versorgung anzubinden versucht. Das Kapitel zur "Selbstbestimmung im Zeitalter der Moderne" ist als ganzes arg zusammengeschustert und nicht frei von Plattitüden.
Bemerkenswerte Wucht gewinnt "Mein Wille geschehe", als Flaßpöhler am Ende berichtet, wie sie die Kandidaten Paul Zögli und Gabriel Lorenz mit Mitarbeitern von "Exit" beim Suizid begleitet und noch Gespräche geführt hat, als das tödliche Natrium-Pentobarbital schon bereitstand. Die Autorin will die ganze Erfahrung, sie will das Erlebnis hautnah. Und sie findet eine angemessene Sprache, um davon zu erzählen. Es wird traurig in jeder Weise, makaber wird es nicht. "Mein Wille geschehe" zieht den Leser hinein in eine Entscheidungssituation, die so oder ähnlich auf ihn selbst zukommen könnte. Die juristischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen der Freitodhilfe sind damit allerdings längst nicht ausgelotet.
Rezensiert von Arno Orzessek
Svenja Flaßpöhler: Mein Wille geschehe. Sterben in Zeiten der Freitodhilfe
wjs Verlag, Wolf Jobst Siedler jr. Berlin 2007
158 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, 18 Euro
Bei der Freitodhilfe dagegen will der Kandidat bei Entschlussfindung und Tat ausdrücklich begleitet werden. Freitod wird dadurch ein sozialer Prozess, in den vom ärztlichen Gutachter bis zum Sterbegleiter viele Personen einbezogen sind. Beispielhaft untersucht Flaßpöhler den Fall der Suizidkandidatin Susanne Schönberg aus der Schweizer High Society - wofür ihr "Exit" die gesamte Schönberg-Akte post mortem zur Verfügung gestellt hat.
Da die Kandidatin aus psychischer Zerrüttung und nicht aufgrund unheilbaren körperlichen Leidens den Suizid wählte, stellen sich alle ethischen Fragen zugespitzt. Kann man das Ausmaß eines fremden psychischen Leidens überhaupt ermessen? Reicht es zur Legitimation als Helfer, sich auf das Recht zur Selbstbestimmung des Kandidaten zu berufen? Flaßpöhler selbst fragt viel mehr, als dass sie antwortet. Ihre eigene Haltung zur Freitodhilfe wäre wohl als äußerst skeptisches Verständnis zu bezeichnen. Gleichzeitig räumt sie mit dem Philosophen Volker Gerhard einem prominenten Kritiker der Freitodhilfe viel Raum ein.
Die Kapitel zum Fall Schönberg und zur Situation der Freitodbegleiter überzeugen durch Kombination von Originaldokumenten, gedankenvoller Reportage und reflektiertem Erleben. Oberflächlicher wird Flaßpöhler, wo sie ihr Thema an die Debatte über den Geldmangel in der medizinischen Versorgung anzubinden versucht. Das Kapitel zur "Selbstbestimmung im Zeitalter der Moderne" ist als ganzes arg zusammengeschustert und nicht frei von Plattitüden.
Bemerkenswerte Wucht gewinnt "Mein Wille geschehe", als Flaßpöhler am Ende berichtet, wie sie die Kandidaten Paul Zögli und Gabriel Lorenz mit Mitarbeitern von "Exit" beim Suizid begleitet und noch Gespräche geführt hat, als das tödliche Natrium-Pentobarbital schon bereitstand. Die Autorin will die ganze Erfahrung, sie will das Erlebnis hautnah. Und sie findet eine angemessene Sprache, um davon zu erzählen. Es wird traurig in jeder Weise, makaber wird es nicht. "Mein Wille geschehe" zieht den Leser hinein in eine Entscheidungssituation, die so oder ähnlich auf ihn selbst zukommen könnte. Die juristischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen der Freitodhilfe sind damit allerdings längst nicht ausgelotet.
Rezensiert von Arno Orzessek
Svenja Flaßpöhler: Mein Wille geschehe. Sterben in Zeiten der Freitodhilfe
wjs Verlag, Wolf Jobst Siedler jr. Berlin 2007
158 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, 18 Euro