Zugverkehr der Zukunft

Intelligenter vernetzt dank Digitalisierung

09:37 Minuten
Viele Reisende auf einem Bahnsteig, im Hintergrund ein ICE
Voller Bahnsteig: Solche Szenen könnten bald der Vergangenheit angehören, meint Andreas Vogler. © imago/Ralph Peters
Andreas Vogler im Gespräch mit Dieter Kassel |
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Überfüllte Waggons, schmale Sitze, Verspätungen: Das Zugfahren in Deutschland ist oft kein Vergnügen. Dabei habe kein anderes Massentransportmittel so viel Potential wie der Zug, meint der Architekt Andreas Vogler. Was muss sich ändern?
Dieter Kassel: Wir werden in dieser Reihe, in der kompletten Woche, die ja jetzt gerade erst anfängt, ziemlich intensiv darauf blicken, wie der Zugverkehr der Gegenwart aussieht. Wir werden auch zurückgehen in die Geschichte das eine oder andere Mal. Aber warum nicht gleich am Anfang schon einen Blick werfen auf den Zugverkehr der Zukunft? Der Schweizer Architekt Andreas Vogler hat in München die Firma Andreas Vogler Studio gegründet, und dort arbeitet er neben anderen Projekten auch gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt am Zug der Zukunft.
"Neben anderen Projekten" ist gut – Sie haben unter anderem Rover-Fahrzeuge mit entworfen, die auf dem Mars und dem Mond unterwegs sind, Sie haben quasi die Innenkabineneinrichtung für große Fluggesellschaften entworfen. Warum interessiert Sie dann trotzdem auch etwas scheinbar so Altmodisches wie ein Zug?
Vogler: Ja, eben nur scheinbar, weil der Zug ist zwar das älteste Massentransportmittel, das wir haben, aber trotzdem das auch mit dem meisten Potenzial, also mit der höchsten Nachhaltigkeit, weil mit so wenig Energie und Flächenverbrauch Menschen zu mobilisieren schafft sonst kein Verkehrsmittel, und das ist absolut faszinierend.
Kassel: Wie wird denn der Zug der Zukunft aussehen?
Vogler: Also wir gehen davon aus, dass die Infrastruktur ziemlich ähnlich bleibt, die natürlich digitalisiert werden wird, und der Zug selber, da gibt es noch einiges Potenzial an technischen Erneuerungen, mit denen wir mit dem DLR zusammenarbeiten, aber wir als, sagen wir, Designer, Architekten versuchen vor allem irgendwie die Aufenthaltsqualität, die Reisequalität für den Fahrgast im Zug zu erhöhen, und auch da gibt es noch einiges an Potenzial.

Falsches Bild: Wer Bahn fährt, kann sich kein Auto leisten

Kassel: Ich glaube, manche könnte erschrecken, dass zum Beispiel ein Modell, das Sie entwickelt haben für die britische Eisenbahn, der AeroLiner 3000 – oder auch three thousand, wenn man will – ist ein Doppelstockzug. Ich glaube, da spielen auch bei Ihnen Überlegungen für die Zukunft generell eine große Rolle. Nun muss ich sagen, in der Gegenwart, zumindest in Deutschland, sind Doppelstockzüge eher nicht so bequem. Also man kann tatsächlich mit diesem Doppelstockzugsystem beides erreichen: mehr Leute unterbringen, und trotzdem ist es für die Leute bequem?
Vogler: Ja, das wäre eben die Herausforderung auf jeden Fall. Der Doppelstock kommt natürlich daraus, dass man mit einer gegebenen Infrastruktur die Kapazität erhöhen möchte pro Zug. Eigentlich ist das Lichtraumprofil beinah etwas zu knapp, einen anständigen Doppelstockzug zu machen, aber man findet sich zurecht in den Verhältnissen wie im Flugzeug, aber ich glaube, es geht bei der Eisenbahn eher um ein anderes Bild, weil Eisenbahn wird oft so gesehen, als sei es nur für die, die sich kein Automobil leisten können. Das ist im Prinzip das falsche Bild.
Der ICE hat in den 90er-Jahren mal versucht, das aufzulösen und so den Zug zwischen Automobil und Flugzeug gesetzt, auch vom Komfortlevel. Sie mögen sich erinnern, große Sitze mit – damals revolutionär – Fernsehmonitoren drin. Wenn wir heute den ICE hier ansehen, dann scheint das doch wieder eine Entwicklung rückwärts zu sein, weil die Sitze – da beklagen sich die Bahnkunden – sind weniger bequem, der Wagen ist enger, und vieles geht gefühlt unter. Er ist auch langsamer. Er fährt nur noch 250 Kilometer pro Stunde, nicht mehr 300. Also gefühlt geht es rückwärts.
Kassel: Wird es denn – ich meine, das ist ja nicht nur eine technische Frage und auch nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine politische –, glauben Sie denn, dass es wieder in die andere Richtung gehen wird, also bequemer und schneller zum Beispiel?
Vogler: Ja, Politik ist immer: wie stellt man sich die Welt von morgen vor, und im Moment scheint ja da etwas Aufbruch zu sein, zumindest von der jungen Generation, die es langsam satthat. Seit 50 Jahren kennt man irgendwie die Wendung der Umwelt durch den Menschen, und langsam scheint was zu passieren, und da muss man auch das Thema Zug auch im Autoland wie Deutschland viel beherzter angreifen.

Fließendes Umsteigen dank Smartphone

Kassel: Nun geht es ja nicht nur darum, schnell zu sein und überall hinzukommen – schon, ja –, aber geht ja auch um Flexibilität, und da haben Sie auch ganz erstaunliche, zumindest noch Modelle. Ich glaube, so richtig gibt es das ja noch nicht. Zum Beispiel kennen wir ja alle das Problem, manchmal ist der Zug extrem voll, dann gibt es Streckenabschnitte, da sitzt man alleine im Wagen.
Ist jetzt für mich, wenn ich da alleine sitze, ganz gut, aber insgesamt nicht der Sinn der Sache. Wird das in Zukunft flexibler werden, also werden Züge zum Beispiel automatisch merken, wie viel Bedarf Sie haben?
Vogler: Ja, also ich denke, ein ganz großes Potenzial bei der Eisenbahn wie in anderen Industriebereichen liegt natürlich in der Digitalisierung, also dass wir alles viel intelligenter vernetzen können und so Kapazitätssteigerung, die gleichzeitig auch ein Gewinn für den Bahnreisenden erreichen können, weil jeder hat sein Smartphone dabei. Es soll auch bald in Deutschland an jeder Milchkanne ein Netz geben.
Ob das umgesetzt wird, sehen wir noch, aber wir sehen da großes Potenzial, dass wir mit der Digitalisierung auch das Bahnreisen viel bequemer machen können. Auch was wir bei der Bahn haben gegenüber dem Auto, ich komme nie ungebrochen von A nach B. Ich habe immer Umsteigesituationen auf anderem Verkehrsweg, der mich letztlich vor die Haustür bringt. Aber mit Digitalisierung kann man das so angenehm und fließend wie möglich machen. Da drin sehe ich ein großes Potenzial.
Kassel: Ich bin ja auch ein bisschen Technikfreak, ein bisschen teilen wir beide das ja, glaube ich, auch. Sie sind Architekt, also ist es wirklich, aus Ihrer Sicht, relativ bald denkbar, dass ein Zug quasi feststellt, ob er voll oder leer ist, und wenn er besonders voll ist, könnte automatisiert noch was drangehängt werden?
Vogler: Ja, per se ist das natürlich problemlos denkbar. Ob es sinnvoll ist, dann noch was dranzuhängen oder ob es sinnvoller ist, die Menschen vielleicht umzulenken und sagen, hör mal, wenn du einen Zug eine viertel Stunde später nimmst, dann ist er halb so voll, hat man mehr Platz, kann man noch was machen. Das ist ja heute alles möglich mit der Digitalisierung, dass man im Prinzip eine Live-Verbindung zur Situation hätte, und wenn ich weiß als Bahnfahrender, dass ich vielleicht in einer halben Stunde eine bessere Verbindung habe oder einen Sitzplatz finde, dann kann ich mir diese halbe Stunde organisieren und was anderes machen, oder wenn ich jetzt unbedingt, steige ich halt in den Zug.
Es gibt die Möglichkeiten, das viel besser zu steuern, also nicht, dass alle um halb sechs auf denselben Zug müssen, sondern die Leute wissen, da kommt dann noch die künstliche Intelligenz, die ja mit der Zeit das auch feststellen kann, wie Leute sich bewegen und die Ströme lenken kann. Das ist ja ein Problem heute, dass alle zur selben Zeit … dann hat man die Rushhour, dann wird viel Material benötigt, und den Rest des Tages läuft es leer.

Wann wird Bahnfahren sexy?

Kassel: Frage zum Schluss, das ist jetzt Spekulation, nicht mehr technisch, aber wenn das - vielleicht auch ein paar andere Dinge, die wir nicht erwähnt haben – irgendwann umgesetzt wird, wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis Zugfahren so richtig sexy ist und alle sagen, Zug ist cool, Flugzeug und Auto ist ein bisschen doof?
Vogler: Ja, das ist natürlich auch wieder, was will man politisch. Also ich glaube technisch wäre das innerhalb der nächsten zehn Jahre erreichbar. Ob das politisch passiert, weiß ich nicht, kann sehr schnell passieren, aber auch nicht. Sehen wir mal bei den nächsten Wahlen. Aber ich denke, per se ist heute schon Zug für viele ein sehr interessantes Transportmittel, und viele junge Leute, oder auch ich selber, bin nicht mehr so jung, ich habe kein Auto, ich genieße den Zug, die Zeit da drin zu arbeiten.
Der Zug hat viele Vorteile. Es wäre einfach schön, wenn in einem so hochentwickelten Industrieland wie Deutschland man sich nicht mit der mangelnden Pünktlichkeit und dem Komfort irgendwie immer auseinandersetzen müsste. Das macht es gefühlt unbequem.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Zugfahren prägt seit fast 300 Jahren unsere Gesellschaft und die Art, wie wir uns fortbewegen. Geschichten vom Zugfahren erzählen immer auch von Menschen und Ländern. Im Zeitalter des Klimawandels ist Zugfahren auch die nachhaltigste und umweltfreundlichste Art, sich fortzubewegen – und so könnten Reisen mit der Bahn eine Renaissance erleben. Von Menschen und Zügen – eine Sommerserie.

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