"Zuhören ist etwas sehr Aktives"
Beim ersten großen Grundschultest war das Zuhören eine der drei getesteten Disziplinen. Zurecht, erläutert Volker Bernius von der Stiftung Zuhören, weil es genauso wichtig sei, wie das Sprechen und dessen Grundvoraussetzung.
Korbinian Frenzel: Sie hören Deutschlandradio Kultur, und Hören, Zuhören, das ist so eine Sache. Wenn Sie jetzt zum Beispiel gerade den Wasserkocher in Ihrer Küche angemacht haben, oder die Lüftung im Auto, dann sage ich schon mal jetzt, bis gleich. Zuhören ist eine Kunst und es ist enorm wichtig, es zu können. Das mag selbstverständlich klingen, ist es aber nicht, und genau deshalb war es bei dem großen deutschen Grundschultest, der am Freitag veröffentlicht wurde, neben Lesen und Rechnen eine von drei Disziplinen, die getestet wurden: Wie gut können Kinder zuhören und verstehen? Ganz okay, so könnte man das Ergebnis zusammenfassen aufs ganze Land gesehen.
Besser geht aber auf jeden Fall und es gibt in Deutschland eine Stiftung, die sich ganz gezielt darum kümmert: die Stiftung Zuhören. Volker Bernius sitzt in ihrem Fachbeirat und arbeitet für sie und er hat mir jetzt hoffentlich zugehört, denn ich begrüße ihn in Frankfurt. Hallo, Herr Bernius!
Volker Bernius: Hallo, Herr Frenzel.
Frenzel: Ich fang mal dumm an. Zuhören kann doch jeder, da muss man nicht einen Tag in die Schule gehen. Was machen Sie eigentlich?
Bernius: Ja, wir fördern das Zuhören. Das heißt, wir wollen es bewusst machen, dass Zuhören etwas ist, was eben nicht von selbst entsteht. Wir hören, wenn wir auf die Welt kommen, aber wir geben dem, was wir hören, erst im Laufe der Zeit eine Bedeutung, und das ist eigentlich Zuhören. Was bedeutet das, was von hinten kommt, was so klingt, wie es klingt, und ich erschließe mir den Sinn dann aus dem, was ich höre, und das ist dann Zuhören, ich gebe dem eine Bedeutung. Das ist die eine Sache, ich hole mir die Information heraus, und die andere Sache, die mit dem Zuhören zu tun hat, heißt eigentlich verstehen. Wie geht es jemand, wenn ich ihm zuhöre? Kann ich das heraushören, kann ich Zwischentöne wahrnehmen? Also die Frage der Kommunikation, das hat natürlich auch mit Zuhören zu tun.
Frenzel: Wenn wir mal mit dem ersten Teil anfangen, mit dem Zuhören alleine. Wenn ich mich so umschaue auf der Straße, in der U-Bahn, da haben ja fast alle Menschen unter 30 Kopfhörer im Ohr. Wahrscheinlich gab es keine Generation, die so viel Audio im täglichen Leben hat wie diese. Ist das eine Entwicklung, die Sie glücklich macht?
Bernius: Nicht unbedingt. Nicht unbedingt, denn das hat ja damit etwas zu tun, dass man doch einem akustischen Alltagsbrei ausgesetzt ist und vielleicht doch nicht mehr so viel wahrnimmt, oder nicht mehr so viel Unterschiede hört, oder nicht mehr so viele bunte Dinge hört, sondern eher das graue Rauschen des Alltags hört. Auf der anderen Seite ist es natürlich so: Wenn jemand bewusst sich dazu etwas holt, also bewusst etwas hört, dann ist das natürlich auch gut. Dann sucht er sich das heraus, was ihm gut tut, und das ist natürlich auch okay.
Frenzel: Wie kann man das denn machen? Wie kann man etwas bewusst hören? Kann man das trainieren?
Bernius: Ja, man kann das schon trainieren. Es ist ja so: alles was wir täglich machen – und das ist ja das Zuhören -, darüber denken wir nicht mehr so nach, welche Bedeutung das hat, und die Bedeutung gerät dann etwas in den Hintergrund. Aber man kann es bewusst machen, indem man seine Ohren eigentlich öffnet, zum Beispiel dadurch, dass man Hörenswürdigkeiten im Alltag entdeckt, wie klingt eigentlich eine Rolltreppe, oder kenne ich den Ruf dieses Vogels, der da tönt. Also sozusagen diese kleinen Alttagsdinge, die wir im Vorübergehen wahrnehmen, die kann man sich natürlich bewusst machen. Das ist das eine.
Das andere ist: Man muss zuhören machen. Zuhören hat eher etwas Passives vom Wortspiel her. Das heißt, ich gehe hin und höre nur zu. Aber Zuhören ist etwas sehr Aktives. Da geht viel im Kopf ab, ich muss mir die Bedeutung sozusagen herleiten. Ich kann aber das auch machen, indem ich etwas gestalte. Ich kann einen Hörspaziergang machen, ich kann bewusst darüber sprechen, ich kann mir Bilder erstellen, die ich ja nicht vorgesetzt kriege beim Hören, die muss ich mir machen. Ich kann Unterschiede festhalten, wie klingt etwas, hoch, tief, laut, leise. Ich kann auch selber Aufnahmen machen, kleine Hörstückchen erfinden und anderen wieder zum Hören geben, und und und … Also es gibt da sehr viele kleine Dinge, die man machen kann.
Frenzel: Das sind ja auch alles Beispiele aus Ihrer Arbeit, die Sie anwenden in Kindertagesstätten, in Schulen. Wenn wir mal auf die klassische Familiensituation schauen: Ich gebe zu, ich habe diese Frage mitbekommen von meiner Frau für dieses Gespräch. Wie schaffen das denn Eltern, dass Kinder zuhören?
Bernius: Ich glaube, die Frage muss man den Eltern zurückgeben. Die sind ja eigentlich Vorbilder im Zuhören. Und wenn sie ein Vorbild abgeben, dann schaffen es Kinder auch besser, dass sie selber den Wert des Zuhörens erkennen, das heißt erkennen, aha, mir hört jemand zu.
Frenzel: Und wie mache ich das?
Bernius: Das hat auch viel mit Zeit zu tun. Es gibt Leute, die sagen, in einer Gesellschaft, die sich immer mehr beschleunigt, die also immer schneller wird, gerät so etwas, was Zeit braucht, eher in den Hintergrund. Das heißt, ich muss mir bewusst Zeit nehmen, um den Wert des Zuhörens zu erfahren, um mich dem anderen zu widmen, um ihm zuzuhören und in einen Dialog mit ihm zu treten.
Frenzel: Ich frage jetzt mal die Frage des Kulturpessimisten. Haben Sie denn da eine Tendenz? Hören wir immer schlechter zu, Kinder wie auch Erwachsene?
Bernius: Das will ich nicht unbedingt sagen. Ich glaube, was wir brauchen ist, dass wir einen Fokus richten darauf, dass Zuhören etwas so Wichtiges ist wie das Sprechen. Die Zuhörforscher sagen, das Zuhören ist die erste Sprachfertigkeit, also die erste Fertigkeit, die wir zum Sprechen brauchen. Das hängt unabdingbar miteinander zusammen. Also wir müssen nur darauf achten – und deshalb bin ich sehr dankbar, dass diese Kompetenzen ja auch in den Bildungsstandards stehen und dann auch natürlich nachgeguckt werden, wie funktioniert das -, wir müssen eigentlich den Wert des Zuhörens erkennen und viel damit verbinden, und dann wird es schon klappen. Denn jeder – das muss ich noch mal dazu sagen -, denn jeder weiß doch, kennt doch die Bedeutung, denn jeder ist doch auch froh, wenn ihm zugehört wird.
Frenzel: Das ist wohl wahr. – Besser zuhören, das ist das Ziel der Stiftung Zuhören. Volker Bernius arbeitet für sie. Ich danke Ihnen, Herr Bernius, für dieses Gespräch.
Bernius: Bitte.
Frenzel: Und mehr Informationen über diese Stiftung, die unter anderem auch vom Bayerischen und vom Hessischen Rundfunk unterstützt wird, die finden Sie im Internet. Zuhoeren.de ist die Adresse.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Sprachstörung bei jedem dritten Kind - Thomas Grobe plädiert für "mehr Zeit zum Sprechen in der Familie", (DLF, Campus & Karriere)
Besser geht aber auf jeden Fall und es gibt in Deutschland eine Stiftung, die sich ganz gezielt darum kümmert: die Stiftung Zuhören. Volker Bernius sitzt in ihrem Fachbeirat und arbeitet für sie und er hat mir jetzt hoffentlich zugehört, denn ich begrüße ihn in Frankfurt. Hallo, Herr Bernius!
Volker Bernius: Hallo, Herr Frenzel.
Frenzel: Ich fang mal dumm an. Zuhören kann doch jeder, da muss man nicht einen Tag in die Schule gehen. Was machen Sie eigentlich?
Bernius: Ja, wir fördern das Zuhören. Das heißt, wir wollen es bewusst machen, dass Zuhören etwas ist, was eben nicht von selbst entsteht. Wir hören, wenn wir auf die Welt kommen, aber wir geben dem, was wir hören, erst im Laufe der Zeit eine Bedeutung, und das ist eigentlich Zuhören. Was bedeutet das, was von hinten kommt, was so klingt, wie es klingt, und ich erschließe mir den Sinn dann aus dem, was ich höre, und das ist dann Zuhören, ich gebe dem eine Bedeutung. Das ist die eine Sache, ich hole mir die Information heraus, und die andere Sache, die mit dem Zuhören zu tun hat, heißt eigentlich verstehen. Wie geht es jemand, wenn ich ihm zuhöre? Kann ich das heraushören, kann ich Zwischentöne wahrnehmen? Also die Frage der Kommunikation, das hat natürlich auch mit Zuhören zu tun.
Frenzel: Wenn wir mal mit dem ersten Teil anfangen, mit dem Zuhören alleine. Wenn ich mich so umschaue auf der Straße, in der U-Bahn, da haben ja fast alle Menschen unter 30 Kopfhörer im Ohr. Wahrscheinlich gab es keine Generation, die so viel Audio im täglichen Leben hat wie diese. Ist das eine Entwicklung, die Sie glücklich macht?
Bernius: Nicht unbedingt. Nicht unbedingt, denn das hat ja damit etwas zu tun, dass man doch einem akustischen Alltagsbrei ausgesetzt ist und vielleicht doch nicht mehr so viel wahrnimmt, oder nicht mehr so viel Unterschiede hört, oder nicht mehr so viele bunte Dinge hört, sondern eher das graue Rauschen des Alltags hört. Auf der anderen Seite ist es natürlich so: Wenn jemand bewusst sich dazu etwas holt, also bewusst etwas hört, dann ist das natürlich auch gut. Dann sucht er sich das heraus, was ihm gut tut, und das ist natürlich auch okay.
Frenzel: Wie kann man das denn machen? Wie kann man etwas bewusst hören? Kann man das trainieren?
Bernius: Ja, man kann das schon trainieren. Es ist ja so: alles was wir täglich machen – und das ist ja das Zuhören -, darüber denken wir nicht mehr so nach, welche Bedeutung das hat, und die Bedeutung gerät dann etwas in den Hintergrund. Aber man kann es bewusst machen, indem man seine Ohren eigentlich öffnet, zum Beispiel dadurch, dass man Hörenswürdigkeiten im Alltag entdeckt, wie klingt eigentlich eine Rolltreppe, oder kenne ich den Ruf dieses Vogels, der da tönt. Also sozusagen diese kleinen Alttagsdinge, die wir im Vorübergehen wahrnehmen, die kann man sich natürlich bewusst machen. Das ist das eine.
Das andere ist: Man muss zuhören machen. Zuhören hat eher etwas Passives vom Wortspiel her. Das heißt, ich gehe hin und höre nur zu. Aber Zuhören ist etwas sehr Aktives. Da geht viel im Kopf ab, ich muss mir die Bedeutung sozusagen herleiten. Ich kann aber das auch machen, indem ich etwas gestalte. Ich kann einen Hörspaziergang machen, ich kann bewusst darüber sprechen, ich kann mir Bilder erstellen, die ich ja nicht vorgesetzt kriege beim Hören, die muss ich mir machen. Ich kann Unterschiede festhalten, wie klingt etwas, hoch, tief, laut, leise. Ich kann auch selber Aufnahmen machen, kleine Hörstückchen erfinden und anderen wieder zum Hören geben, und und und … Also es gibt da sehr viele kleine Dinge, die man machen kann.
Frenzel: Das sind ja auch alles Beispiele aus Ihrer Arbeit, die Sie anwenden in Kindertagesstätten, in Schulen. Wenn wir mal auf die klassische Familiensituation schauen: Ich gebe zu, ich habe diese Frage mitbekommen von meiner Frau für dieses Gespräch. Wie schaffen das denn Eltern, dass Kinder zuhören?
Bernius: Ich glaube, die Frage muss man den Eltern zurückgeben. Die sind ja eigentlich Vorbilder im Zuhören. Und wenn sie ein Vorbild abgeben, dann schaffen es Kinder auch besser, dass sie selber den Wert des Zuhörens erkennen, das heißt erkennen, aha, mir hört jemand zu.
Frenzel: Und wie mache ich das?
Bernius: Das hat auch viel mit Zeit zu tun. Es gibt Leute, die sagen, in einer Gesellschaft, die sich immer mehr beschleunigt, die also immer schneller wird, gerät so etwas, was Zeit braucht, eher in den Hintergrund. Das heißt, ich muss mir bewusst Zeit nehmen, um den Wert des Zuhörens zu erfahren, um mich dem anderen zu widmen, um ihm zuzuhören und in einen Dialog mit ihm zu treten.
Frenzel: Ich frage jetzt mal die Frage des Kulturpessimisten. Haben Sie denn da eine Tendenz? Hören wir immer schlechter zu, Kinder wie auch Erwachsene?
Bernius: Das will ich nicht unbedingt sagen. Ich glaube, was wir brauchen ist, dass wir einen Fokus richten darauf, dass Zuhören etwas so Wichtiges ist wie das Sprechen. Die Zuhörforscher sagen, das Zuhören ist die erste Sprachfertigkeit, also die erste Fertigkeit, die wir zum Sprechen brauchen. Das hängt unabdingbar miteinander zusammen. Also wir müssen nur darauf achten – und deshalb bin ich sehr dankbar, dass diese Kompetenzen ja auch in den Bildungsstandards stehen und dann auch natürlich nachgeguckt werden, wie funktioniert das -, wir müssen eigentlich den Wert des Zuhörens erkennen und viel damit verbinden, und dann wird es schon klappen. Denn jeder – das muss ich noch mal dazu sagen -, denn jeder weiß doch, kennt doch die Bedeutung, denn jeder ist doch auch froh, wenn ihm zugehört wird.
Frenzel: Das ist wohl wahr. – Besser zuhören, das ist das Ziel der Stiftung Zuhören. Volker Bernius arbeitet für sie. Ich danke Ihnen, Herr Bernius, für dieses Gespräch.
Bernius: Bitte.
Frenzel: Und mehr Informationen über diese Stiftung, die unter anderem auch vom Bayerischen und vom Hessischen Rundfunk unterstützt wird, die finden Sie im Internet. Zuhoeren.de ist die Adresse.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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