Zukunft der Arbeit

"Digitalisierung ist nicht gefährlich an sich"

Mitarbeiter der Firma DESMA in Achim schrauben in der Fertigungshalle an einer neuen Schuhbesohlungsmaschine. Statt Sohle und Schuhschaft wie üblich miteinander zu vernähen, spritzen Roboter flüssigen Kunststoff direkt an den Schuhschaft.
Trotz digitalen Fortschritts stehen in der Industrie Menschen am Fließband, gibt Enzo Weber zu bedenken. © dpa / picture alliance / Carmen Jaspersen
Enzo Weber im Gespräch mit Korbinian Frenzel und Holger Hettinger |
Menschen mit guter Ausbildung hätten wenig Probleme, sich beruflich auf technische Innovationen einzustellen, sagt Enzo Weber. Die große Herausforderung bestehe darin, die Bildungsfernen fit zu machen, damit diese nicht systematisch auf der Strecke blieben, warnt der Arbeitsmarktforscher.
Korbinian Frenzel: Ja, das sieht doch ganz erfreulich aus auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland. Vor gut drei Stunden sind die Arbeitslosenzahlen für den Monat Juli veröffentlicht worden, nach Abzug von Saisoneffekten, wie man so statistisch sagt, wie es die Experten formulieren, ist die Arbeitslosigkeit leicht gesunken und die Konjunktur brummt. Gut, man darf nicht vergessen, dass hinter all den Prozentzahlen die Schicksale von Menschen stehen, aber die leichte Aufwärtsdynamik ist doch insgesamt erfreulich.
Holger Hettinger: Allerdings, zwei Studien aus den USA und aus Großbritannien trüben die optimistischen Aussichten: Über die Hälfte der Arbeitsstellen in Deutschland seien bedroht – weil immer mehr Computer, Roboter und Maschinen mit künstlicher Intelligenz eingesetzt werden, stehen in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren 51,1 Prozent der Jobs auf dem Spiel, wie ein Ökonom der London School of Economics nun errechnet hat. Wie rasant eine solche Entwicklung gehen kann, sieht man beispielsweise im Taxigewerbe, wo Apps wie Uber oder MyTaxi das Taxigewerbe binnen kürzester Zeit umgekrempelt haben.
Frenzel: Werden wir nun alle durch Roboter ersetzt? Das ist nun unser Thema mit Enzo Weber. Er ist Forschungsbereichsleiter Prognosen und Strukturanalysen am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Einen schönen guten Tag!
Enzo Weber: Ja, guten Tag!
Frenzel: Herr Weber, die Hälfte aller Arbeitsstellen sind durch Automatisierung gefährdet, sagt die Londoner Studie, einen von uns beiden trifft's also. Wer von uns wird denn durch einen Roboter ersetzt, ich als Moderator oder Sie als Arbeitsmarktforscher?
Weber: Nun, ohne Weiteres kann man das nicht vorhersehen. Das Wesentliche bei solchen technologischen Innovationen ist ja, dass sie neu kommen und dass man sie eben nicht vorhersehen kann. Man kann sich natürlich bestimmte Gedanken machen, dass es vielleicht es im Einzelhandel oder in der Produktion oder auch in der Verwaltung zu Änderungen kommen wird, aber es wird mit Sicherheit auch Überraschungen geben, und vielleicht reden wir dann in einigen Jahren schon über ganz anderes als heute.
Hettinger: Ohne jetzt hier den Blick in die Kristallkugel allzu sehr provozieren zu wollen, aber können Sie ungefähr abschätzen und benennen, welche Jobs, welche Branchen, welche Stellenprofile denn besonders gefährdet sind?
Weber: Also zunächst das ganze Phänomen ist ja nicht besonders bedrohlich oder besonders ungewöhnlich.
Hettinger: Naja, 50 Prozent unserer Stellen ...
"Jedes Jahr verschwinden ungefähr drei Millionen Arbeitsplätze"
Weber: Ja, aber wenn wir in die letzten Jahre gucken, in den Arbeitsmarkt in Deutschland, was ist Alltag im deutschen Arbeitsmarkt? Jedes Jahr verschwinden ungefähr drei Millionen Arbeitsplätze, und ungefähr in der gleichen Zahl kommen sie wieder hinzu. Das heißt, dieses Phänomen, das ist auch in der Vergangenheit genauso aufgetreten. Wenn Sie das jetzt natürlich über zehn oder zwanzig Jahre hochrechnen, dann kommen Sie auf sehr, sehr hohe Zahlen. Aber das ist genau das, was der deutsche Arbeitsmarkt jedes Jahr an Arbeit leistet, nämlich neue Jobs schaffen und Beschäftigte von anderen Jobs wieder auf diese Jobs bringen. Das funktioniert natürlich überhaupt nicht immer reibungslos, aber das ist das, was jeden Tag passiert.
Frenzel: Nun ist natürlich die Frage, kann das jeder, das heißt, ein Job geht weg, ein Job geht verloren, gleichzeitig entstehen neue, aber die bedeuten ja eigentlich immer oder die bringen immer mit sich, dass man dafür qualifizierter sein muss, oder?
Weber: Das ist absolut richtig. Wenn wir uns zum Beispiel mal einige Beispiele aus der Vergangenheit angucken: Angefangen vielleicht mit dem mechanischen Webstuhl oder dem Geldautomaten, der es heute eben überflüssig macht, dass immer ein Bankangestellter noch hinter dem Schalter sitzt und die Scheine zählt oder vielleicht die Software, die es überflüssig macht, dass Buchhalter jede einzelne Zahl per Hand in eine Tabelle eintragen oder Roboter, die es der Menschheit eben abnehmen, dass viele, viele Menschen immer noch an Fließbändern stehen müssen. Also all das sind ja nicht unbedingt Rückschritte, trotzdem geschehen sie natürlich immer zu Zeiten, wo Menschen davon auch negativ betroffen sind.
Nicht jeder kann sich sofort an diese Änderung anpassen, deswegen gibt es vor solchen Änderungen auch immer Angst, und es gibt immer Widerstand gegen solche Änderungen, und das ist auch absolut gerechtfertigt. Denn wenn wir uns den Übergang angucken, die Umstellung, die Anpassung an solche Änderungen, dann bleiben Menschen dabei zurück. Das ist richtig, und das ist die entscheidende Aufgabe unseres Staates, diesen Menschen zu helfen. Es ist aber nicht alles Aufgabe des Staates. Die technologische Entwicklung ist sicherlich eine große, große Herausforderung, aber an dieser Herausforderung arbeiten auch Millionen von Menschen mit: Sie passen sich selbst an, sie wechseln auf neue Jobs, sie bilden sich weiter. Also das ist genau die Leistung unserer Gesellschaft, die sie erbringen kann und die sie natürlich auch in innovativer Weise erbringen muss, wenn sie erfolgreich sein will.
Hettinger: Herr Weber, Sie haben ja diesen Anpassungsprozess sehr anschaulich beschrieben, und das ist ja auch so ein bisschen das Schlagwort der Stunde, dass man sich qualifizieren soll, dass man fit sein soll für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Wie soll das eigentlich gehen, heute schon wissen, welche Fähigkeiten man jetzt in zehn oder zwanzig Jahren konkret brauchen wird?
"Fähigkeiten vermitteln, mit Neuerungen umzugehen"
Weber: Das kann man heute nicht wissen. Es gibt gewisse Empfehlungen, die in die Richtung gehen. Unser Bildungssystem sollte mehr digitale Fähigkeiten vermitteln, EDV-Fähigkeiten und Ähnliches. Das ist sicherlich gerade der Trend der Zeit, das ist vermutlich nicht falsch, grundsätzlich wird es aber darum gehen, im Bildungssystem den Menschen auch Flexibilität zu vermitteln, also nicht nur spezifisches, bestimmtes Wissen zu vermitteln, sondern Fähigkeiten zu vermitteln, auch mit Neuerungen umzugehen, Kreativität kognitiver Fähigkeiten. Das wird das Wesentliche sein, denn am Ende kann nicht unser Bildungssystem oder unser Staat mit dieser Herausforderung fertig werden, sondern jeder Einzelne ist gefordert und jeder Einzelne muss befähigt werden. Das klingt alles sehr schön, auf der anderen Seite, die noch wichtigere Aufgabe unseres Bildungssystems ist, gerade die Schwächeren mitzunehmen. Die Stärkeren, die schaffen es auch heute, und die haben es auch in den letzten zwanzig Jahren geschafft, mit den technischen Innovationen umzugehen. Da braucht man sich ja keine Illusionen zu machen. Die Bildungsferneren, diese Kinder und Jugendlichen, die müssen wir besser integrieren. So etwas wie Digitalisierung ist nicht gefährlich an sich, das ist nur gefährlich, wenn die Chancen ungleich sind, wenn Menschen systematisch zurückgelassen werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist es eine große Chance.
Frenzel: Ich bleib noch mal bei den Qualifizierten. Sie sagen, das klingt alles sehr schön, als Sie das gerade so beschrieben haben, für mich klang das alles ziemlich stressig. Dieses ganze ständige lebenslange Lernen, mit den neuen Techniken umgehen, ist das nicht auch ein Problem, sind wir vielleicht nicht am Ende alle auch mal überfordert?
Weber: Das ist sicherlich zum Teil auch stressig, man muss aber auch mal in die Vergangenheit gucken, was sich da alles getan hat. Wenn Sie sich überlegen, was für Produktionstechniken sind denn alle verschwunden, wie sieht das Ganze heute aus. Wie gehen die Jugendlichen heute damit um, ist es ein sonderlicher Stress, mit dem Smartphone umzugehen? Für die jungen Menschen selbstverständlich nicht. Das heißt, es sind sicherlich einerseits Belastungen, aber andererseits sind es ja auch Chancen, man kann weiterkommen. Viele, viele Menschen in Deutschland arbeiten jeden Tag daran, die Produktionsprozesse zu verbessern, neue Produkte zu entwickeln – das ist ja auch Fortschritt, da kann man ja auch Chancen drin sehen.
Hettinger: Schönen Dank! Das war Enzo Weber, Forschungsbereichsleiter Prognosen und Strukturanalysen am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Anlass unseres Gesprächs: die Arbeitslosenzahlen, die heute Vormittag veröffentlicht worden sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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