Zukunft der CDU

"Der Abschied von Merkel hat begonnen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht im Rahmen einer Pressekonferenz. Merkel hat Annegret Kramp-Karrenbauer als künftige CDU-Generalsekretärin vorgeschlagen.
Angela Merkel hat noch einige Jahre in politischer Verantwortung vor sich - ist aber nicht mehr die Zukunft der CDU, sagt der Historiker Paul Nolte. © imago / Inga Kjer / photothek.net
Paul Nolte im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Angela Merkel geht - mit sehr großer Wahrscheinlichkeit - in die letzte Legislaturperiode als Kanzlerin. Die CDU muss sich für die Nach-Merkel-Ära rüsten. Wie kann sie das tun? Sie ist längst dabei, sagt der Historiker Paul Nolte. Und sei dabei durchaus selbstbewusst.
Angela Merkel geht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in die letzte Legislaturperiode als Kanzlerin. Die CDU und ihre Göttinnendämmerung: Was kommt nach Merkel, die Deutschland und ihre Partei so lange geprägt hat? Der Historiker Paul Nolte sieht die Union momentan auf einem guten Weg. "Der selbstbewusste Abschied von Angela Merkel hat begonnen", sagte er im Deutschlandfunk Kultur.

Merkel bleibt noch vier - vielleicht auch nur zwei - Jahre

Für die CDU läuft es nach Ansicht von Nolte derzeit ziemlich rund. Die Ära Merkel werde noch zwei bis vier Jahre dauern: "Das ist im Moment relativ leicht zu sagen." Vier Jahre, wenn die Legislaturperiode regulär zu Ende geht - zwei Jahre, wenn es mittendrin Neuwahlen geben sollte.
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Saarlands Ministerpräsidentin, spricht auf einer Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus zu den Medienvertretern. Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Merkel hat Annegret Kramp-Karrenbauer als künftige Generalsekretärin vorgeschlagen. 
Annegret Kramp-Karrenbauer scheint momentan die besten Karten für die Merkel-Nachfolge zu haben© dpa / picture alliance /Kay Nietfeld
Die Frage nach der Merkelschen Amtsdauer sei derzeit viel leichter zu beantworten als jene, wie lange die Ära Nahles in der SPD dauern werde, sagte Nolte mit Blick auf die zerstrittenen Sozialdemokraten.
Das heiße aber nicht, dass der Wechsel in der CDU problemlos funktionieren werde, so der Historiker. Da werde es sicherlich noch Streit und Verwerfungen geben.

Kramp-Karrenbauer ist die Zukunft der CDU

In der CDU rumorte es in den vergangenen Wochen, vor allem wegen der Ressortaufteilung nach den Koalitionsgesprächen mit der SPD. Nachdem Merkel nun ihr Personaltableau verkündet hat, scheint die Debatte beendet. Am heutigen Montag soll die bisherige saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer auf einem Bundesparteitag in Berlin zur Generalsekretärin gewählt werden.
Sie sei auch - wenn Merkel geht - für den Parteivorsitz am besten aufgestellt, sagte Nolte. Kramp-Karrenbauer rufe innerhalb der Partei gute "Vibrations" hervor, analysierte der Publizist. Und die ersten Meinungsumfragen zeigten, dass ihr Name auch in der Wählerschaft ziehe.
Jens Spahn mit Angela Merkel im Bundestag
Jens Spahn mit Angela Merkel im Bundestag: die Verjüngung der CDU hat begonnen© imago stock&people
Zum Kurs von Merkel in der Vergangenheit sagte er, dieser sei richtig gewesen. Sie habe die Partei in die Mitte geführt. Dort sei die CDU immer erfolgreich gewesen.

Die CDU muss kantiger werden

Dennoch müsse die CDU in Zukunft wieder "kantiger" werden. Dabei gehe es nicht nur um mehr Spielraum für den konservativen Flügel. Sondern um einen Generationswechsel, für den beispielsweise Jens Spahn stehe. Und um mehr markt- und wirtschaftsliberale Elemente: "Das ist, glaube ich, noch wichtiger als das Konservative", sagte Nolte. (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Angela Merkel, die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende, geht voraussichtlich in die letzte Legislaturperiode im Kanzleramt. Die CDU muss sich also allmählich umsehen und sich rüsten für die Nach-Merkel-Ära.
Wie sie das tun kann inhaltlich und personell, darum soll es jetzt gehen in meinem Interview mit dem Historiker, Publizisten und Professor am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, mit Paul Nolte. Zuerst, Herr Nolte, schönen guten Morgen!
Paul Nolte: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Gestern hat ja Angela Merkel ihr neues Personal für das Bundeskabinett in spe vorgestellt, und da waren ja schon einige Überraschungen dabei. Am Montag zuvor hatte sie Annegret Kramp-Karrenbauer als neue Generalsekretärin der Öffentlichkeit vorgeführt. Heute soll der Koalitionsvertrag unterschrieben werden auf dem Unionsparteitag. Das klingt, als ob eigentlich alles gut ist gerade für Frau Merkel, oder?

Nicht allzu viel Basisdemokratie

Nolte: Tatsächlich läuft es in der letzten Woche ziemlich rund, und die CDU funktioniert eigentlich nach einem Muster, das sie eben, von der Art ihrer Partei, ihrer ganzen Organisation, ihres Selbstverständnisses, auch der SPD voraushat: Wir machen mal nicht allzu viel Basisdemokratie, da lassen wir uns nicht drauf ein, im Zweifelsfall stehen wir zusammen, die Personenentscheidungen sind wichtiger als endlose programmatische Diskussionen, und genau auf dieser Spur hat Angela Merkel das jetzt sehr erfolgreich zusammengezogen für’s Erste.
Billerbeck: Sie haben sich ja schon des Öfteren geäußert zum Thema, wann ist das Ende der Ära Merkel da. Es ist ja schon öfter eingeläutet worden. Ich weiß nicht, wie oft man ihr das Totenglöckchen als Politikerin gesungen hat. Sie ist immer noch da.
Nolte: Sicherlich seit der ersten Stunde, ja.
Billerbeck: Ja, man hat ihr eigentlich nichts zugetraut, und dass sie so lange Kanzlerin bleiben würde, das war damals nicht zu erwarten. Wie viel Zeit geben Sie ihr jetzt noch?
Nolte: Im Grunde ist die Frage ja jetzt viel einfacher zu beantworten als 2000, als sie Parteivorsitzende geworden ist und man an ihrer Kompetenz für das Parteiamt zweifelte, oder 2005, als Gerhard Schröder sie in der berühmten Wahlnacht gar nicht erst Kanzlerin werden lassen wollte.
Die Ära Merkel dauerte noch zwei bis vier Jahre. Das ist im Moment doch relativ leicht zu sagen.
Auf jeden Fall ist auch diese Frage, um die sich jetzt so auffällig viel dreht, natürlich auch aus verständlichen Gründen, ist diese Frage viel leichter zu beantworten als die parallele Frage, wie lange die Ära Nahles noch in der SPD dauern wird.
Angela Merkel hat sich erkennbar selber einen Zeithorizont gegeben, in dem sie den Wechsel vorbereitet. Ich sage nicht und ich glaube nicht, dass das deshalb problemlos funktionieren wird. Da sind noch Fallstricke drin, da wird es noch Streit und Verwerfungen geben, aber ich bin ziemlich sicher, sie peilt eine Übergabe spätestens zum Ende der …, spätestens zum Zeitpunkt der nächsten regulären Bundestagswahlen an, was die Spitzenkandidatur angeht.

Wann kommt der Wechsel beim Parteivorsitz?

Wenn es vorher Bundestagswahlen geben würde, möglicherweise dann auch mit einer anderen Spitzenkandidatin, das wäre nach meiner Vermutung, und nach dem, wie es jetzt aussieht, Frau Kramp-Karrenbauer, und es könnte sein, dass sie einen Wechsel im Parteivorsitz, in jedem Fall vor den nächsten Bundestagswahlen, schon ins Auge fasst.
Billerbeck: Nun liegen ja zwischen "Es endet in zwei oder vier Jahren" immerhin zwei Jahre. Sie haben sich also doch nicht so ganz festgelegt.
Nolte: Ja! Na ja, vielleicht ist das auch ein bisschen ein Übergang in Stufen, und man muss sehen, was passiert. In dem Parteiamt, für den Parteivorsitz also, ist tatsächlich Annegret Kramp-Karrenbauer im Moment am besten aufgestellt, auch innerhalb der Partei hat ihre Nominierung – heute muss sie ja dann erst mal gewählt werden, aber das wird sicherlich mit einem hervorragenden Ergebnis auch der Fall sein –, innerhalb der Partei hat das gute Vibrations hervorgerufen, sage ich mal, flügelübergreifend auch, und ich glaube, die ersten Indikatoren aus den Meinungsumfragen, die am Wochenende reingekommen sind, nach der Nominierung von Annegret Kramp-Karrenbauer, zeigen auch, dass ihr Name oder diese Neuaufstellung auch in der breiten Bevölkerung, auch in der Basis, in der Wählerschaft möglicherweise zieht.
Billerbeck: Ich bin beeindruckt, Herr Nolte, wie locker Sie schon diesen Doppelnamen über die Lippen bringen. Da üben viele ja noch dran!
Nolte: Wir können auch AKK sagen, ja!
Billerbeck: Viele Kritiker Merkels werfen ihr ja vor, innerhalb der Partei, und auch von außerhalb, dass sie die CDU sozialdemokratisiert habe, und es gab ja da alle möglichen Vorschläge, auch aus der CSU - also konservative Revolution wurde gefordert. Muss die Union aus Ihrer Sicht wieder konservativer werden, um sich profilieren zu können, oder ist der Kurs, den Merkel da gefahren hat, richtig?

"Merkels Kurs war richtig"

Nolte: Der Kurs, den Merkel gefahren hat, ist aus meiner Sicht richtig. Sie hat die Partei in die Mitte geöffnet und in der Mitte war sowohl die CDU immer erfolgreich, auch mit Adenauer mit Helmut Kohl, also sozusagen den beiden großen langjährigen Vorgängern im Parteivorsitz und im Kanzleramt von Angela Merkel, und das Gleiche gilt auch für die SPD, wie man in der Ära Schröder ja zuletzt gesehen hat. Wer hat die SPD zuletzt über die 40-Prozent-Schwelle gehoben – ein Kanzlerkandidat und dann Kanzler, der die neue Mitte der Facharbeiter, der IT-Angestellten umworben hat, wie Gerhard Schröder. Also da ist letztlich der Platz beider Volksparteien.
Aber die CDU muss auch wieder kantiger werden. Das ist ja eine der wesentlichen Forderungen, die jetzt auch aus der Partei herangetragen werden an Angela Merkel. Es geht nicht nur um das Konservative, es geht um die Verjüngung, also um einen Generationswechsel.
Dafür steht ja nicht zuletzt dann auch Jens Spahn – der Name ist bisher noch nicht gefallen in unserem Gespräch. Es geht, ja, auch um etwas mehr Spielraum wieder für den konservativen Flügel in der Partei, der aber auch nicht die liberalen Elemente der Partei verdrängen wird, die weiblichen Elemente, die gesellschaftspolitisch offeneren Elemente, für das gesellschaftspolitisch Offenere steht ja auch Jens Spahn, und nicht zuletzt geht es – das ist, glaube ich, noch wichtiger als das Konservative, das ist angesprochen mit Ihrem Stichwort Sozialdemokratisierung durch Merkel – tatsächlich etwas um eine Abgrenzung von diesem sozialpolitischen Profil, das stark wie die Sozialdemokratie auf den Staat setzt, also mehr marktliberale, wirtschaftsliberale Elemente.
Da liegen Kramp-Karrenbauer und Spahn übrigens auch gar nicht so weit auseinander, und, wenn ich das richtig sehe, wird ja auch der Parteitag heute ein Mandat formulieren: neue soziale Marktwirtschaft, Aufbruch in Richtung eines neuen Parteiprogramms der CDU. Dor werden diese wirtschaftsliberalen Elemente eine ganz große Rolle spielen, die werden wichtiger sein in den nächsten Jahren, diese Profilierung in diese Richtung als das Konservative, das ist meine Prognose.
Billerbeck: Also nichts rechts, nicht konservativ, sondern kantig, sagt Paul Nolte. Sie haben den Namen Jens Spahn schon erwähnt. Ich habe heute Morgen mit dem Chef unseres Hauptstadtstudios gesprochen, und Stefan Detjen hat ihn eher so ein bisschen als fachlich kompetent, aber als schillernde Figur geschildert, gar nicht so als dezidierter Merkel-Kritiker, als der er immer eingeschätzt wurde. Wie schätzen Sie ihn ein, in welche Richtung wird er gehen, wenn ihn Merkel ja jetzt im Bundeskabinett eingebunden hat?

Spahn muss jetzt erst mal zeigen, was er kann

Nolte: Erst mal muss er da jetzt auch Arbeit leisten und Verantwortung in einem Regierungsamt leisten. Das hat er bisher noch nicht getan. Viele andere, die sich warmlaufen für irgendeine Kanzlernachfolge, sind ja schon Ministerpräsident gewesen, also davon, dass Jens Spahn – auch Frau Kramp-Karrenbauer –, davon, dass Jens Spahn schon mal Ministerpräsident irgendwo war, haben wir bisher noch nicht gehört, aber er hat ja auch noch viel Zeit.
Man muss sich klarmachen, dass wir diesen bevorstehenden Generationswechsel ja doch sehr stark abgeschichtet diskutieren. Frau Kramp-Karrenbauer ist acht Jahre jünger als Angela Merkel, das ist kein so großer Unterschied, aber Jens Spahn ist noch mal 18 Jahre jünger, nicht als Angela Merkel, sondern als Annegret Kramp-Karrenbauer.
Also er hat auch noch viel Zeit, und insofern muss er auch zeigen, wo es für ihn hingeht, was sein Profil eigentlich ist, das Konservative, das Marktliberale, aber auch die gesellschaftspolitische Öffnung in Richtung einer Gesellschaft der freieren Lebensformen, in Richtung Sexualitäten zum Beispiel, wie er das unter einen Hut kriegt. Wenn er das unter einen Hut kriegt, dann ist das, glaube ich, etwas, was sehr für Jens Spahn in der Zukunft sprechen könnte.
Billerbeck: Kurze Frage zum Schluss: Ich weiß, das ist vermessen, aber wie kann sich die CDU denn auf die Zeit nach Merkel vorbereiten, jetzt schon?
Nolte: Im Grunde tut sie das jetzt mit den Entscheidungen von gestern, mit den Entscheidungen der letzten Woche und mit der Aufgabe, ein neues Parteiprogramm zu formulieren. Ich glaube, der Abschied, der selbstbewusste Abschied von Angela Merkel, der hat begonnen, der ist unterwegs.
Billerbeck: Die Nach-Merkel-CDU, das zukünftige Ende von Angela Merkel als Kanzlerin habe ich hier durchdekliniert mit dem Historiker Paul Nolte. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Nolte: Ja, vielen Dank, Frau von Billerbeck!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema