Eine Meeresteststrecke für Rostock
Rostock rühmt sich einer langen Tradition im Schiffbau. Die Zukunft liegt jedoch in der Unterwassermeerestechnik: Die Hansestadt baut an einer entsprechenden Teststrecke für Wissenschaftler und will ein führendes Unterwasserzentrum auf die Beine stellen. Einblicke in eine faszinierende Welt.
Zu Gast bei Eyk-Uwe Pap: Jahrgang '64, Ur-Rostocker und von jeher ein Kind des Wassers, wie der ehemalige Schwimmer, Taucher und Fischereifacharbeiter erzählt. Mit seinem Bruder gründete und führt Eyk-Uwe Pap die "Baltic Taucher GmbH", eine Rostocker Spezialfirma für Bergungs- und Taucharbeiten.
Auftragsbesprechung in dem frischbezogenen Bürogebäude direkt an der Warnow. Von hier aus starten die Rostocker Taucher mit gecharterten Spezialschiffen und eigener Unterwassertechnik in die Ostsee.
Vor allem dort führen sie Bodenuntersuchungen durch und räumen Minen, Bomben und steinerne Findlinge aus dem Weg, wo Häfen, Hochsee-Windparks, Kabel- oder Pipelinetrassen gebaut werden sollen. Sie untersuchen und heben Wracks. Sie inspizieren unter Wasser liegenden Stromkabel, überprüfen Schweißnähte von Erdgasrohren, reinigen die unter Wasser stehenden Gittermasten riesiger Windräder.
Ganz ohne menschliche Taucher werde es nie gehen, sagt Eyk-Uwe Pap. Doch um auch in Zukunft noch so gefragt zu sein wie heute, hätten sie unlängst das erste kommerzielle Roboterunternehmen Deutschlands gegründet: "German ROV". Das steht für "remotely operated vehicle" und meint ferngesteuerte Unterwassergeräte.
"Wir haben sogenannte Inspektionsroboter, die observieren. Und wir haben sogenannte "work class"-, als Arbeitsroboter, die gern auch mal 1.500 kg wiegen können. Und die arbeiten schon richtig unter Wasser. Die haben also zwei Arme mit Greifern. Ich kann mir damit zwar noch nicht die Schuhe zubinden, aber grobmotorisch kann ich handwerkliche Tätigkeiten damit ausführen. Wir sehen einen Roboter, der in eine Pipeline reinschwimmt, und wir sind in der Lage, heute Rohrleitungen bis zu zwei km Länge am Stück von innen zu untersuchen".
Es gibt noch keine nutzbaren Teststrecken
Doch in ganz Europa haben Entwickler und potentielle Anwender neuer Unterwasser-Meerestechnik ein Problem: Nirgends gibt es allgemein nutzbare Teststrecken. Notgedrungen koche jeder sein eigenes Süppchen, was unnötig viel Zeit und Geld fresse, sagt Eyk-Uwe Pap:
"Jeder muss seine Testreihen selber organisieren: Er muss sich Gewässerflächen suchen. Er muss sich ein Schiff suchen. Er muss das Wetter selber prüfen. Es gibt wohl in der Nähe von Eckernförde ein Testfeld, wo Torpedos getestet werden. Die Franzosen haben ein kleines Testfeld, wo eine Sache getestet wird. Die Norweger haben ein kleines für was anderes. Es gibt aber gar kein multifunktionales Unterwassertestfeld, wo verschiedene Partner mit ihren Robotern, kabellosen Fahrzeugen und Tauchern ihre neue Elektronik, ihre Messtechnik und Sensorik testen und kalibrieren können. Das gibt es weltweit noch nicht."
Das geht besser, findet Eyk-Uwe Pap und zählt mittlerweile zu den treibenden Kräften einer Initiative von Wissenschaftlern, Forschern und Anwendern aus der Region, die eine höchst ambitionierte Idee verfolgen:
"Rostock und Mecklenburg-Vorpommern soll der führende Standort für die Entwicklung und Erprobung von Unterwassertechnik im Meeresraum werden. Wir haben hier Idealbedingungen: Wir haben transparentes Wasser. Wir haben keine Strömung. Wir haben sandigen Boden. Kurze Entfernungen zum Hafen. Wir haben die Institute und die Hardware hier im Hafen. Perfekte Bedingungen".
Alle nötigen Dienstleistungen und Ausrüstungen aus einer Hand an einem Ort – so der Traum von Pap und seinen Kollegen. Das Zentrum für die Erprobung von Unterwassertechnik bestünde aus zwei Bereichen, erzählt der Bergungsspezialist. Da wäre zum einen das "Ocean Technology Center" – möglichst mit Sitz auf dem Gelände des Rostocker Fischereihafens direkt an der Kai-Kante. Das OTC wäre die Landstation, wo die die Nutzer Boote, Labore, Wasserpools, ein Testbecken finden würden.
Nur 15 Kilometer vom Hafen entfernt
Zweitens und genauso wichtig: das küstennahe Testfeld in der Ostsee. Der Wunschplatz für dieses Testfeld liegt nur 15 km vom Rostocker Fischereihafen entfernt, sagt Eyk-Uwe Pap und zeigt auf seinen Computerbildschirm.
"Jetzt sehen wir hier mal ´ne Karte zur Infrastruktur. Da ist also die Hansestadt Rostock drauf. Wir sehen den Seeweg. Am Seehafen Rostock vorbei, am Marina-Hafen vorbei, an der Werft Warnemünde vorbei verlassen wir das Tor zur See - die Molen von Warnemünde -, und fahren dann mit dem Boot nach links, also in westliche Richtung, ein paar Seemeilen. Sehen dann die Forschungsplattform des künstlichen Riffs vor Nienhagen. Da haben wir Wassertiefen von 9 bis 14 Metern. Und wenn wir nördlich, also seeseitig, daran anschließen, kommen wir zu unserem vorgesehenen Testfeld".
Die dortigen Wassertiefen seien ideal, um Unterseekabel, ein Windrad-Fundament oder eisenmagnetische Strukturen auszulegen. Zum anderen müsse man an künftige Forschungsschiffe denken, von denen aus die Testgeräte ausgesetzt, überwacht und gesteuert werden. Diese sogenannten DP-Schiffe mit dynamischer Positionierung legen keine Anker mehr aus, sondern halten sich mit ständiger Propellerbewegung in Position.
Hilfreich auch, dass die in Rostock sitzende Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei nicht nur keinen Einwand gegen die Erweiterung des eigenen Forschungsfeldes vor Nienhagen erhebt, sondern dass maßgebliche Kollegen wie Thomas Mohr sogar sagen:
"Also ich stehe erst einmal positiv dazu. Ich bin Ingenieur und was Unterwassertechnologien angeht, bin ich sehr interessiert. Also ziehe ich den Hut vor Kollegen, die Unterwasserroboter entwickelt haben, die in bis zu 11.000 Metern Wassertiefe funktionieren. Sagenhaft, beeindruckend."
Märchenhafter Badeort mit Hightech-Appeal
1906 als Badeort zwischen Rostock-Warnemünde und Heiligendamm erbaut, hat Nienhagen seinen Bewohnern wie Besuchern auch hundert Jahre später noch einiges zu bieten: Einen "Gespensterwald" mit bizarr geformten, mitunter märchenhaft anmutenden Bäumen. Einen breiten naturbelassenen Sandstrand.
"Und das ist jetzt der Blickfang vor der Küste in Nienhagen."
…sagt Thomas Mohr und meint die gelbleuchtende Plattform, die rund 1,5 km entfernt aus dem Ostsee-Sperrgebiet ragt. Keine Post-Boje, wie viele Spaziergänger vermuten, sondern Ausgangsort für tauchende Wissenschaftler und Forscher.
Hier hatten er und seine Kollegen mit Hilfe der BALTIC TAUCHER 2003 begonnen, ein künstliches Unterwasserriff zu bauen. Die Idee: Man bringe Naturstein und Beton ins küstennahe Wasser und schaue, unter welchen Umständen sich dort Lebewesen am besten ansiedeln.
"Denn wir streben an, künstliche Strukturen als Ausgleichsmaßnahme für Eingriffe, die auf See passieren, dann verwenden zu können."
Autorin: "Also das sind vor allem Windparks off shore, solche Sachen?"
"Windparks, Kabeltrassen - egal. Hafenbau, Molenbau".
Denn man muss wissen, dass Bauvorhaben unter Wasser durch diverse Naturschutzvorschriften genauso behandelt werden wie Infrastrukturprojekte an Land, sobald man dort in geschützte Gebiete eingreift. Dann sind Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle zwingend.
"Jede Wasserbaufirma sagt dann immer: Warum muss ich an Land einen Baum pflanzen? Warum darf ich nicht irgendwo der Ostsee etwas Gutes tun, wenn ich hier eingegriffen habe? Und wir haben 2003 gute 1.600 Betonelemente eingebaut, gut 2.500 Tonnen Natursteine liegen, die auf einer Fläche von 200 Meter mal 200 Meter - also etwas über 4 ha - dort platziert worden sind in etwa 12 Metern Wassertiefe".
Sie experimentierten mit der Beschaffenheit und Oberfläche von Gesteinen ebenso wie mit Hohlräumen und dem Anbringen flexibler Strukturen. Mit Hilfe von Rostocker Meerestechnik-Studenten brachten sie zum Beispiel Seile als Großalgen-Imitate ein. Würden sich Plankton, Algen, Muscheln, Würmer ansiedeln und würden Fische diese künstlichen Riffe als Rückzugs- und Schutzräume vor allem für ihren Nachwuchs annehmen? So die Fragen. Ergebnis:
"Wir haben dort übers Jahr über 100 Tonnen mehr Biomasse, die dann wieder in der Nahrungskette zur Verfügung steht. Und haben natürlich auch ein höheres Fischaufkommen, und das freut uns, Jungfische und Kleinfische halten sich dort sehr häufig auf".
Ambitioniertes Riff-Projekt
Und zwar auch Aal, Saibling und Dorsch, ergänzt Thomas Mohr. Im Moment werte man die letzten Daten aus, doch ansonsten sei dieses Riff-Projekt seit einem Jahr abgeschlossen. Geforscht wird hier zur Zeit nicht mehr, und eigentlich müsste man die erst 2010 vor Nienhagen installierte Plattform wieder abbauen, genau übrigens wie die etwas kleinere Plattform am künstlichen Riff vor Rosenort, sagt Thomas Mohr.
"Und das wäre schade. Sie sind noch fast neu und hätten bestimmt noch 20 Jahre da draußen die Chance, uns bei wissenschaftlichen Arbeiten zu begleiten. Und insofern bin ich da sehr dran interessiert, dass man in diesem Gebiet die Unterwassertechnologien erprobt und dort wissenschaftlich weiterarbeitet".
Die in die Plattformen investierten Steuergelder von mehr als 250.000 Euro würden so effektiver genutzt und fünfstellige Demontagekosten vermieden, meint Andreas Mohr von der Forschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern. Doch würden Flora und Fauna nicht empfindlich auf die künftigen Taucher und Unterwasserroboter reagieren, wenn Riff-Gebiete um das Testfeld erweitert würden?
"Nein. Wir haben selbst festgestellt, dass wir, wenn wir an den Strukturen gearbeitet haben als Taucher, nicht das Leben am Riff im Wesentlichen gestört haben. Also die Taucher sind weg und die Fische sind wieder da. Das sind Minuten. Da meine ich, dass man mit Einsätzen, die dort in Abständen von mehreren Tagen erfolgen, nicht wesentlich Auswirkungen auf den Fischbestand hätte".
Meine nächste Station: Das INMOS-Branchentreffen im Technologiepark Rostock-Warnemünde. INMOS steht für "Intelligente maritime Inspektions- und Monitoringsysteme", wie sie unter anderem von der Rostocker Firma "innomar Technologie" entwickelt werden. Geschäftsführer Jens Wunderlich schildert, wie die weltweit gefragten Sediment-Echolote von "innomar" es schaffen, mit Hilfe von Schallwellen bis zu drei Meter tief in den Meeresboden gesunkene oder verbuddelte Objekte zu finden und zu kartieren.
"Dazu gehören Kabel, Pipelines, militärische Altlasten. Dazu gehören archäologische Sachen, was insbesondere bei Hafenausbauten interessant ist. Wenn wir daran denken, das Kulturerbe zu schützen; also bevor ich irgendwo baggere, muss ich wissen: Was liegt da? Was würde ich eventuell zerstören? Der Wasserstand ist gestiegen im Laufe der Jahrhunderte, und gerade alte Siedlungen - also, es ist slawisches Gebiet hier gewesen früher. Diese alten Siedlungen liegen heute alle unter Wasser. Aber auch als wachsender Markt: Windparks entstehen. Da muss man gucken: Was ist da schon? Aber auch, wie ich Installationen, die ich heute errichte, schützen kann, damit sie nicht durch Strömung, durch andere Schiffe beschädigt werden, was dann zu Kosten oder auch zu Umweltschäden führen kann",
sagt Jens Wunderlich.
Ist das Netz zerrissen oder noch stabil
"Wir wiederum interessieren uns für die ganzen anfallenden Daten im Unterwasserbereich. Also: Wie führe ich die Daten zusammen, wie werte ich sie aus?"
...erklärt Thomas Ruth vom Rostocker Fraunhofer Institut für Graphische Darstellung (IGD).
...erklärt Thomas Ruth vom Rostocker Fraunhofer Institut für Graphische Darstellung (IGD).
"Weil Hardware und Sensorik ist schon eigentlich schon ganz gut, und da gibt es auch in Deutschland viele Firmen. Aber dann aus den Daten wirklich was zu machen, da gibt´s nur wenige Spezialisten. Und da wir an der Küste sind, interessieren wir uns besonders dafür, wie man aus Unterwasserdaten dann auch Wissen gewinnen kann".
Jeder auf diesem Branchentreffen kann der Idee eines "Ocean Technology Centers" in Rostock viel abgewinnen. Denn gerade die Entwickler von Unterwassermeerestechnik wollen ihre neuesten Ideen und Produkte gerne kostengünstiger erproben als derzeit, da sie ihre Elektronik mal zum Bodensee bringen, mal in Drucktank und Strömungskanal der Universität Rostock , mal ins Wasserbecken von Southampton (England). Unterwasserakustiker Jens Wunderlich:
"Da kann man ´ne ganze Menge machen, aber nicht alles. Das heißt, man braucht eigentlich Freifeld-Bedingungen, also echte Naturbedingungen. Deswegen ja auch dieser Ansatz des OTC, also dass man bessere Testmöglichkeiten vor Ort hat. Das ist die richtige Idee, ja. Also das ist ´ne Sache, wo man hin muss, wenn man weltweit mitspielen will am Ende. Und man kann sicherlich auch mit solch einem Center andere, also auch ausländische Partner gewinnen und interessieren, die dann hierher kommen, um ihre Sachen zu erproben. Was dann natürlich auch wieder zu neuen Zusammenarbeiten, Synergien führen kann. Da gibt es in Deutschland nichts Vergleichbares. Also auch wir wären dabei. Wir haben von Anfang an unser Interesse bekundet. Schaun wir mal".
Und das "Fraunhofer Institut für Graphische Darstellung"? Thomas Huth:
"Wir interessieren uns da, weil wir als Fraunhofer anwendungsnahe Forschung machen, ein wenig stärker für den Forschungsaspekt. Sprich: Wo gibt es noch Entwicklungsbedarf, Forschungsbedarf, um Firmen zu unterstützen?"
Ist das Netz zerrissen oder stabil? Woraus besteht der Fang? Mit diesem kamerabewehrten Unterwasserfahrzeug, das gerade in einer garagengroßen Halle gewartet wird, könne man das genau beobachten, schwärmt Dr. Daniel Stepputis und öffnet das Tor zur Kaikante.
"Oh Mann, ist das hübsch! Es ist alles im Nebel dahinten. Das ist ja traumhaft schön, oder?"
Tatsächlich tauchen Vormittagssonne und leichter Nebel die letzten Kilometer der Warnow vor dem Einmünden in die Ostsee in bezauberndes Licht. Jedenfalls hier, wo das Rostocker Thünen-Institut für Ostseefischerei seinen Sitz hat und sich im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums um alles kümmert, was mit kommerziell verwertbaren Fischbeständen zu tun hat.
Roboter, die um Windparks kurven
Daniel Stepputis leitet die Arbeitsgruppe Fischerei- und Surveytechnik, bei der es unter anderem um Unterwassergeräte zur Beobachtung von Fangnetzen geht.
"Wenn man an Meerestechnik denkt, denkt man meistens an Schiffe, an selbstfahrende Unterwasserfahrzeuge, an ROVs, mit denen man irgendwie um die Windparks herumfährt. Aber ein ganz wesentlicher Teil der Meerestechnik betrifft auch die Nutzung der Meere. Und da ist eine sehr wichtige Nutzung die Fischerei. Und da kann man einiges technisch tun, und genau das tun wir: Wie kann ich verhindern, dass ich Sachen fange, die ich gar nicht fangen möchte oder fangen darf? Wie kann ich ein Netz so bauen, dass es möglichst wenig Energie benötigt es durchs Wasser zu ziehen? Und das Dritte? Natürlich generelle Umweltauswirkungen. Also wenn ein Netz am Meeresboden fährt, hat das potentiell Auswirkungen auf die Meeresumwelt, und die kann man unter Umständen reduzieren. Da arbeiten wir dran."
Auch Thünen möchte mitmachen in einem künftigen Ocean Technology Center. Die Akteure in Sachen Unterwassertechnik seien ja im Grunde alle schon da, sagt Institutsdirektor Christopher Zimmermann. Er weiß aus der Arbeit in anderen Netzwerken wie "Rostock denkt 360 Grad", das die Hansestadt als Wissenschaftsstandort bewirbt, dass eine Struktur wie das OTC für so spezielle Bereiche wie die Unterwasser-Meerestechnik sehr nützlich sein kann.
"Wir leiden schon alle darunter, dass es jeweils ein Orchideenfach ist. Es gibt Leute, die sind gut in der Automatisierung bzw. in der Automation. Es gibt Leute, die gut in graphischer Computeranalyse sind. Wir sind gut in der Entwicklung von Survey-Technologien oder selektiven Fanggeräten usw. Aber ich denke schon, dass, wenn alle auch nur wüssten, was die anderen machen, es schon ungeheure Synergien gäbe. Wir sind zu jeder Mithilfe bereit."
Das freut auch den Vater der Idee, den wir auf der nächsten Station treffen – auf dem Campus Südstadt der Fakultät Maschinenbau und Meerestechnik.
"Mein Name ist Mathias Paschen. Ich bin Leiter des Lehrstuhls für Meerestechnik an der Universität Rostock. Ich führe Sie jetzt in das Strömungslabor. Dort haben wir einen großen Windkanal, um Strömungsanalysen an Unterwasserfahrzeugen, an Unterwassergeräten, netzartigen Strukturen oder auch anderen Dingen zu machen. Wir haben auch Schiffspropeller manchmal da drin, Schiffsruder, Tragflügel von Flugzeugen..."
Wie sich diese Geräte oder Einzelteile im tiefen Wasser verhalten, lasse bei diesen Trockentests mithilfe von Umrechnungsformeln ermitteln, erklärt Prof. Paschen und weist stolz auf den Niedriggeschwindigkeits-Windkanal - die seiner Meinung nach "schönste Anlage ihrer Art zwischen Hamburg und Dresden". Sie steht in einer äußerlich eher schäbig anmutenden Halle und macht auf den ersten Blick nicht viel her. Denn man weil sie hinter der Metallverkleidung stecken, sieht man sie nicht: die horizontal angebrachte Düse, das 3-Phasen-Motorantriebssystem, die Lichtfeldkamera, die 6-Komponenten-Kraftmesswaage, die betonierten Wände.
Lärm im Windkanal
Auf den zweiten Blick erkennt auch der Laie: Der Windkanal ist zweigeschossig. Wer die zu testenden Geräte oder Strukturen auf dem knapp 3 Meter langen und 1,4 Meter hohen Messfeld anbringen will, muss eine Leiter hinaufsteigen. Als eine Mitarbeiterin den Windkanal hochfährt, füllt sich die Halle mit anschwellendem, bald ohrenbetäubendem Lärm. Das sei nur der Wind, sagt Prof. Paschen. Die Turbinen höre man nicht.
"Wir können Strömungsgeschwindigkeiten geregelt zwischen null und 65 Meter pro Sekunden erzeugen. 65 m/s - das ist fast doppelter Orkan, also über 230 Kilometer pro Stunde".
Mathias Paschen greift das Modell eines Gleiters, den sie hier kürzlich getestet haben. Dieser unbemannte Tauchroboter ähnelt in der Form einer Thermosflasche mit perfekt gerundetem Kopf und Ende. An der Seite: zwei Tragflügel ähnlich wie bei einem Segelflieger. Dieser Prototyp kommt ohne Propeller aus. Gut so, meint Prof. Paschen, denn ein Propeller würde Schall erzeugen und die an Bord befindlichen hydroakustischen Geräte stören. Gefragt sei deshalb ein geräuschloses Gleiten durch das Wasser.
"Ein ganz einfacher Fall ist die Echolotung. Oder wenn Sie kleinste Körper identifizieren wollen über Hydroakustik, wie das in der Biologie stattfindet oder in der Fischerei. Oder wenn Sie sogar in ein Sediment hineinorten wollen."
Im Windkanal der Rostocker Meerestechniker kann man Verhalten der entwickelten Unterwassergleiter unter verschiedenen Strömungsbedingungen testen.
"Ja, ein ganz anderes Beispiel: Sie sehen hier so ein Netzgitter. Nun werden Sie fragen: Was kann man mit so einem Fischereinetzmaterial im Windkanal tun? Hier geht es um multitrophische Aquakultur".
Genauer gesagt um den Kampf gegen Wasserverschmutzung durch Fischfarmen. Denn dort erzeugen die in Käfigen aufgezogenen Speisefische auf relativ engem Raum relativ viele Exkremente. Die Idee der Kollegen vom Rostocker Thünen-Institut für Ostseefischerei: An nahebei gespannten Netzen sollen sich Muscheln und Algen festsetzen, die ihrerseits die Ausscheidungen der Fische "verstoffwechseln" und damit wie ein Wasserfilter wirken.
"Und unsere Aufgabe als Ingenieure besteht darin, zu schauen: Was machen denn die Strömungen? Wie bewegen sich dann die Stoffwechselprodukte? Wie bewegen sich die Futterreste durch den Wasserkörper? Wo muss ich meine Muschelfarmen ansiedeln, wo meine Algen?"
Ein Unterwassertechnikzentrum für Rostock
Längst arbeite die älteste Meerestechnik-Fakultät einer deutschen Universität eng mit industrienahen Entwicklern und Anwendern aus Rostock und Umgebung zusammen.
"Bevor wir aber in die Tiefsee gehen oder bevor wir Produkte soweit zur Marktreife bringen, dass wir jemandem auch sagen: `Das kannst Du guten Gewissens kaufen`, müssen wir das nach allen Regeln der Kunst testen. Und dafür brauchen wir ein großes Labor, das da heißt: Ostsee". Und hier kommen viele Dinge zusammen: Hier kommt einmal die Universität. Wir haben Fraunhofer-Institute. Wir eine Reihe kleiner und mittelständischer Unternehmen, die im Bereich Unterwassertechnik-Entwicklung dabei sind. Und wir haben mit dem Thünen-Institut und dem Institut für Ostseeforschung Warnemünde größere Nutzer auch. Wir können es von der Grundidee bis zur Erprobung und zum ersten Einsatz als Community eigentlich hier durchführen".
Also entwickelte Mathias Paschen mit zwei weiteren Rostocker Meerestechnikprofessoren den Plan, in der mecklenburgischen Hansestadt ein umfassendes Unterwassertechnikzentrum zu errichten.
"Wir müssen uns bündeln, und Rostock, wenn wir weiter mitspielen wollen in der 1. Liga, müssen wir Dinge anbieten können, die unsere Kollegen an anderen Standorten eben nicht können".
Gut, dass sich Universitätsleitung, Mitglieder der Landesregierung und das Rathaus inzwischen grundsätzlich positiv äußern, sagt Prof. Paschen. Aber:
"Der internationale Wettbewerb wartet nicht auf uns. Zurzeit sind wir noch auf Augenhöhe. Wenn wir jetzt noch lange diskutieren, verlieren wir Zeit. Demzufolge: Lassen wir uns jetzt noch drei, vier Jahre. Dann muss aber ein deutlicher Fortschritt erkennbar sein. Sonst reden wir nur und haben nichts gekonnt".
Das weiß auch Dr. Chris Müller, der für die Finanzen zuständigen Vize-Oberbürgermeister von Rostock. Klar ist ihm zudem, dass ein Ocean Technology Center samt Testfeld letztlich ein millionen teures öffentlich finanziertes Projekt sein müsste, denn:
"Die Firmen haben ja alle die Schwierigkeit, dass alleine solche Projekte zu entwickeln fast unmöglich ist. Keiner hat die wirtschaftliche Kraft, Becken, Meeresströmungstechnik vorzuinvestieren in der Hoffnung, ich kann anwendungsreife Produkte entwickeln. Das geht nur im Verbund, und da werden wir jetzt untersuchen: Was brauchen wir an Land und im Wasser? Wer betreibt so was? Was sind das für laufende Kosten? Wie lange kann man so was betreiben? Wo müssen die Finanzierungsbeiträge herkommen, was ist mit der Förderung? Also: Ist eine Finanzierung für ein solches Center darstellbar? Für uns wird entscheidend sein: Wir wollen ja nicht einfach ein weiteres Technologiezentrum bauen. Das heißt, wir brauchen einen Innovationscampus, der Industrieforschung im reinsten Sinne ist. Am Ende kommen Technologien ´raus, die eine Chance haben in Produktion zu gelangen. Da brauchen wir belastbare Informationen, sonst folgt uns da auch keiner".
Im Oktober schrieb die Stadt Rostock eine Machbarkeitsstudie für ein Entwicklungs- und Testzentrum für Unterwassermeerestechnik aus. Bislang haben sich rund zwei Dutzend Projektierungsbüros gemeldet. Spätestens im Januar wolle man den Zuschlag erteilen, erklärt Rostocks Finanzsenator und Vize-Oberbürgermeister Chris Müller.
"Weil wir wollen, dass wir im Sommer Ergebnisse vorliegen haben, damit das Thema jetzt auch nicht auf die lange Bank geschoben wird, sondern dass man da jetzt dran bleibt und sieht: Ist das was, wo wir was in Rostock bewegen können"?
Zurück im Büro von Eyk-Uwe Pap an der Warnow. Der Bergungsspezialist und Geschäftsführer von "Baltic Taucher" versteht, dass potentielle Nutzer wie er die Machbarkeitsstudie abwarten müssen. Zugleich hofft er, dass sich die nötigen Planungsverfahren nicht unnötig in die Länge ziehen werden. Rostock würde sich viel vergeben. Er stoße jedenfalls auch bei internationalen Kollegen auf großes Interesse, sobald er denen von dem Rostocker Ocean Technology Center samt Ostsee-Testfeld berichtet.
"Und die erste Frage lautet immer: Wann ist es fertig? Weil auch Kollegen von mir Kalibrierungsstrecken brauchen, insbesondere in der Welt der Kampfmittelräumer, die dieses Testfeld gerne nutzen würden um ihre Elektronik zu prüfen. Und wir wollen es ja auch nutzen für die Ausbildung der Roboterpiloten. Wir wollen hier die erste ROV-Pilotenschule Deutschlands gründen. Wir wollen im Rahmen unserer Berufstaucherausbildung dort Trainings durchführen. Also wir sind heiß auf das Testfeld, und jedes Jahr, das das eher installiert wird, kann das für unsere Lehrlinge, für unsere Auszubildenden nur gut sein".