Sonne scheint nicht mehr über Sachsen-Anhalt
Das Klimamärchen im Solar Valley in Thalheim ist ausgeträumt. Statt Aufschwung und rund um die Uhr laufende Fließbänder, stehen viele Werkshallen heute leer. Ein Besuch in der einstigen Hoffnungsregion.
"Solar Valley" steht auf einem Schild. Am Rande Thalheims bei Bitterfeld. Der schwarze Pfeil auf weißem Grund wirkt heute wie eine verschwommene Erinnerungsmarke. Als im Südosten Sachsen-Anhalts - in der einst völlig verkommenen Industrieregion Bitterfeld/Wolfen/Halle - ein Klimamärchen vom Aufbruch in eine neue Zeit gesponnen wurde.
"Das ist noch ein Solar Valley, in sofern wir hier die Speerspitze der Technologie bilden."
Sagt Jochen Lendle. Unternehmenssprecher bei Hanwah Q-Cells. Die einst weltgrößte Solarzellenmanufaktur war mal das prägende Gesicht des Aufschwungs der Region. Rund um die Uhr wurden Solarmodule produziert. Lastwagen kamen im Minutentakt vorbei, um die leuchtend blauen Paneele einzuladen. Die Aktie schoss in die Höhe und erreichte zu ihren besten Zeiten 100 Euro. Es gab einen hauseigenen Kindergarten, einen kostenfreien Shuttleservice zwischen Bahnhof und Werk, gar eine Q-Cells Band. Von Goldgräberstimmung damals ist heute aber kaum noch was zu sehen, gesteht Lendle.
Die meisten Werkshallen stehen heute leer, daneben wächst der Raps. Von den rund 3000 Arbeitsplätzen sind einige Hundert geblieben. Seit 2012 ist die Solarzellenproduktion in Deutschland immer mehr eingebrochen. 2012 drängten vor allem chinesische Unternehmen mit aller Macht und Dumpingpreisen in den Markt. Mit dem Ergebnis, das heute 70 bis 80 Prozent aller Solarmodule in China produziert werden.
"Der Weltmarkt boomt."
Sagt Jörg Bagdahn. Direktor am Forschungszentrum für Silizium-Photovoltaik in Halle, einem der größten Solarforschungsinstitute Deutschlands.
"Wir haben letztes Jahr 25 Prozent Wachstum gehabt, dieses Jahr ähnlich. Die Wachstumsmärkte sind jetzt nicht mehr in Europa, sondern die sind sehr stark in Asien."
Aus der kleinen Solarzellenfabrik wurde ein Milliardenunternehmen
1999 gründete das Westberliner Ingenieurs-Kollektiv Wuseltronik bestehend aus Kreuzberger Atomkraftgegnern das Unternehmen Q-Cells. Aus der kleinen Solarzellenfabrik wurde schnell ein milliardenschweres Unternehmen, das zu Bestzeiten
einen jährlichen Umsatz von 1,25 Milliarden Euro machte. Doch dann kam die Solarkrise, Q-Cells meldete Insolvenz an. Im Herbst 2012 übernahm der südkoreanische Misch-Konzern Hanwha Q-Cells, eines der größten börsennotierten Unternehmen im ostasiatischen Raum. Viele Q-Cells Mitarbeiter konnten vorerst ihre Arbeitsplätze behalten. Ende Januar kam der letzte Schlag für das Solar Valley. Völlig überraschend verkündete die Hanwah-Gruppe, dass sie die Solarzellenproduktion am 1. März 2015 einstellen will.
"Das hat mich persönlich tief getroffen."
Gesteht Sachsen-Anhalts CDU Ministerpräsident Reiner Haseloff. Mit dem Ende der Solarzellenproduktion von Solarzellen, sollen nun weitere 470 Arbeitsplätze abgebaut werden. Auch im Bereich der Forschung werden bei Hanwah/Q-Cells nach eigenen Angaben künftig nur noch 180, statt der ursprünglich 300 Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Dennoch: Das Unternehmen hält am Forschungsstandort Bitterfeld fest, als Hersteller für High-End-Produkte im Solarbereich, glaubt Tamara Zieschang. CDU-Staatsekretärin im Magdeburger Wirtschaftsministerium.
"Durch die Entscheidung von Hanwah/Q-Cells jetzt auch seine Produktion nach Malaysia zu verlegen und im Bereich Forschung und Entwicklung, vollkommen und zwar international – also konzernweit – im Bereich Photovoltaik auf Bitterfeld und Thalheim zu konzentrieren, zeigt eben, dass als Forschungs- und Entwicklungsstandort, dass Solar Valley weiter Bestand haben wird. Aber es ist eben ein verändertes Gesicht."
In der Solarindustrie ist in Deutschland generell ein Wandel zu beobachten. Weg vom Produktionsstandort von Solarmodulen, hin zum Forschungsstandort. Die Formel ist relativ einfach, sagt Solarexperte Jörg Bagdahn vom Fraunhofer Institut in Halle.
"Man steht natürlich im internationalen Wettbewerb. Und die Forschung und Entwicklung bleibt natürlich so lange hier, so lange sie im weltweiten Wettbewerb besser ist, als an einem Alternativ-Standort."
Nur 15 bis 20 Prozent des Sonnenlichts werden in Strom umgewandelt
Das Hallenser Fraunhofer-Zentrum für Silizium Photovoltaik - kurz CSP ist ein Leuchtturm in Sachsen-Anhalt. In einem gläsernen Kasten auf einem Hügel am Rande der Plattenbaustadt Halle-Neustadt, wird High-Tech Forschung in Sachen Solarenergie betrieben. Dort tüftelt man beispielsweise daran, wie der Wirkungsgrad von Solarmodulen weiter erhöht werden kann, bislang wandeln Module für den Massenmarkt nämlich nur 10 bis 15 Prozent des Sonnenlichts in Strom um. Damit diese und andere Erfolgsgeschichten weitergeschrieben, der Ausbau des Solar-Technologie-Standortes Sachsen-Anhalt weitergetrieben und damit Sachsen-Anhalt nach der großen Solar-Branchenkrise wieder in die Spur findet, hat CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff erst im vergangenen Herbst in der Hanwah-Zentrale in Seoul, im 21. Stock eines gigantischen Bürotowers Forschungsprojekte im Wert von 5 Millionen Euro vereinbart.
"Vielleicht kennen ja sogar die Ostdeutschen ihre eigenen Erfolgsgeschichten zu wenig, um stolz auf sie und sich selbst zu sein". Schrieb die Schriftstellerin Monika Maron 2009 in ihrem Bericht BITTERFELDER BOGEN über die Entwicklung des Solar Valleys in Sachsen-Anhalt. Ähnlich sehen es Mitarbeiter am Fraunhofer-Zentrum für Silizium Photovoltaik, die sich aber öffentlich nicht äußern. Sie kritisieren, dass man hierzulande viel zu zögerlich, zu verzagt sei; dass man deutlich mehr in den Forschungsstandort Sachsen-Anhalt investieren müsse. Jörg Bagdahn formuliert es diplomatischer.
"Wichtig ist, dass man die Unternehmen, die noch am Standort Deutschland tätig sind, in ihren Forschungs-und Entwicklungstätigkeiten auch durch öffentliche Förderprojekte mit unterstützt. So dass sie den Technologievorsprung, den sie momentan immer noch haben, dann auch halten können."
Noch würden weltweit rund 60 Prozent aller Produktions-Anlagen, die zur Herstellung von Solarmodulen nötig seien, aus Deutschland stammen. Wie zum Beispiel die menschengroßen Roboter, die die Wafer herstellen. Das sind jene höchst dünnen Siliziumscheiben, die die Grundlage jeder Solaranlage bilden, damit man aus Sonnenstrahlen elektrische Energie erzeugen kann.
Jörg Bagdahn mahnt, den Weltmarktvorteil Deutschlands und damit auch Sachsen-Anhalts nicht aufs Spiel zu setzen. Ansonsten – so das Szenario – würden auch hier die Asiaten den Deutschen das Licht ausknipsen. Und:
Der Photovoltaikmarkt wächst. Laut einer Studie der amerikanischen Beratungsfirma Marketsandmarkets beträgt die jährliche Wachstumsrate rund 18,3 Prozent. 2020 wird mit Investitionen von etwa 346 Milliarden Dollar gerechnet.
Davon könnte auch der Hochtechnologiestandort in Sachsen-Anhalt profitieren. Aber nur dann, prognostiziert Solarexperte Bagdahn, wenn man Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft deutlich besser miteinander verzahne, als bisher. Dabei gelte es auch die gesamte Palette mittelständischer Unternehmen in der Region, mit in den Blick zu nehmen.
In Thalheim steht die Sonne nicht mehr im Zenit
"Das ist die Firma Innotech Solar, ein norwegisches Unternehmen, was hier in Halle größtenteils seine Forschung und Produktion inne hat. Wir haben die Firma Calyxo in Thalheim, die Dünnschichtmodule herstellt, die Firma Solibro. Es gibt ja weiterhin Unternehmen, aber auch viele kleine mittelständische Unternehmen die in den Bereichen der Installation tätig sind. Es ist schon so, die Firmen können sich im Wettbewerb nur da abgrenzen, wenn sie ein Produkt anbieten, was qualitativ höherwertig ist oder technisch besser ist. Und dazu müssen sie Forschung und Entwicklung betreiben. Ansonsten gehen sie in so einem Massenmarkt unter."
Zurück nach Thalheim, wo die Sonne schon lange nicht mehr am Zenit steht. Längst hat die Dämmerung eingesetzt. Nichtsdestotrotz: Die Menschen sind es hier gewohnt zu kämpfen. Auch der Betriebsratsvorsitzende bei Hanwah Q-Cells, Uwe Schmorl, den hier alle nur Schmorli nennen.
"Ja, natürlich gibt’s noch Solarfirmen. Es heißt jetzt Technologiepark. Wir bauen jetzt unser Unternehmen um, zum reinen Technologie- und Entwicklungsstandort. Und dann glaube ich schon, dass wir in dieser Größenordnung Bestand haben. Und dieser Park, als Technologiepark seine Berechtigung hat."
Der Anlagenbauer und Fußball-Kurzzeitprofi ist seit den ersten Tagen mit dabei. Das metallene Schild Solar Valley, dass schon so einigen Stürmen getrotzt hat, will er jedenfalls nicht abschrauben. Auch wenn immer eine kleine Prise Skepsis mitschwingt,
wenn er seinen Lieblingssatz sagt:
"Ob das gut geht, dass weiß noch nicht mal David Copperfield. Dass wir das Potential haben, dass wissen wir."