Zukunft von Musikfestivals

Nach dem Hunger kommt der Heißhunger

08:05 Minuten
Tausende Musikfans stehen eng zusammen und wogen hin und her, in einiger Entfernung sieht man die Bühne als hell erleuchteten Fleck.
Musikfans feiern beim Konzert: "Man wird bei einem Festival zu einem kollektiven Körper", sagt Markus S. Kleiner. © Unsplash / Danny Howe
Marcus S. Kleiner im Gespräch mit Andrea Gerk |
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In diesem Jahr fallen die großen und kleinen Musikfestivals wegen der Corona-Pandemie zumeist aus. Was heißt das für die Zukunft? Der Medienwissenschaftler Marcus S. Kleiner ist sich sicher: Nach dem Sommer auf Entzug wird die Nachfrage noch steigen.
Bis Ende August sind in Deutschland alle Großveranstaltungen untersagt - und ob es danach wieder losgehen kann, das weiß im Moment niemand. Damit ist auch der Musikfestivalsommer dahin, dieses Erleben eines mehrtägigen Ausnahmezustandes.
Marcus S. Kleiner ist Leiter des Master-Studiengangs Erlebniskommunikation an der SRH Berlin University Of Applied Sciences, und er geht auch auf Festivals. Als Wissenschaftler sagt er, die großen Festivals seien eigene Marken mit eigenen Stärken, die auch unabhängig seien von den Bands, die dann da spielten.

Festivals sind Marken

Man wolle eine gute Zeit haben: Zeltplatz, Gemeinschaft, Austausch, Abenteuer. Es geht um das Extraleben am Wochenende, sagt Kleiner. "Man bucht das Erlebnis, Festival ist immer Erlebniskultur" - und solche Erlebnisse gäben einen emotionalen Mehrwert: "Wir fühlen uns einfach gut, wir erleben, wir spüren die Gemeinschaft. Das sind so positive soziale Werte, die wir bei einem Festival erleben, und die wir auch brauchen." Daher seien Festivals Selbstläufer.
Er halte es für unmöglich, das Festivalerlebnis zu digitalisieren. Livestreams seien zwar ein Angebot, das zur Zeit passe, sagt der Erlebnisforscher - die Veranstalter wollten den Fans etwas bieten und auch Einnahmen generieren. Aber er selbst sei dann, nach einem Tag im Homeoffice, irgendwann müde bei den Wohnzimmerkonzerten. "Ich sitze und ich schaue in einen Mattscheibe. Das ist kein Festival, das ist kein Konzerterleben, wo ich Menschen spüre, wo ich Geräusche höre, wo ich eine tolle Akustik habe, wo ich als Erlebniskörper durch den Raum gehe."
"Man wird bei einem Festival zu einem kollektiven Körper", erläutert der Soziologe seine Auffassung. "Man ist nicht mehr der Einzelne, der einfach steht und auf eine Bühne schaut. Sondern, wenn man in so einer großen Masse Menschen steht, dann bewegt sich diese Masse, dann redet sie, dann riecht sie, dann spürt sie, man hört sie. Und dieses Erlebnis macht einen viel größer als man selber als Einzelner ist."

Entzugserscheinungen

Kleiner ist sich sicher, dass es auch in Zukunft wieder Musikfestivals geben wird, und dass die Nachfrage sogar noch steigt. Normalerweise könne man jeden Tag zu Konzerten gehen und jeden Tag Kultur genießen. "Dadurch, dass das alles nicht möglich ist, bekommen wir gerade wahnsinnige Entzugserscheinungen. Wir bekommen einen Riesenhunger", sagt Kleiner: "Es wird auf keinen Fall abflachen, es wird stark ansteigen."
(mfu)
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