Zukunftsfantasien
Ein per Ballon fliegender Omnibus: Auch eine solche satirische Zukunftsvision hat sich nicht bewahrheitet. © picture alliance / brandstaetter images / Austrian Archives
Irre Visionen und ein belächelter Tüftler
18:23 Minuten

Die Zukunft ist nicht mehr das, was sie mal war: Der Spruch drückt heute ein verbreitetes Lebensgefühl aus. Aber können wir uns die Zukunft überhaupt vorstellen? Zukunftsfantasien aus der Vergangenheit zeigen, wie sehr man sich irren kann.
Scheinbar unaufhaltsam wuchs in den 80er-Jahren die Gefahr eines Atomkrieges: SS 20, Pershing, Cruise-Missiles, sowjetische Mittelstreckenraketen und NATO-Nachrüstung. Dass dem Kalten ein heißer Krieg der Atommächte folgen würde, schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Dann kam wie aus dem nichts: Gorbatschow mit Glasnost, Perestroika und neuem Denken – und mit ihm das Ende des Kalten Krieges. Was kurz zuvor unvorstellbar war.
So unvorstellbar wie in diesem Jahr Putins Angriff auf die Ukraine, nachdem Ost und West 1990 das Zeitalter solcher Angriffskriege mit der Charta von Paris feierlich für beendet erklärt hatten. Heute können wir uns die Zukunft nur noch als Horrorszenario vorstellen. Pandemie, Krieg und Klimakrise: Haben wir überhaupt noch eine Zukunftschance?
Wenn man danach Ausschau hält, welche Zukunftsvorstellungen in der Vergangenheit entwickelt wurden, muss man allerdings feststellen: Die Zukunft war immer unberechenbar, weil man sich die Zukunft immer nur in dem Rahmen vorstellt, in dem man sich in der Gegenwart gedanklich gerade aufhält.
Die Sahara wird grün
Ein Beispiel – aus einer Zeit, als die Menschheit das Gefühl hatte, alles zu können. Wenn der Mensch ins All fliegen kann, warum sollte es dann nicht möglich sein, die Wüste erblühen zu lassen? Der Westberliner RIAS berichtete im Januar 1961 über ein großes Zukunftsprojekt: die Begrünung der Sahara. Die chemische Industrie hatte einen Stoff entwickelt, mit dem man die Wüste überziehen wollte, um sie damit fruchtbar zu machen. Alle Experimente, hieß es damals, seien positiv verlaufen. Doch daraus wurde nichts. Es blieb eine blühende Fantasie.
Noch toller war das Zukunftsprojekt des Ingenieurs Herman Sörgel Ende der 1920er-Jahre:
„Europa und Afrika hingen in früheren Zeiten zusammen, erst als die Gletschermassen nach der Eiszeit abschmolzen, brachen die Wassermassen des Atlantiks den Landriegel zwischen Spanien und Marokko und ergossen sich in das Tiefland dahinter. Man kann das Land, das einst menschliche Kulturen trug, aus dem Meer wieder aufsteigen lassen, indem man in der Straße von Gibraltar einen Sperrdamm errichtet.“
Das Mittelmeer als Siedlungsraum
Sörgels Atlantropa-Projekt, das er als Buch und in einer Wanderausstellung präsentierte, fand große Resonanz. Architekt Peter Behrens entwarf ein 400-Meter-Hochhaus aus Stahl und Glas, das den Gibraltardamm zieren sollte. Auch der Zufluss durch die Dardanellen wäre durch einen Damm gestoppt worden. Das Mittelmeer sollte verdunsten.
Auf dem neuen Festland sollten Industrien entstehen, die den Rohstoffreichtum Afrikas verarbeiten sollten. Atlantropa war die ganz große Vision eines europäischen Ingenieurs, für den die Erde nichts anderes war als eine beliebig gestaltbare Kugel. Die Zukunft: offen für alles, was der Mensch anpackt.
Wenn wir heute in die Zukunft blicken, haben wir das gegenteilige Gefühl: Letzte Generation, wir schauen in den Abgrund. Gibt es ein Entrinnen, wenn wir uns das Fieberthermometer der Erde ansehen und die Zeit verstreicht, in der wir noch etwas tun können? Die Zukunft kann man doch nur in düstersten Farben malen.
Ein verkannter Windenergie-Tüftler
Im Grunde ist es so wie in den Hochzeiten der Fortschrittseuphorie im vorigen Jahrhundert – nur umgekehrt. Aber damals, als der Fortschrittsfantasie keine Grenzen gesetzt waren, gab es abseits der großen Utopien auch etwas Neues, was völlig unterschätzt wurde. Ein Tüftler in Frankreich hatte um 1960 die Idee, mit Wind Strom zu erzeugen. In einer Zeit, in der die friedliche Nutzung der Kernenergie als die große Zukunftshoffnung galt, schien das Windmühlenexperiment in der Nähe von Paris von einer geradezu rührenden Naivität zu zeugen.
Dass in der Idee des Windmüllers ein Schlüssel zur Bewältigung der Klimakrise heute steckte: Wer hätte das geahnt? Und wer weiß, welche Schlüssel wir heute noch gar nicht entdeckt haben, um die Krisen unserer Zeit zu bewältigen? Vielleicht sagen wir eines Tages: Was waren doch die unschönen Windräderlandschaften archaische Anfänge des postfossilen Zeitalters! Wie die rauchenden Schlote der Industrialisierung.
Sicher ist nur, dass die Zukunft mehr Möglichkeiten bereithält, als wir uns gegenwärtig vorstellen können. Im Schlechten wie im Guten.
(wist)