Zukunftsforscher

"Asylkritiker werden langfristig gesehen scheitern"

Die Pegida Demonstration in Dresden, Deutschland.
Die Pegida Demonstration in Dresden, Deutschland. © imago/Sven Ellger
Matthias Horx im Gespräch mit Ute Welty |
Der Zuzug hunderttausender Flüchtlinge werde durch eine neue Mehrheit weltoffener, engagierter und empathischerer Deutscher bewältigt werden können, sagt der Zukunftsforscher Matthias Horx. Die "Backlash-Welle" staatsfeindlicher "Asylkritiker" werde scheitern, ähnlich der linksradikalen Bewegung der 1970er-Jahre.
Nach Ansicht des Zukunfts- und Trendforschers Matthias Horx wird der Zuzug hunderttausender Flüchtlinge in Deutschland durch eine neue Mehrheit engagierter, empathischerer Deutschen bewältigt werden können. "Dass ein Drittel der Bevölkerung sagt, wir engagieren uns für Flüchtlinge, das finde ich schon ganz toll", sagte Horx im Deutschlandradio Kultur. Es gebe vor allem in den Städten eine neue "polykulturelle Mehrheit", die in einer weltoffenen Gesellschaft leben wolle. "Und die bilden schon, glaube ich, die neuen Mehrheiten", erklärte der Publizist und Unternehmensberater, der 1997 das Zukunftsinstitut mit Hauptsitz in Frankfurt am Main gründete.
"Anarchische Empathie-Welle" nicht schlecht reden
Horx forderte, die "anarchische Empathie-Welle" der Menschen, die sich engagierten, nicht schlecht zu reden, sondern ihr Engagement stattdessen mehr zu würdigen: "Das ist ja ein Reflex, den habe ich in der Stärke ja noch nicht erlebt."
Staatsfeindliche Asylkritiker werden sich radikalisieren, langfristig aber scheitern
Die neue "gesellschafts- und staatsfeindliche Rebellion" der Asylkritiker werde sich ähnlich wie die linksradikale Bewegung der 1970er-Jahre " teilweise radikalisieren und sie wird dann scheitern", prognostizierte der Zukunftsforscher. Angesichts der neuen urbanen Mehrheiten werde "diese Backlash-Welle nicht richtig durchkommen".
Deutschland werde sich durch den Zuzug verändern, erklärte der Zukunftsforscher weiter. Damit werde aber lediglich Bestehendes fortgesetzt, denn Deutschland sei nie "ethnisch gegründet" gewesen: "Allein in Deutschland leben eine Viertelmillion gut integrierter Iraner, wir hatten vor hundert Jahren die Polen, da war das Verhältnis der Bevölkerung im Ruhrgebiet zu den einwandernden Polen eins zu eins, wir hatten die Hugenotten, das waren auch viele hunderttausend. (...) Also die Deutschen waren immer ein Multi-Volk".
Entwicklung zum Verfassungspatriotismus
Begrüßenswert sei der damit verbundene Prozess der Verwestlichung: "Wir verwandeln uns langsam immer mehr in eine Gesellschaft, die nicht mehr ethnisch gegründet ist, sondern, man nennt das im Englischen den Verfassungspatriotismus", erklärte Horx.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Wer bleibt, wer geht, und wie wird sich Deutschland verändern. Das sind eine Menge Fragen, die sich stellen im Zusammenhang mit Flüchtlingen, und wir hier in "Studio 9" haben in dieser Woche versucht, ein paar Antworten zu finden, im Gespräch zum Beispiel mit Alois Glück, seit 2009 Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, oder im Gespräch mit der Autorin Thea Dorn:
Thea Dorn: Auf der einen Seite haben wir diese idealismusseligen Deutschen, die im Grunde sagen, jeder Flüchtling muss persönlich begrüßt werden, am besten mit Teddybär und Luftballon. Auf der anderen Seite die extremistischen Schreier, die anfangen, rassistische Parolen zu verbreiten. Das sind alles Motive, die man aus der deutschen Geschichte kennt, und die Deutschen haben sich, das muss man einfach sagen, auch immer schwer damit getan, einen Weg der Besonnenheit zu gehen, diese Extreme im Zaum zu halten.
Welty: Thea Dorn im "Studio 9"-Interview, die eher pessimistisch klingt. Ob Zukunftsforscher Matthias Horx das auch so sieht, kann er uns jetzt selber sagen. Guten Morgen!
Matthias Horx: Hallo, guten Morgen!
Welty: Können Sie verstehen, können Sie nachvollziehen, warum sich Thea Dorn sich so äußert, wie sie sich äußert, dass Menschen eher auf Distanz zum Fremden und zu Fremden gehen wollen?
Horx: Ja, so kann man es sehen, aber es ist die Frage, ob man es so sehen muss. Man kann es auch anders sehen.
Welty: Wie sehen Sie es denn?
"Das ist ja nicht die erste Einwanderungswelle"
Horx: Für mich gibt es drei Sachen, die ich ganz spannend finde bei dieser Entwicklung, und die einem auch ein bisschen neu sind. Erstens ist es natürlich ein Prozess, dass Deutschland noch mal eigentlich im alten Sinne westlicher wird, also multikultureller oder polykultureller. Das ist ja nicht die erste Einwanderungswelle, und wir verwandeln uns natürlich langsam immer mehr in eine Gesellschaft, die nicht mehr ethnisch gegründet – das war ja Deutschland eigentlich nie –, sondern eben, man nennt das im Englischen eben den Verfassungspatriotismus. Und das finde ich spannend. Das finden andere Leute natürlich furchtbar, deshalb werden sie deshalb sehr wütend. Zweitens erleben wir, dass es so eine Empathie, eine anarchische Empathiewelle gibt, die ich einfach auch großartig finde, vor der ich staune. Das macht die Thea Dorn natürlich so ein bisschen runter, das kann man natürlich aus der Sicht des Feuilletons immer gern. Und drittens sehen wir, dass wir unintegrierte Minderheiten in unserer eigenen Gesellschaft haben, dass wir also vor allem im Osten Deutschlands Leute haben, die offensichtlich auch mit ihrem Gedankengut nicht mehr integrierbar sind und die eine neue letzten Endes gesellschafts- und staatsfeindliche Rebellion bilden, die so ähnlich verlaufen wird wie die wahrscheinlich in den 70er-Jahren, deren Teil ich auch war, die linksradikale Bewegung damals. Sie wird sich teilweise radikalisieren, und sie wird dann scheitern.
Welty: Das heißt, am Ende führen diese drei Punkte wohin?
Veränderung hin zu einem anderen Verfassungsverständnis
Horx: Wir werden – letzten Endes wird die deutsche Gesellschaft in der Tat verändert. Das ist aber auch nichts Neues. Wie gesagt, wir hatten ja – allein in Deutschland lebt eine Viertelmillion sehr gut integrierter Iraner. Wir hatten vor hundert Jahren die Polen, da war das Verhältnis der Bevölkerung im Ruhrgebiet zu den einwandernden Polen eins zu eins. Wir hatten die Hugenotten, das waren auch viele Hunderttausend. Gesellschaften sind ja immer durchzogen von solchen Strömen, und die globalisierte Welt bringt eine neue hinein, und das bedeutet, dass wir natürlich über unser Gesellschaftskonzept irritiert sein müssen. Und die meisten Deutschen immer noch können ja überhaupt nicht damit umgehen, dass es jemand gibt, der eine dunkle Hautfarbe hat, einen Anzug an hat und Banker ist. Das ist zum Beispiel was völlig anderes in London oder wenn Sie in Amerika sind. Wir werden ein Stück weit mehr amerikanisiert, und das ist natürlich etwas, was vielen Leuten furchtbar gegen die Hutschnur geht, aber das hat natürlich auch mit einem anderen Verfassungsverständnis zu tun, nämlich dass Gesetze nichts zu tun haben mit einer ethnischen Herkunft, sondern für alle gelten. Das ist ein spannender, westlicher Prozess, den ich persönlich sehr gut finde als global lebender Mensch.
Welty: Thea Dorn hat es ja auch schon angesprochen, dass es den Deutschen schwer fällt, Wege der Besonnenheit zu finden. Sie sagen jetzt, den Deutschen fällt es schwer, mit Menschen anderer Hautfarbe umzugehen. Woher kommt das?
Horx: Das ist gegründet ganz tief in unserem Gesellschafts- und Menschenbild. Das ist in der Tat so. Wir haben – das ist eigentlich auch noch eine Prägung, die dann im Nationalsozialismus sogar noch mal vertieft worden ist, das Eigene und das Fremde –
Welty: Hört man jetzt auch nicht so gerne.
Horx: Eigentlich ist es eine Identitätsangst. Die Deutschen waren immer ein Multi-Volk. Es ist ja kein Wunder, dass viele der Naziführer heute der NPD polnische Nachnamen haben. Und das ist immer diese – immer, wenn Menschen unsicher über sich selbst sind, richten sie ihre Aggressionen gegen Feinde nach außen. Das ist quasi so ein soziokybernetisches Prinzip. Durch die Feindbildung kann ich meine eigene Angst, meine eigene Nicht-Identität absichern. Und das ist genau das, was wir heute in weiten Teilen der Fremdenfeindlichkeit erleben, dass dort Menschen sind, die sich abgehängt fühlen, die sich ängstlich fühlen und daraus das Recht ableiten oder auch schon fast sogar die Pflicht, anderen Menschen aggressiv gegenüber zu begegnen. Das ist in allen Gesellschaften so. Das ist nur in Deutschland besonders stark so, weil wir diese besonders starke Geschichte haben.
Welty: Welche Mechanismen können greifen, um das Beschriebene zu überwinden?
"Auf der anderen Seite gibt es neue Mehrheiten"
Horx: Ich glaube, das kann man nicht direkt in der Konfrontation der Überzeugungen überwinden, indem man sagt, ihr dürft das nicht, ihr könnt das nicht. Das ist einerseits Scheitern. Ich habe das ja schon angedeutet, das gab es ja auch in den 70er-Jahren schon, gab es eine linksradikale Massen-, auch durchaus eine Massenbewegung, bei der viele junge Menschen, mindestens ein Drittel, teilgenommen hat, und das hat sich dann gespalten. Ein Teil hat sich radikalisiert, ist ins Gefängnis gewandert, ist dabei umgekommen. Das wird jetzt genauso wieder sein, leider, weil Menschen, die einmal auf diesem Trip sind, erleben ja auch eine tiefe Sinnhaftigkeit ihres Handelns, sie schließen sich ja zu einem Kollektiv zusammen. Das sieht man ja auch bei Pegida-Demonstrationen, wie sehr die sich gegenseitig quasi auch bewundern und behätscheln. Und auf der anderen Seite gibt es neue Mehrheiten. Und das ist das Interessante, dass es eben in Deutschland auch deutlich ist, es gibt eine Mehrheit, eine urbane multikulturelle oder polykulturelle, wie immer man das nennt, Mehrheit, die vor allem in den Städten lebt, wo Menschen sagen, wir wollen in einer weltoffenen Gesellschaft leben, und wir sind auch bereit dafür, uns zu engagieren, Empathie zu zeigen. Und das ist ja ein Reflex, den habe ich also in Deutschland so noch nicht erlebt, auch in der Stärke, wie er jetzt ist. Und ich finde, den sollte man auch mal ein bisschen würdigen, dass ein Drittel der Bevölkerung sagt, wir engagieren uns für Flüchtlinge, das finde ich schon ganz toll. Und die bilden schon, glaube ich, die neuen Mehrheiten. Deshalb wird diese Backlash-Welle nicht richtig durchkommen.
Welty: Zuwanderung und Veränderung, dazu Zukunftsforscher Matthias Horx hier in Deutschlandradio Kultur. Herr Horx, ich danke für das Gespräch!
Horx: Danke schön!
Welty: Und wenn Sie sich noch einmal ein umfassendes Bild machen wollen: Die Interviews dieser Woche zum Thema finden Sie online auf deutschlandradiokultur.de
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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