Deutsche Einheit und Europäische Tranformation
Die "Skyline" von Halle: Händeldenkmal und Fünftürme-Ensemble auf dem Marktplatz - in der Stadt soll das "Zukunftszentrums Deutsche Einheit und Europäische Transformation" entstehen © imago images / Winfried Rothermel
Halle bekommt das Zukunftszentrum
07:39 Minuten
Die Entscheidung über den Standort des "Zukunftszentrums Deutsche Einheit und Europäische Transformation" ist gefallen: Es soll in Halle an der Saale entstehen. Die Stadt setzte sich gegen Frankfurt (Oder), Eisenach, Jena und Leipzig mit Plauen durch.
Nun steht es endgültig fest, das Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation wird in Halle an der Saale entstehen. Eine Jury hat sich dafür ausgesprochen, das Bundeskabinett segnete die Entscheidung ab. In Sachsen-Anhalt ist die Freude darüber bei Vertretern aus Politik und Gesellschaft groß.
Warum wurde Halle ausgewählt?
Die Entscheidung für Halle (Saale) gilt als Überraschung. Lange wurde Frankfurt (Oder) favorisiert. Doch Halle punktete vor allem mit seiner Lage: Die Stadt befindet sich auf der ICE-Achse Berlin-München. Damit erfüllt sie ein wichtiges Kriterium der Bundesregierung: Das Zukunftszentrum soll für möglichst viele Menschen erreichbar sein. Zudem gibt es einen zentralen Bauplatz für das Gebäude, was ebenfalls ein wichtiges Kriterium ist. Mit der Universität Halle und der Nationalakademie Leopoldina ist Halle des Weiteren wissenschaftlich gut vernetzt.
Welche Städte standen zur Wahl?
Zur Auswahl standen neben Halle und Frankfurt (Oder) noch Eisenach, Jena sowie Leipzig und Plauen in einer gemeinsamen Bewerbung. Mühlhausen und Sonneberg in Thüringen waren bei der ersten Sichtung der Bewerbungsunterlagen aussortiert worden. Die Jury hat alle Bewerberstädte besucht und sich über die Konzepte informiert.
Halle (Saale): „Die Stadt Halle ist eine vereinigte Stadt. Das heißt also, hier ist quasi auch im Kleinen eine Vereinigung vonstatten gegangen. Der Riebeckplatz, der ist jetzt beginnend in der vierten Transformation in den letzten 70 Jahren. Und eine Zielstellung der Ausschreibung war, dass man einen Ort auswählt, an dem Transformation stattfindet. Und im Übrigen haben wir dort Baurecht. Das heißt, wenn ein Zuschlag an die Stadt Halle erteilt wird vom Bund, dann können wir innerhalb von drei Monaten das Baurecht herstellen.“ (Egbert Geier, SPD, Interims-Bürgermeister von Halle an der Saale)
Frankfurt (Oder): „Wir sind hier an dem wohl europäischsten Ort, den die Bundesrepublik aufbieten kann, aus meiner Sicht. An der Stadtbrücke waren bis vor Kurzem – im Verhältnis von historischen Dimensionen – da oben noch Grenzanlagen, wo man nicht so einfach rübergehen konnte. Das ist jetzt ein Ort geworden, der für Verständigung und Gemeinschaft steht.“ (René Wilke, Die Linke, Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder)
Plauen und Leipzig: „Wir können mit dieser Tandembewerbung unterschiedliche Erlebensweisen in einem Zukunftszentrum darstellen. Deshalb wollen wir die Transformationsprozesse einer Großstadt und einer Stadt im ländlichen Raum miteinander verweben.“ (Steffen Zenner, CDU, Oberbürgermeister von Plauen)
Jena: „Wir wollen ganz bewusst den Blick nicht nur zurück in die Vergangenheit richten. Das ist eine Facette. Aber genauso, wie wir jetzt nicht ewig die Transformation der Ansiedlung der Universität oder ewig die Story Zeiss-Abbe-Schott erzählen, ist auch die Wendezeit und Vorwendezeit eine Facette, aber eben nicht die einzige. Denn das heißt ja nicht Vergangenheitszentrum, ist ja ein Zukunftszentrum, aber eben auch ein Zentrum für Transformation.“ (Thomas Nitzsche, FDP, Oberbürgermeister von Jena)
Eisenach: „Vor allem ging es ja darum, einen Standort zu finden und eine Stadt zu finden, die eine Transformationsgeschichte selber hat, und zwar auch eine schmerzliche Transformationsgeschichte. Und eine solche Stadt ist Eisenach ohne Zweifel. Eisenach liegt zudem in der Mitte von Deutschland und auch ungefähr in der Mitte von Europa, hat daher auch so eine Art Brückenfunktion zwischen West und Ost.“ (Historikerin Christiane Kuller von der Uni Erfurt, sie koordiniert das Wissenschaftsteam der Eisenacher Bewerbung)
Was ist die Zielsetzung des Zukunftszentrums?
Das Zukunftszentrum Deutsche Einheit soll die Leistungen der deutschen Vereinigung würdigen und die Erfahrungen daraus für künftige Umbrüche und Krisen nutzbar machen. Es soll Begegnungs- und Forschungsstelle zugleich sein. Für den Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, ist es eines der wichtigsten Projekte für die Festigung der Einheit in der deutschen Gesellschaft und des Zusammenhalts in Europa.
Gewünscht ist ein Ort, an dem die Erfahrungen und Leistungen der Menschen aus und in Ostdeutschland in den letzten 30 Jahren sichtbar gemacht werden. Hier sollen die Bedingungen für eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaften erforscht und Lebensleistungen gewürdigt werden, schreibt der Ostbeauftragte. Das Zentrum soll „Raum für Kultur, Dialog und lebendige Diskussionen“ bieten.
Wer ist in der Jury?
Der Jury gehören 15 Personen an. Ihren Vorsitz hat die SPD-Bundestagsabgeordnete Katrin Budde. In der Jury sind unter anderem die frühere Stasi-Beauftragte Marianne Birthler, der ehemalige Bundesminister Thomas de Maizière, Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck und die frühere FDP-Vize Cornelia Pieper.
Auch die Sozialwissenschaft ist mit der Leipziger Politologin Astrid Lorenz, dem Görlitzer Soziologen Raj Kollmorgen und seinem Berliner Kollegen Steffen Mau vertreten. Mit Barbara Steiner, Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, und der Leipziger Architektin Marta Doehler-Behzadi kommt weitere ostdeutsche Expertise dazu.
Wie soll das Zukunftszentrum aussehen?
Nach einem Architekturwettbewerb soll bis 2028 ein „Gebäude mit einer herausgehobenen modernen Architektur“ für bis zu 200 Millionen Euro gebaut werden. Es ist das größte Bauprojekt der Bundesregierung im laufenden Jahrzehnt.
Für den Betrieb sind 40 Millionen Euro im Jahr vorgesehen, 200 neue Arbeitsplätze sollen am Standort entstehen. Jurymitglied Matthias Platzeck hat die Erwartung an das Gebäude des Zentrums hochgeschraubt: "Dieses Symbol soll eine Architektursprache haben, die sich mindestens am Guggenheim Museum in Bilbao messen kann."
Welche Kritik gibt es an der Idee?
Bereits der „klobige Name“ des Zukunftszentrums stört Tom Müller, den Verlagsleiter des Tropen Verlags in Berlin. Er kritisiert die vielen Themen, die das Zentrum aufnehmen soll: „Vergangenheit, Zukunft, Deutschland, Europa, alles in einem“, das klinge schon fast so verklausuliert und unfreiwillig komisch wie der „antifaschistische Schutzwall“ zu DDR-Zeiten.
Doch ohne eine reale Gestaltungsaufgabe werde das Zukunftszentrum bestenfalls ein Touristenmagnet, warnt Müller. „Schlimmstenfalls wird es eine weitere Hochglanzfassade in einer ostdeutschen Stadt, eine Fassade, deren Glanz die innere Leere umso stärker hervortreten lässt.“
Der Verleger schlägt vor, bei der Grundsteinlegung des Zentrums ein Format für politische Teilhabe wiederzubeleben: den Runden Tisch. Damit könnten progressive Ideen in den demokratischen Prozess eingebracht werden. Demgegenüber findet er es nachrangig, welche Stadt den Zuschlag für das Zentrum erhält: „Wenn dieser Ort mehr sein soll als ein Feigenblatt für jahrzehntelangen Paternalismus im Umgang mit dem Osten, dann muss davon eine gestaltende Rolle ausgehen.“
Quellen: dpa, Bundesregierung, scr, Deutschlandradio, tagesschau