Professorenkompetenz gegen externe Kontrolle
Entscheidungen über Studiengänge sollten wieder von Wissenschaftlern getroffen werden, fordert Matthias Brodkorb, Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern. Die externe Kontrolle durch private Akkreditierungsagenturen stelle keine Qualitätssicherung dar.
Der Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb (SPD), hat eine neue Debatte über die Zulassung von Studiengängen an deutschen Universitäten gefordert. Die Entscheidung darüber sollte Wissenschaftlern und nicht privaten Akkreditierungsagenturen überlassen werden, sagte Brodkorb im Deutschlandradio Kultur:
"Es gibt für die Frage, wie man ein Studium organisiert, niemanden, der klüger ist als ein Professor. So ist das in Deutschland aufgebaut."
Er halte es für skurril, dass ein Professor sich seine Qualifikation noch einmal von einer Agentur absegnen lassen müsse, "obwohl der andere gar nicht mehr Kompetenzen hat als er selbst".
Bei der Frage einer externen Kontrolle gehe es vor allem um die Frage der dafür verwendeten Standards und um die Frage der Organisationsform, betonte Brodkorb. Die öffentliche Kommunikation und die Wirklichkeit an deutschen Hochschulen lägen weit auseinander. Die Ziele des Bologna-Prozesses und der eingeführten Akkreditierung von Studiengängen habe eigentlich dazu führen sollen, dass Studieninhalte vergleichbarer werden sollten und Studierende besser wechseln könnten.
Kritik am "privaten Geschmacksurteil der Akkreditierer"
Eingetreten sei allerdings "das glatte Gegenteil" – es gebe für Studienordnungen keinen gemeinsamen inhaltlichen Rahmen mehr, kritisierte Brodkorb:
"Das heißt, wenn eine Akkreditierungsagentur in eine Uni kommt und sagt: 'Ich gucke mir diesen Studiengang einmal an – Maschinenbau' -, dann hat sie keinen deutschlandweit konsentierten Standard, an dem sie das misst. Das heißt, das private Geschmacksurteil der Akkreditierer entscheidet dann darüber, ob dieser Studiengang gut gefunden wird oder nicht. Und das hat mit Qualitätssicherung nichts zu tun."
Die Forderungen des "Heidelberger Aufrufs"
Brodkorb schloss sich den Forderungen des gestern veröffentlichten "Heidelberger Aufrufs" an. Darin wird gefordert, dass die Entscheidungen über neue Studiengänge wieder von den Universitäten selbst getroffen werden können. Der "Heidelberger Aufruf" offenbare den "Leidensdruck" der Universitäten nach der Bologna-Reform, meinte Brodkorb. Es gebe zu viel Bürokratie und Verrechtlichung im Wissenschaftsbetrieb:
"Und das Ganze führt dann dazu, dass weniger Zeit für Lehre und Forschung da ist."
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Wer denkt, die Universitäten sind eigenständig auch in der Wahl zum Beispiel ihrer Studiengänge, der irrt, also spätestens seit dem Bologna-Prozess im Jahr 1999. Seitdem müssen nämlich die Unis ihre Studiengänge von sogenannten Akkreditierungsagenturen absegnen lassen. Christiane Habermalz erklärt, wie das funktioniert und warum es plötzlich ein Problem gibt.
(Einspielung Beitrag von Christiane Habermalz)
Und nun gibt es den sogenannten "Heidelberger Aufruf". Darin haben sich nämlich viele Professoren gestern in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zusammengetan und haben eben genau das gefordert, dass sich diese Akkreditierungspraxis ändert auf Basis des Verfassungsgerichtsurteils vom März. Mathias Brodkorb ist SPD-Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern und hat schon lange für eine Reform des sogenannten Bologna-Prozesses und auch dieser Akkreditierungspraxis plädiert. Schönen guten Morgen!
Mathias Brodkorb: Guten Morgen!
Brink: Sie bekommen ja jetzt mit dem "Heidelberger Aufruf" Rückendeckung aus der Wissenschaft. Sind Sie zufrieden?
Brodkorb: Ich bin, muss ich sagen, mit einer Sache so ein bisschen unzufrieden, nämlich, dass der "Heidelberger Aufruf" schon veröffentlicht wurde. Ich hätte ihn gern selbst auch unterschrieben.
Der "Leidensdruck" der Universitäten nach der Bologna-Reform
Brink: Was finden Sie denn so gut daran?
Brodkorb: Ich meine, er drückt im Wesentlichen nur aus, natürlich in etwas zugespitzter Form, was halt auch den Leidensdruck zeigt. Es drückt also im Prinzip nur aus, was ein großer Teil der Wissenschaftler seit Jahren denkt, womit man sich herumschlägt, mit viel Bürokratie, mit der Verrechtlichung, Verformalisierung von Wissenschaftsbetrieben. Und das Ganze führt dann einfach dazu, dass weniger Zeit für Lehre und Forschung da ist, und das ist ja der eigentliche Zweck von Universitäten und Fachhochschulen.
Brink: Auf was sollten sich dann die Kultusminister einigen?
Brodkorb: Ich fand den Vergleich mit dem TÜV, wie die Akkreditierung funktioniert, zwar irgendwie naheliegend, aber ja nicht richtig. Der Unterschied ist folgender: Der TÜV besteht aus Experten, die in der Regel mehr wissen als die Autofahrer über Autos. Das sind ja dann quasi die, die sich in diesem Metier auskennen. An den Hochschulen ist das ja anders. Die Professoren sind immer schon der TÜV. Jeder Professor hat studiert, promoviert, sich habilitiert und in einem kompetitiven Verfahren den Lehrstuhl erobert sozusagen. Und das sind die Experten.
Es gibt für die Frage, wie man ein Studium organisiert, niemanden, der klüger ist als ein Professor. So ist das in Deutschland aufgebaut. Und deswegen ist es schon ein bisschen skurril, dass jemand, der das alles nachgewiesen hat, dann noch mal zu einer Agentur muss, wo ein anderer, der das auch nachgewiesen hat, ihm bescheinigt, dass er das richtig gemacht, obwohl der andere gar nicht mehr Kompetenzen hat als er selbst. Das zeigt schon, wie abwegig das ist. Das wäre so, als würden sich die einzelnen TÜV-Mitarbeiter gegenseitig akkreditieren oder überprüfen. Ist ja nicht so.
Studiengänge sollten den Wissenschaftlern überlassen werden
Also – wie soll es laufen? Ich glaube, es ist ganz einfach: Man überlässt es denjenigen, die es am besten können, und das sind die Wissenschaftler. Wir müssen uns als Staat da gar nicht so großartig einmischen.
Brink: Aber die Gretchenfrage ist doch, Sie haben es eigentlich ja angesprochen, die Gretchenfrage ist doch, überlässt man es denen, die ja Bescheid wissen, oder führt man noch eine externe Kontrolle ein. Das ist ja eigentlich die Frage. Uns Sie wollen also, Sie wollen diese externe Kontrolle nicht mehr haben.
Brodkorb: Das kann man gern machen, aber das kann man auch der Wissenschaft überlassen. Das ist gar nicht so der spannende Punkt. Der spannende Punkt ist die Frage, anhand welcher Standards man so etwas überprüft und in welcher Form es organisiert ist.
Die öffentliche Kommunikation und die Wirklichkeit in Deutschland liegen ja auseinander. Es sollte ja der Bologna-Prozess und die Akkreditierung dazu führen, dass Studieninhalte vergleichbarer werden, dass Schüler oder Studierende besser wechseln können und mobiler sind und so weiter. Aber es ist ja das glatte Gegenteil eingetreten: Während es früher für Studienordnungen noch einen gemeinsamen inhaltlichen Rahmen gab, gibt es den ja heute nicht mehr.
Das heißt, wenn eine Akkreditierungsagentur in eine Uni kommt und sagt, ich gucke mir diesen Studiengang mal an, Maschinenbau, dann hat sie keinen deutschlandweit konsentierten Standard, an dem sie das misst. Das heißt, das private Geschmacksurteil der Akkreditierer entscheidet dann darüber, ob dieser Studiengang gut gefunden wird oder nicht. Und das hat mit Qualitätssicherung nichts zu tun, sei sie auch noch so extern.
Politik verweigert Eingeständnis des Scheiterns einer Großreform
Brink: Dann fragt man sich natürlich, warum das erst jetzt so virulent wird. Diesen Bologna-Prozess gibt es ja seit 1999, das muss man sich ja immer mal wieder klar machen. Da ist ja schon einige Zeit ins Land gegangen. Warum fällt Ihnen das jetzt plötzlich alles auf die Füße?
Brodkorb: Sie haben ja zu Recht darauf hingewiesen, dass ich schon seit Jahren damit beschäftigt bin, dafür zu werben, dass wir das verändern. Das ist jetzt bei mir keine neue Erkenntnis. Und der Grund, glaube ich, ist ganz einfach. Immer, wenn die Politik sich aufrafft, eine Großreform zu betreiben mit europäischem Anspruch und wo man verspricht, dass jetzt alles ganz toll und anders wird, und man hat dann auch wirklich ein sehr anspruchsvolles Reformpaket, und die Erwartungen werden aber nicht erfüllt, dann ist es, glaube ich, ganz menschlich, dass es schwer fällt, sich das einzugestehen. Da gibt es gar keine großen politischen Dinge, die dahinterstehen, sondern das betrifft übrigens Hochschullehrer genauso wie Politiker und Verwaltungsmitarbeiter. Es hat ja auch eine Reihe von Hochschullehrern, die den Prozess ja sozusagen euphorisch unterstützt haben. Und sich das einzugestehen, ist manchmal schwierig, und ich glaube, wir stehen vor diesem Problem.
Brink: Sie haben gesagt, es war ein politischer Fehler, das zu tun. Dann frage ich Sie jetzt als Politiker, was haben Sie denn in Ihrem Land schon geändert?
Mecklenburg-Vorpommerns Hochschulpolitik geht eigene Wege
Brodkorb: Wir haben im Landeshochschulgesetz schon vor ein paar Jahren verabschiedet, dass die Hochschulen in weitem Umfang einfach auch von strikten Bologna-Vorgaben befreit werden. Sie haben beispielsweise die Möglichkeit, dass Studierende individuelle Studienpläne machen können, länger studieren können, dass wir, wenn Studiengänge nicht akkreditiert werden, das keine rechtsaufsichtlichen Konsequenzen hat. Also bei uns ist das eben nicht so, wenn ein Studiengang das Akkreditierungssiegel nicht hat, dass der dann geschlossen werden muss. Die Hochschule kann den einfach weiter betreiben.
Und die Hochschulen können auch entscheiden, ob sie Bachelor, Master, Magister, Diplomstudiengänge einführen. Das können die machen, wie sie wollen. Aber so einen Freiheitsrahmen, den wir bei uns haben, der führt zu Problemen. Wir hatten vor ein paar Jahren ja die Diplomstudiengänge und -abschlüsse eingeführt, und die Kultusministerkonferenz ist nicht bereit, das zu akzeptieren, obwohl das im Landesgesetz so steht. Die KMK setzt sich an dieser Stelle über das Landesgesetz hinweg. Und auch da haben wir jetzt Klagen angestrengt und finanziert und werden auch notfalls bis vors Bundesverwaltungsgericht marschieren.
Brink: Ganz kurze Frage noch: Wird es so was Vergleichbares dann geben wie den "Heidelberger Aufruf", nur vonseiten der Kultusminister?
Brodkorb: Das ist eine schwierige Frage, das kann ich Ihnen heute nicht beantworten. Die Amtschefkonferenz wird sich ja heute auch mit der Frage erst mal beschäftigen, welche Konsequenzen wir aus der Bologna-Reform ziehen. Ich kann der Wissenschaftspolitik nur raten, das einfach zu tun, denn es gibt nur eines, was schlimmer ist, als einen Fehler zu machen, nämlich ihn bewusst und willentlich fortzusetzen.
Brink: Mathias Brodkorb, Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern. Danke für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.