Zum 100. Geburtstag von Helmut Schmidt

"Hanseaten werden in der Politik gebraucht"

Altbundeskanzler Helmut Schmidt bei einer Tagung 2010 mit einer Zigarette in der Hand.
Altkanzler Helmut Schmidt starb am 10. November 2015 in Hamburg. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Axel Schröder · 22.12.2018
Helmut Schmidt genoss schon zu Lebzeiten große Verehrung. In Hamburg werden keine Mühen gescheut, dem Sohn der Stadt ein Denkmal zu setzen. Unser Landeskorrepondent Axel Schröder hat einen Rundgang durch eine Stadt im Helmut-Schmidt-Rausch gemacht.
Neuberger Weg 80 in Hamburg-Langenhorn. Das Wohnhaus von Loki und Helmut Schmidt. Hier wohnten die beiden seit 1961, ein Leben lang. Eine bescheidene Siedlung, dicht an dicht stehen eintönige Bungalows, wenig Verkehr. Wer heute bei Helmut Schmidt klingelt, dem öffnet Ulfert Kaphengst, zuständig für die Pressearbeit der Helmut-Schmidt-Stiftung.

An seinem Wohnhaus wird nichts verändert

Schon im Flur beginnt die Zeitreise durch das Haus der Schmidts. Als der Altkanzler die Räume für immer verließ, war in der Stiftung klar: Helmut Schmidts Idee von Politik wird in regelmäßigen Symposien und Tagungen weitergetragen. Und in Langenhorn, bei den Schmidts zuhause wird nichts, aber auch gar nichts verändert. Jeder Gegenstand wird fotografiert und beschriftet, zurückgestellt an seinen Platz.
Der Historiker Hendrik Heetlage inventarisiert den kompletten Hausstand: "Das ist das Wohnzimmer der Schmidts. Das Schachbrett, das Helmut Schmidt selber geschnitzt hat in der Kriegsgefangenschaft, Glühbirnen oder auch Werkzeug oder auch Atlanten vom ADAC. Und das bleibt jetzt alles so liegen wie es gelegen hat, als er gestorben ist."
Nach der Inventarisierung folgt die Forschung: Was erzählen die unendlichen Bücher, die Gemälde, die Souvenirs von Staatsgästen aus aller Welt über den Menschen Helmut Schmidt, über sein Denken? Mit Akribie und großem Ehrgeiz wird nicht nur in Langenhorn, sondern in ganz Hamburg der alte Schmidt ins rechte Licht gesetzt.
Der Schreibtisch von Helmut Schmidt.
Der Schreibtisch von Helmut Schmidt in seinem Hamburger Privathaus.© Steffen Hofemann

Vorstellung der Helmut-Schmidt-Briefmarke

Im prächtigen Kaisersaal des Hamburger Rathauses fehlte eigentlich nur die Kapelle, ein Trommelwirbel und ein Tusch: Vorgestellt wurde, drei Wochen ist das her, die "Helmut-Schmidt"-Briefmarke. Die Staffelei mit einem Großformat der Marke ist mit weißem Leinen bedeckt, rechts daneben steht der deutsche Vizekanzler Olaf Scholz und sagt:
"Sein Andenken bewahren wir, indem wir seine Grundüberzeugungen in die Zukunft tragen. Oder, wie Helmut Schmidt es sagte: 'Hanseaten werden in der Politik gebraucht!' Ich freue mich also, diesem großen Hamburger jetzt zum 100. Geburtstag ein kleines selbstklebendes Denkmal setzen zu können!"
Das Leinentuch wird gelüftet, der Staatsmann Schmidt blickt entschlossen aus dem gezackten Rahmen heraus, hinein ins Publikum. Auf den Vizekanzler, auf Peer Steinbrück, auf Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher. Nach einem kleinen Imbiss geht es gleich weiter mit den "Helmut-Schmidt"-Festspielen.

Helmut Schmidt - "100 Jahre in 100 Bildern"

Quer über den Domplatz läuft der Tross des Vizekanzlers, vorbei am Verlagsgebäude der Zeit, auf dessen Fassade, sobald es dunkel ist, das Konterfei des großen Kanzlers gebeamt wird. Geisterhaft schaut Schmidt über den Platz, auf dem Kopf die Prinz-Heinrich-Mütze. Ein paar hundert Meter weiter, im Haus der "Helmut-Schmidt"-Stiftung wird die Ausstellung "100 Jahre in 100 Bildern" eröffnet. Und auf allen 100 Fotos zu sehen ist, natürlich: der ewige Helmut:
"Wir haben uns zusammengesetzt vor einem Jahr ungefähr, haben die ganze Etage ausgelegt mit groß gezogenen Bildern und haben überlegt: 'Wie kriegen wir die Themen unter? Wie kriegen wir den Schmidt als Mensch unter? Wie kriegen wir auch die querliegenden Themen unter?' Also Schmidt als Neugieriger, als jemand, der von ganz vielen Leuten gefragt wird, jemand, der so wissbegierig gewesen ist, der diese ungeheure Intensität ausgestrahlt hat. Das kommt natürlich bei vielen Bildern rüber. Aber es ist immer ein Abwägen zwischen der zeithistorischen Variante und dem Thematischen und dann aber auch dem Menschlichen. Denn wir wollen ja beides zeigen.", sagt Dr. Magnus Koch.
Das Konterfei von Helmut Schmidt projiziert auf das "ZEIT"-Verlagsgebäude.
Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher nimmt die Lichtinstallation durch symbolischen Knopfdruck in Betrieb;Lichtinstallation zum 100. Geburtstag von Helmut Schmidt in der Innenstadt Hambrug am Verlagsgebäude ZEIT Verlag, Hamburg Hamburg Deutschland Domplatz *** First Mayor Dr Peter Tschentscher puts the light installation into operation at the symbolic push of a button Light installation for Helmut Schmidts 100th birthday in Hambrug city centre at the publishing building ZEIT Verlag Hamburg Hamburg Germany Domplatz
Das Konterfei von Helmut Schmidt projiziert auf das "ZEIT"-Verlagsgebäude.© imago stock&people
Koch hat die Ausstellung zusammen mit seinem Team erarbeitet. Viele Fotos sind bekannt, sind längst Teil des kollektiven Mediengedächtnisses: Schmidt in schwarz-weiß, zwischen Wehner und Brandt, Schmidt zerknirscht: beim Händeschütteln mit Helmut Kohl nach dem Machtwechsel 1982 oder lachend, herzlich bei einem Treffen mit Anwar El-Sadat.
Weniger bekannt die Bilder vom Kanzler beim Blumengießen vor dem schlichten Reihenhaus in Hamburg-Langenhorn oder Beine baumelnd, fröhlich-ausgelassen auf der Motorhaube eines alten Fords, mitten im Grünen. Oder, strotzend vor Selbstvertrauen und Coolness: Schmidt von Kopf bis Fuß, zentral in der Bildmitte, perfekt ausgeleuchtet, eine Hand in der Hosentasche, der perfekte Bravo-Star-Schnitt für SPD-Anhänger.
"Schmidt im Anzug, in schicken Schuhen, einfach ungeheuer selbstbewusst, leger, dabei aber auch ganz entschlossen. Wir nennen es immer intern: wie die Boss-Werbung. Das Bild erzählt einfach diese Geschichte von Entschlossenheit, von Willen und von so einer Selbstverständlichkeit. Und es gibt auch zu der Zeit auch noch nicht viele Leute, die das so machen.", sagt Koch.

Selbstinzenierung mit Substanz

Dass das öffentliche, also das abgedruckte Bild des Altkanzlers so makellos, so unverwüstlich ist, liege auch daran, dass Helmut Schmidt ein sehr genaues Gespür dafür hatte, wie er rüberkommen wollte, so Magnus Koch:
"Ehemalige Mitarbeiterinnen erzählen, Schmidt wusste immer, wo die Kamera steht. Schmidt war sich immer bewusst, dass er, bei allem, was er tut, beobachtet wird. Das sind Dinge, die Schmidt einfach ganz genau klar hatte. Aber diese Selbstinszenierung funktioniert nur, wenn da auch Substanz dahinter ist. Sonst durchschauen die Leute das auch ganz schnell."
Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) spricht am 26.05.2015 in seinem Büro in Hamburg
Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) am 26.05.2015 in seinem Büro in Hamburg © dpa / picture alliance / Christian Charisius
Dass diese Inszenierung bei Helmut Schmidt funktionierte, davon können sich die Besucher der Ausstellung überzeugen. Selbst jene, die das Autoritäre dieser Polit-Ikone kritisieren, seine Haltung zur Aufrüstung, zur Atomkraft, zur rechtlich umstrittenen Terroristenjagd der Siebzigerjahre, selbst diese Besucher werden vermutlich beeindruckt sein von den "100 Jahren in 100 Bildern".
Eine Auswahl dieser Bilder hängt in den kommenden Monaten auch in der Halle des Hamburger Rathauses. Und die Besucher dort, zumindest die älteren, die, die Schmidt erlebt haben, sie schauen hoch zu den großformatigen Abzügen, nicken anerkennend:
"Das ist ja auch nicht so lange her, da hat er eine Münze bekommen."
"Und verdient hat er das?"
"Auf jeden Fall! Ich denke schon!"
"Helmut Schmidt fand ich gut. Es war halt eine Größe! Und in der Politik kommen halt keine Größen mehr nach. Der wird immer wieder gefeiert. Der hat’s sich auch verdient! Der bleibt Kult!"
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