Programmtipp:
Im Kopenhagener Konzerthaus begeht der Dänische Rundfunk den heutigen Tag mit einer Gala, die ab 20:03 Uhr live zeitversetzt zu hören ist.
Die rustikalen Klangwelten des Carl Nielsen
Seine Beisetzung 1931 glich einem Staatsakt, doch außerhalb Dänemarks wurde der Komponist Carl Nielsen erst nach dem II. Weltkrieg bekannt. Er stammte aus einer Handwerkerfamilie und seine Bodenständigkeit bewahrte ihn vor einer nihilistischen Weltsicht.
Man staunt, wo diese Klänge herkommen - schroff und scharfkantig, nüchtern und dennoch vom Pathos des Machbaren erfüllt. Carl Nielsens 4. Sinfonie entstand in der Anfangsphase des I. Weltkrieges, und es gibt damals kaum Vergleichbares. Eine Musik, die mit jedem Takt sagt, dass das Leben keineswegs jederzeit und nicht einmal meistens schön ist, aber auch nie hoffnungslos.
Vor 150 Jahren wurde Nielsen geboren, seine Beisetzung 1931 glich einem Staatsakt – nicht zu jedermanns Glück übrigens, gerade im heimischen Dänemark, das ihn schon bei Lebzeiten zum Nationalkomponisten erkoren und dadurch etliche durchaus talentierte Kollegen in den Schatten gestellt hatte. Er selbst nahm seinen landesinternen Ruhm mit kühler, unsentimentaler Gelassenheit - schon deswegen, weil er außerhalb der Sprach- und Landesgrenzen eher unterbelichtet blieb.
Nielsens großer Durchbruch kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem dank seiner sechs grandiosen Sinfonien. Heute ist er, wir hörten es eben am Beispiel der diesjährigen Berliner Festwochen, auf dem Vormarsch. Zu Recht, denn seine gleichermaßen schmerzlich harte wie einfühlsame, dabei klarlinig nüchterne Expressivität stellt ihn in den Jahren zwischen 1900 und 1925 auf Augenhöhe an die Seite der Zweiten Wiener Schule oder des jungen Prokofjew. Ähnlich ihnen verarbeitete er die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, vor allem in seinen menschheitsdramatischen Sinfonien 4 und 5.
Nihilistische Sicht auf die Dinge
Doch anders als seine internationalen Mitstreiter entstammte der Däne weder einem städtisch-intellektuellen noch aristokratisch verfeinerten Milieu, sondern wuchs als siebentes von zwölf Kindern eines Handwerkers auf der Insel Fünen, fernab der Metropolen, auf. Er lernte frühzeitig, sich durchzubeißen, und fand seinen künstlerischen Weg erst einmal nicht im akademischen Milieu, sondern in der rustikalen Klangwelt von ländlichen Volksfesten, Militärkapellen und später lange Jahre als Orchestermusiker.
Mit seinem sehr kontinuierlichen, aber eher gemächlichen Entwicklungsgang war Nielsen dann zu dem Zeitpunkt, als das alte Europa zusammenbrach, schon tief in der Mitte seines Lebens – was gegenüber den jüngeren Kollegen eine einerseits illusionslosere, andererseits aber auch reflektiertere und weniger apokalyptische Sicht auf die Ereignisse bedingte: mit einer gewissen sturen Bauernzähigkeit verweigerte er sich einer allzu nihilistischen Sicht auf die Dinge des Menschlichen und Politischen.
Seine Skepsis gegen künstlerisch einengende Dogmen nahm hingegen im Laufe des Lebens eher zu, und ihr folgten seine Noten. In Teilen seiner letzten, Mitte der 1920er-Jahre geschriebenen Sinfonie ist er ungefällig-sperrig wie nie zuvor. In späten Interviews riet er angehenden Komponisten von dieser Berufswahl ab und empfahl ihnen stattdessen handwerkliche Berufe.
Gut, dass er es selbst nicht so gehalten hat – sonst wären wir um ein bestürzendes und dabei letztlich dennoch optimistisches Werk wie die 4. Sinfonie ärmer.