Idol, Bürgerschreck und Groovemeister
In Deutschland ist er weitgehend unbekannt, doch in Frankreich gilt Nino Ferrer als Klassiker. Denn er, der auch der "Unentbehrliche" genannt wird, brachte Ende der 60er-Jahre den Groove des amerikanischen R&B und Jazzfunk nach Paris.
Ganz Frankreich war verliebt in ihn, den großen Blonden mit dem halblangen, zur Seite gescheitelten Haar, und seine Chansons, charmante Preziosen wie "Mirza" oder "Les cornichons", liefen in den Jukeboxen rauf und runter. Doch Nino Ferrer hasste seine eigenen Millionenseller; sein Biograf Christophe Conte schrieb später:
"Erfolg zu haben, war für ihn der größte Misserfolg."
Was Nino Ferrer wirklich wollte, fasste er 1966 mit seiner Single "Je veux être noir" zusammen, und man darf die vier Worte getrost als Aufschrei verstehen:
"Ich will schwarz sein."
Der Multiinstrumentalist Ferrer spielt zunächst als Sideman für den Jazztrompeter Bill Coleman, aber seine wahren Vorbilder sind James Brown und Otis Redding; seine Songs lässt er später von dem Kameruner Saxophonisten Manu Dibango arrangieren, der 1972 mit "Soul Makossa" als erster Afrikaner die US-Charts stürmen wird.
Aber das Publikum will nur den Nino Ferrer hören, der in schmissigen Novelty-Chansons aufzählt, was man alles zum Picknick mitnehmen kann. Er selbst kleidete sein höchst ambivalentes Verhältnis zum Pop in folgende Worte:
"1972 ist mir der Unterschied zwischen Musik und Muzak aufgegangen. Zwischen echter Musik, was immer das sein mag, und der Musik, die man in Fahrstühlen und Pissoirs hört. Das war sehr wichtig für mich."
Die Fans wollen tanzbare Melodien und joie de vivre, doch der frustrierte Ferrer provoziert sie mit dem Unvorhersehbaren: Etwa, als er Anfang der 70er-Jahre das Album "Métronomie" aufnimmt, das sich in etwa so anhört, als hätte Jacques Brel mit den Prog-Rockern Soft Machine eine Schiffsladung Dope weggekifft.
Bewusst zwischen allen Stühlen
Ferrer wird zum musikalischen Gestaltwandler zwischen Soul, Art Rock, Jazz, Funk und Underground, ein musikalischer Auteur, der sich bewusst zwischen alle Stühle setzt. Der Riss, der sich durch sein Werk zieht, spiegelte nichts als die klaffende Wunde in seiner Biografie. Er selbst fasste seine Weltsicht so zusammen:
"Ob ich traurig bin? Nein, überhaupt nicht. Meine Zweifel haben sich nur zusehends in Gewissheit verwandelt, in Pessimismus. Ich sehe die Zukunft mit Sorge, nicht was mich betrifft, aber in Hinsicht auf unser aller Kinder."
Dabei schien sich alles zum Guten zu wenden. Ferrers "Le Sud" war die meistverkaufte französische Single des Jahres 1975; das Chanson handelt vom Glück des Lebens, und auf dem Originalcover der dazugehörigen LP war er mit seiner neuen Liebe zu sehen, dem schwarzen Model Radiah, das sich splitternackt an ihn schmiegt.
Doch nur zwei Jahre später zog er sich in ein Dorf in der Auvergne zurück, wo er sich fast ausschließlich der Aktmalerei widmete, wenn er nicht gerade Texte wie diesen schrieb:
"Ich bin der ertrunkene Wanderer, das Wasser vergeht, die Tage auch."
Frust fraß ihn von innen auf
Idol, Bürgerschreck, Groovemeister, neben Serge Gainsbourg der einzige große Pop-Erfinder Frankreichs und ganz bestimmt der größte Soulman, den die Grande Nation je gesehen hat. All das war Nino Ferrer, über den Manu Dibango in seiner Autobiografie "Three Kilos of Coffee" schrieb:
"Er hatte eine unglaubliche Stimme, er liebte den Jazz, aber der Frust fraß ihn von innen auf."
Dazu kam noch Untröstlichkeit. Am 13. August 1998, einen Monat nach dem Tod seiner Mutter, erschoss sich Nino Ferrer mit seiner Jagdflinte auf einem Feld in St. Cyprien. Die Obduktion ergab, dass er das Gewehr präzise auf die linke Brusthälfte gerichtet hatte. Für ihn war das vielleicht sogar naheliegend gewesen: Mit seiner Musik hatte er ohnehin immer am offenen Herzen operiert.