Hören Sie zu Gottfried Keller auch ein Interview "Feminstisch, demokratisch, hintersinnig" anlässlich seines 200. Geburtstags.
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Beruflich erfolgreich, in Liebesdingen hoffnungslos
04:00 Minuten
Gottfried Keller gilt den Schweizern als Nationaldichter. Dabei wurde der 1819 geborene Keller eher nebenbei Schriftsteller, hauptberuflich arbeitete er als Staatsschreiber für den Kanton. Dietrich Karl Mäurer spaziert auf seinen Spuren durch Zürich.
Der Schweizer Schriftsteller Gottfried Keller zählte durch seine beiden Romane "Der grüne Heinrich" und "Martin Salander" sowie durch seine Novellen zu den großen Erzählern des bürgerlichen Realismus. Am 19. Juli vor 200 Jahren ist der Schweizer Schriftsteller auf die Welt gekommen.
Am Neumarkt in der Altstadt von Zürich steht zurückgesetzt – wie eingequetscht – ein graues Haus mit dem Namen "Zum goldenen Winkel". Hier wurde Gottfried Keller geboren, erklärt Ursula Amrein von der Universität Zürich. Sie hat über den Schweizer Schriftsteller promoviert und war Mitherausgeberin seiner Gesamtausgabe. Amrein zeigt auf eine Tafel über der Eingangstür und liest vor: "In diesem Haus wurde geboren Gottfried Keller, den 19. Juli 1819".
Schon ein Jahr später stand ein Umzug an - nur wenige Schritte vorbei am heutigen Nike-Brunnen zum Rindermarkt Nummer 9. Im Haus "Zur Sichel verbrachte Gottfried Keller den größten Teil seiner Kindheit und Jugend.
Als Landschaftsmaler nicht wenig erfolgreich
"Für Keller war es eine schwierige Zeit, weil der Vater ganz unerwartet gestorben ist, als Keller fünf Jahre alt war. Das hat die Familie sehr bedrängt und in die Armut gebracht. Die Mutter musste den Handwerkerbetrieb und die Familie allein weiterführen. Sie hat wieder geheiratet, es war aber eine unglückliche Geschichte."
Mit 15 Jahren wurde Keller infolge eines Jungenstreichs der Schule verwiesen. Vergeblich versuchte er, sich eine Existenz als Landschaftsmaler aufzubauen. Er ging nach Deutschland, zuerst nach München, später nach Heidelberg und Berlin. Dort legte er den Grundstein für sein literarisches Werk. Sein vermeintlich verpfuschtes Leben verarbeitete er im autobiografischen Roman "Der grüne Heinrich" und in ersten Texten seiner Novellensammlung "Die Leute von Seldwyla".
Um die Schulden ihres Sohnes zu tilgen, verkaufte die Mutter das Haus. Kellers finanzielle Schwierigkeiten fanden ein Ende, als er 1861 zum Staatsschreiber des Kantons Zürich gewählt wurde. Das Rathaus mit seinen prächtigen holzvertäfelten Sitzungszimmern – den Eingangsbereich ziert heute eine Gottfried-Keller-Büste – wurde sein Arbeitsort.
Ursula Amrein erklärt: "Keller führte die Staatskanzlei, er musste alle Protokolle führen, Pässe und Konzessionen unterschreiben. Er war bei allen Regierungssitzungen dabei und hat alle Staatsgeschäfte gekannt."
Zum nebenher Schreiben kam er dabei nicht, jedenfalls zunächst, sagt Keller-Kennerin Ursula Amrein:
"Aus Berlin hatte er 'Die sieben Legenden' mitgebracht, ein ganz witziger Text, in dem er die Legenden gegen ihre Tradition umschreibt und aus der Jenseits- eine Diesseitsperspektive kreiert. Die sieben Legenden hatte er in der Schublade. Die hat er als Testlauf veröffentlicht. Das kam sehr gut an und plötzlich war Keller ein Autor."
Kein Glück in der Liebe
Glück in Liebesdingen blieb ihm zeitlebens versagt. Gottfried Keller galt als wortkarger Einzelgänger. 1876, nach 15 Jahren, legte er sein Amt als Staatsschreiber nieder und zog in ein freistehendes Mehrfamilienhaus – genannte Bürgli – oberhalb des Zürichsees. Hier widmete er sich uneingeschränkt der Schriftstellerei und warf in seinen Texten einen kritisch-zweifelnden Blick auf die bürgerliche Gesellschaft.
Gottfried Keller, der heute gefeiert wird für seine Novellen wie "Kleider machen Leute" oder "Romeo und Julia auf dem Dorfe", zog noch einmal um. Bis zu seinem Tod 1890 lebte der scharfsinnige Zeitkritiker in einer Fünfzimmerwohnung im Züricher Stadtteil Hottingen.