"Der Freischütz hat ins Schwarze getroffen"
"Der Freischütz" war ein voller Erfolg: Zuallererst dürften Musik und Sujet das Premierenpublikum am 18. Juni 1821 im Königlichen Schauspielhaus zu Berlin begeistert haben. So manche Gesangsnummer hatte das Zeug zum Gassenhauer.
"Viktoria, wir können schießen, der Freyschütze hat ins Schwarze getroffen.", so schrieb Carl Maria von Weber seinem Librettisten Friedrich Kind vom grandiosen Erfolg ihrer gemeinsamen Oper. Die Handlung war populär und gefällig, nachdem sie eine zweifach verharmlosende Umformung erfahren hatte.
Gerichtsprotokoll wird Volkssage
Die ursprüngliche Version war ein Gerichtsprotokoll aus dem Jahr 1729, demzufolge aus einem Angeklagten das Geständnis eines "Teufelspakts" gepresst wurde. Die erste Glättung erfuhr dieser Bericht in der Volkssage von 1810 (veröffentlicht im "Gespensterbuch" von Johann August Apel und Friedrich Laun), die an die Stelle der Inquisition die rächende Natur setzte.
Den tragischen Ausgang dieser Geschichte bog schließlich Friedrich Kind um, indem er den Stoff auf die Ebene christlich empfindsamer Kunst hob: Aus dem Teufelspakt, den die Folter ans Licht bringt, wird der Kampf zwischen himmlischen und höllischen Mächten, bei dem das Gute das Böse besiegt.
"Hin zu einem schönen Dort"
Erst in dieser versöhnlichen Version war der Stoff tauglich für eine "romantische" Oper im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners aller sonstigen Bestimmungen von Romantik: der Maxime "Fort aus dem schlechten Hier und Jetzt, hin zu einem schöneren Dort!"
Die Idee Friedrich Kinds, das Geschehen in grauen Vorzeiten (als die ihm die Jahre "nach dem Dreißigjährigen Krieg" wohl erschienen) und "tief im Böhmischen Waldgebirg'" zu verorten, überzeugte denn auch Weber.
Im Zeichen deutscher Nationalbewegung
Den überwältigenden Erfolg des Werks begünstigte, dass seine Uraufführung vor zeitgeschichtlich brisantem Hintergrund stattfand. Der Premierentag war zugleich Jahrestag der "Schlacht bei Waterloo", der entscheidenden Zäsur im siegreichen Kampf der europäischen Völker gegen Napoleons Fremdherrschaft.
Dass der Imperator erst kurz zuvor, am 5. Mai 1821, auf St. Helena gestorben war, wird man zumindest beiläufig zur Kenntnis genommen haben.
Berliner Opernkrieg
Unterdessen tobte in Berlin ein "Opernkrieg", den man als Nachbeben der Befreiungskriege bezeichnen könnte.
In der preußischen Metropole regierte ein Monarch, König Friedrich Wilhelm III., der sich erst spät und zögerlich gegen Napoleon gestellt hatte. Nationalstaatlichen Bestrebungen begegnete er skeptisch, gerade auch solchen, die sich im Projekt einer deutschen Nationaloper manifestierten.
Affront gegen den Preußenkönig
Mit eben diesem Projekt wurde der "Freischütz" von Anfang an in Verbindung gebracht – völlig zu Recht, griff er doch in der Wahl des Sujets wie in der musikalischen Gestaltung auf genuin deutsche Symbolbilder zurück.
Der Sache nach war er ein Gegenentwurf zur Oper italienischer und französischer Prägung, der politischen Wirkung nach ein Affront gegen den preußischen Herrscher. Denn Wilhelm III. hatte andere Präferenzen, personifiziert in Gaspare Spontini.
Ihn brachte er – nicht direkt gegen Weber, wohl aber gegen dessen eifrigsten Fürsprecher, den Grafen Karl von Brühl – in Stellung: mit der Ernennung des Italieners zum königlich-preußischen "General-Musik-Direktor".
Dass Spontini in Paris lange in gehobenen Diensten Napoleons gestanden hatte, brachte die patriotisch gestimmte Öffentlichkeit umso mehr gegen den Hohenzollern auf.
Vaterlandsersatz auf der Opernbühne
Am Ende konnte die Berliner "Freischütz"-Premiere nur verzögert, nicht aber verhindert werden. Als Geburtsstunde der deutschen Nationaloper gefeiert, fand das Ereignis landesweit Resonanz.
Es gab jedoch auch ironisch-skeptische – aus heutiger Sicht: historisch-realistische – Reaktionen, etwa von Ludwig Börne. Er traf ins Schwarze, als er anlässlich einer weiteren Aufführung der Oper notierte:
"…wer kein Vaterland hat, erfinde sich eins! Die Deutschen haben es versucht auf allerlei Weise, …und seit dem Freischützen tun sie es auch mit der Musik. Sie wollen einen Hut haben, unter den man alle deutschen Köpfe bringe. Man mag es den Armen hingehen lassen, dass sie sich mit solchen Vaterlandssurrogaten gütlich tun."