Zum 300. Geburtstag Friedrichs des Großen
Vor 300 Jahren wurde Friedrich der Große geboren. Aus diesem Anlass sind einige neue Bücher erschienen. Jens Bisky, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hat mit den Historikern Monika Wienfort und Daniel Schönpflug über sie gesprochen.
Jens Bisky: Herzlich willkommen zu Lesart Spezial, der ersten im neuen Jahr. Mein Name ist Jens Bisky. Ich bin Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung und habe mich als solcher in Artikeln und auch in Büchern mit der preußischen Geschichte befasst. Dieses Jahr steht im Zeichen Friedrich des Großen. Am 24. Januar 1712 wurde er im Berliner Stadtschloss geboren. Jetzt, aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums, wird viel über diesen Preußenkönig, den bekanntesten wohl von allen Hohenzollernherrschern diskutiert werden.
Wir wollen heute über drei Bücher sprechen aus einer Vielzahl von Neuerscheinungen, die sich mit Friedrich befassen. Es geht zum einen um Tom Goeller "Der Alte Fritz. Mensch, Monarch, Mythos", erschienen bei Hoffmann und Campe, dann um "Friedrich der Große und George Washington" von Jürgen Overhoff, bei Klett-Cotta erschienen, und um Jürgen Luhs Buch "Der Große. Friedrich der II. von Preußen", im Siedler Verlag erschienen.
Ich habe mir zwei sachkundige Historiker eingeladen, um mit Ihnen darüber zu sprechen. Ich freue mich sehr, dass Frau Dr. Monika Wienfort Zeit gefunden hat. Sie ist zurzeit Gastprofessorin am Freiburg Institut for Advanced Studies an der Albert Ludwig Universität in Freiburg. Sie ist bekannt geworden mit einer grandiosen Studie über die Patrimonialgerichtsbarkeit in Preußen und hat in der schönen Reihe des C.H. Beck Verlages "Wissen" im Jahr 2008 ein knappes konzises Preußenbuch vorgelegt. Guten Tag, Frau Wienfort, in Freiburg.
Monika Wienfort: Guten Tag, Herr Bisky.
Jens Bisky: Hier in Berlin neben mir sitzt Dr. Daniel Schönpflug. Er ist Privatdozent an der Freien Universität Berlin und Stellvertretender Direktor des Centre Marc Bloch. Er hat das, wie ich finde, schönste und interessanteste Buch zur Königin Luise, der Königin der Herzen, geschrieben. Guten Tag, Herr Schönpflug.
Daniel Schönpflug: Guten Tag.
Jens Bisky: Friedrich der Große, ich habe es schon gesagt, wird 1712 noch unter der Ägide des ersten Königs in Preußen im Berliner Schloss geboren. Ganz kurz wichtige Stationen seines Lebens, nur um diese in Erinnerung zu rufen:
1730 unternimmt er, nachdem der Konflikt mit dem Vater unaushaltbar geworden scheint, einen Fluchtversuch. Sein Freund, Hans Hermann von Katte, zahlt dafür den Preis und wird hingerichtet. Friedrich wird begnadigt, wieder aufgenommen, darf sich in der Verwaltung bewähren. Er erprobt dann einen neuen Stil des Hoflebens in Rheinsberg.
1740 besteigt er den Thron. Und zum Ende desselben Jahres überfällt er Schlesien, um sich diese Provinz, eine der reichsten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, anzueignen. Der Kampf um Schlesien bestimmt sein Regentenschicksal. Er wird drei Kriege um Schlesien führen. Entscheidend wird dabei der Siebenjährige Krieg, den er mit einem Überfall auf Sachsen beginnt und am Ende ja sehr knapp übersteht, um dann den Status quo ante sichern zu können.
Er kehrt nach Berlin zurück und versucht hier in den letzten Jahren seiner Herrschaft, und die ist noch sehr lang, Preußen als Großmacht im Rahmen Europas zu stabilisieren und allzu viele Veränderungen nicht zuzulassen. Er stirbt 1786 und es wird erzählt, dass die Trauer der Bevölkerung nach 46 Jahren unter Friedrich dem Großen nicht besonders groß gewesen sei.
Frau Wienfort, man hätte doch denken können, dass über Friedrich den Großen eigentlich alles gesagt ist. Es gibt eine Menge Bücher. Man kann, glaube ich, locker 10 Jahre mit einem Studium dieser Bücher verbringen. Ich will nur an drei erinnern. Da ist zunächst das wunderbare Volksbuch von Franz Kugler mit den Illustrationen von Adolph Menzel, 1842 zum ersten Mal erschienen. Dann gibt es von Reinhold Koser, der die Quellen kannte wie kein anderer aus den letzten Jahren des Kaiserreichs, eine große mehrbändige Biographie. Vor kurzem ist im Beck Verlag von Johannes Kunisch die neue Standardbiographie zu Friedrich erschienen. Nun gibt es aber zum Jubiläum ganz viele neue Friedrich-Bücher. Mich hat dieses Interesse an Friedrich überrascht. Sie auch?
Monika Wienfort: Ich bin nicht wirklich überrascht. Ich kann mir denken, dass es Gründe gibt für die Öffentlichkeit, sich anlässlich eines solchen Jubiläums dann doch auch mal wieder zu versichern, des eigenen Geschichtsbilds zu versichern. Jede Epoche benötigt ja ihre eigene Geschichtsschreibung, ihre je eigene Geschichtsschreibung. Und von daher kann es immer sein und ist es immer richtig, sich - meinetwegen anlässlich eines Jubiläums - neu zu fragen, was eigentlich das Besondere an hier Friedrich dem Großen gewesen ist.
Jens Bisky: Da bringen wir uns sozusagen neu gegenüber Friedrich dem Großen in Stellung. Herr Schönpflug, gibt es denn auch Forschung? Gibt's in der Sache was Neues zu Friedrich zu sagen?
Daniel Schönpflug: Ja, ich denke, das Jubiläum hat auch im Vorfeld und sicherlich auch in der Nachbereitung in der Forschung schon auch was ausgelöst. Es gab beispielsweise, organisiert von der Stiftung Schlösser und Gärten, eine Reihe von Tagungen, die also hin arbeiteten auf dieses Jubiläum und wo in Bezug auf den Fredericianischen Hof, auf seine Dynastie, auch auf das Thema der Größe einiges Interessantes auch ans Licht gekommen ist.
Jens Bisky: Jemand, der wirklich mit dem Anspruch auftritt, etwas Neues zu erzählen, ein anderes Friedrichbild jenseits von Legenden und Mythen zu entwerfen, ist Jürgen Luh. Jürgen Luh ist Historiker, verantwortlich für Wissenschaft und Forschung in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Er wird ganz entscheidend die Ausstellung, die in diesem Jahr im Neuen Palais zu sehen sein wird, mit vorbereiten.
Er hat ein Buch vorgelegt unter dem Titel "Der Große". Im Untertitel heißt es "Friedrich der II. von Preußen". Es ist anders als man erwarten möchte, keine Biografie. Es ist ein Porträt des Charakters von Friedrich dem Großen, hat vier Kapitel. "Ruhmsucht" ist das erste überschrieben, "Hartnäckigkeit" das zweite, "Eigensinn" das dritte und das vierte sehr kurze "Einsicht".
Friedrich erscheint in diesem Buch als ein ziemlich egozentrischer, bösartiger, beinahe autistischer Charakter. Frau Wienfort, hat sie das überzeugt?
Monika Wienfort: Das Zeitalter der Glorifizierungen Friedrichs ist zwar, denke ich, endgültig vorbei. Und den Versuch zu glorifizieren, unternimmt auch keine andere Publikation. Aber mir hat es gut gefallen, grundsätzlich zunächst mal einen Antagonismus aufzubauen, eine Gegenperspektive einzunehmen und Friedrich sehr kritisch zu sehen, auch gegen unser eigenes Bedürfnis, vielleicht doch eine Persönlichkeit zu finden, die wir auch bewundern können.
Daniel Schönpflug: Ich denke auch, spannend an diesem Buch ist, dass wir hier eine Biografie haben, die wirklich reflektiert ist, eben nicht diese Erzählung von der Wiege bis zur Bahre, sondern anhand einer Frage, einer analytischen Frage, die ja sehr wichtig ist. Und das ist tatsächlich auch, denk ich, für das Genre der Biografie gut, dass es mehr und mehr solche gibt. Ich bin auch am Ende des Buches nicht sicher, wie kritisch diese Lektüre tatsächlich ist. Denn - also, kritisch in dem Sinne, dass sie analytisch ist, aber kommt man zu einem negativeren Friedrichbild, nur weil man versteht, dass er an seinem eigenen Ruhm auch gearbeitet hat? Man könnte ja auch sagen, das politische Genie dieses Mannes wird dadurch eigentlich noch viel eindrucksvoller.
Jens Bisky: Aber inwiefern unterscheidet ihn das von anderen Herrschern seiner Zeit? Wollten die nicht alle als ruhmreiche Potentaten in die Geschichte eingehen?
Monika Wienfort: Das kann man sicher so sehen. Aber Friedrich hat doch vielleicht mehr in dieser Hinsicht getan als man es von anderen Herrschern des 18. Jahrhunderts sagen kann. Übrigens finde ich vielleicht doch wichtig, dass ich eigentlich an diesem Buch etwas vermisst habe, Friedrich politischer zu sehen. Ich finde, insgesamt ist dieses Buch ein Versuch, eine Persönlichkeit darzustellen, also mit den Zügen Egoismus, Eigensinn, Starrsinn bis hin meinetwegen zu Autismus. Das kann ich nachvollziehen. Biographien versuchen ja immer ihren Helden zu verstehen. Aber mir kommen dabei doch einige Perspektiven, ja vor allen Dingen das, was ich genuin politisch ansehen würde, kommen mir doch ein bisschen kurz.
Jens Bisky: Vielleicht zu einigen Punkten, die Jürgen Luh neu beleuchtet in der Biographie, indem er alles auf die Perspektive der Ruhmsucht bezieht: Da ist zunächst die berühmte Flucht des Kronprinzen. Und da vertritt er die These, dass Friedrich diese ja bekanntermaßen dilettantisch vorbereitete Aktion unternommen habe, gar nicht, um wirklich zu fliehen, sondern um aufzufallen. Leuchtet Ihnen das ein?
Daniel Schönpflug: Das scheint mir eine interessante Perspektive zu sein. Bei Luh steht ja als Kern der Analyse der Begriff der Öffentlichkeitsarbeit, ein ganz moderner Begriff, der aber sehr viel Sinn macht meines Erachtens, bezogen auf Friedrich den Großen. Und wenn man ihn als jemanden betrachtet, der immer wieder die Arbeit mit dem Bild in der Öffentlichkeit vorwärts treibt, dann sind viele Episoden noch mal in einem ganz anderen Licht zu sehen - auch die Episode mit Voltaire, den er ja nach Luhs Darstellungen geradezu ausnutzt, um ihn dazu zu drängen, auch im französischen Kontext, im europäischen Kontext bestimmte Dinge über ihn zu schreiben, bis hin zur Bautätigkeit, zum Umgang mit den Zeitungen. Selbst die Kriege erscheinen dadurch in einem neuen Licht.
Und diesen Aspekt finde ich ausgesprochen fruchtbar, eine Arbeit, die ihn im Grunde genommen auch in Kontext der aktuellen Betrachtung stellt. Denn Öffentlichkeitsarbeit ist etwas, das kennen wir, das können wir uns von heute vorstellen. Und dass es im 18. Jahrhundert schon existierte und wichtig war und wie es funktionierte, das ist eine spannende Frage.
Monika Wienfort: Mir gefällt am Buch besonders gut, das er Stilisierungen in den Mittelpunkt stellt, dass er Friedrichs Äußerungen, Friedrichs Handlungen nie für bare Münze nimmt, nicht selbstverständlich akzeptiert, sondern immer davon ausgeht, dass bestimmte Absichten damit verbunden sind.
Was die Flucht angeht, bin ich allerdings nicht ganz überzeugt. Sicher, das ist eine frische Perspektive, aber so ganz und rein instrumentell, ich glaube, dafür reichen die Quellen, reichen die Zeugnisse eigentlich nicht aus, um das mit letzter Sicherheit zu behaupten. Also, mir wäre sympathischer eine Sichtweise, die einerseits sagt, ja, Friedrich weiß, was er da versucht, und er weiß, was er tut, und er möchte auch sicherlich nicht am Ende erreichen, seine Position als Kronprinz zu verlieren. Aber er versucht doch schon, denke ich, ernsthaft sich dem Vater an diesem Punkt zu entziehen. Und es rein von vorne bis hinten als strategische Handlung, die scheitern soll, zu interpretieren, geht mir persönlich ein bisschen zu weit.
Daniel Schönpflug: Ich bin Ihrer Meinung und denke auch, um das noch plausibler zu machen, hätte man vielleicht auch den Kontext und die Rezeption etwas deutlicher noch darstellen müssen.
Wir haben hier den Begriff der Öffentlichkeitsarbeit. Es ist aber das Wesen dieser Öffentlichkeiten immer nur am Rande angesprochen. Wer genau ist denn da angesprochen? Wer ist die Zielgruppe dieser Arbeit? Was ist der Resonanzraum? Welche Medien stehen zur Verfügung, um diese Gruppen zu erreichen? Und wurden sie erreicht? Gab es tatsächlich ein Echo? - Ich denke, das wäre noch so eine Ebene gewesen, die eine strukturelle Einbettung geliefert hätte und wo dann tatsächlich dieser Versuchsaufbau sich erst in seinem ganzen Chancenreichtum auch erwiesen hätte.
Jens Bisky: Es gibt eine andere Szene in diesem Buch, die mich als Nichthistoriker besonders beschäftigt hat, eine Szene aus dem Siebenjährigen Krieg. Sein Bruder und potenzialer Nachfolger August Wilhelm hat einen kleinen militärischen Fehler begangen. Als er dann dem König Friedrich gegenübersteht, sagt Friedrich, er meritiere entlassen zu werden. Die Generäle sollten eigentlich alle ihren Kopf verlieren. Und Luh erklärt nun, dass Friedrich im Grunde von eigenen militärischen Fehlern abgelenkt habe, um seinen Bruder als Sündenbock zu benutzen.
Da stellt sich mir die Frage: Hatte denn ein absoluter Herrscher im 18. Jahrhundert überhaupt eine Möglichkeit, Fehler einzugestehen? Wie gingen andere Herrscher mit solchen Situationen um?
Monika Wienfort: Ich würde zunächst mal vermuten, dass man grundsätzlich nicht sagen kann, dass man Fehler offen eingesteht als Herrscher, als Selbstherrscher in einem doch auf die Person des Herrschers sehr zugeschnittenen politischen System. Wenn schon, dann kann man das in einem kleineren Kreis tun, in einem Freundeskreis tun, wobei man sicherlich darüber sprechen muss, nicht nur, was Friedrich unter Freundschaft versteht, sondern auch, was man überhaupt im 18. Jahrhundert unter Freundschaft verstehen kann. Da wären sicherlich solche Eingeständnisse möglich gewesen.
In der Öffentlichkeit, strategisches, militärisches oder politisches Versagen zuzugeben, also, das ist selbst für die Politik heute doch ein großes Problem.
Daniel Schönpflug: Und dennoch war natürlich dieses Ausgrenzen des Bruders besonders hart.
Jens Bisky: Und der Bruder überlebt es nicht lange. Er geht dann elend ein, man kann wohl sagen, auch an der Kränkung durch Friedrich.
Dass der Kontakt zu Voltaire ungeheuer wichtig ist, um in den gebildeten Kreisen Europas und an den Höfen Europas Nachrichten zu platzieren und unterzubringen, dass Voltaire gleichsam als Pressesprecher Friedrichs fungiert hat, das will ich gern glauben. Aber erschöpft sich darin die Bedeutung der Aufklärung für Friedrich den Großen?
Daniel Schönpflug: Ganz sicher nicht. Dazu sind seine eigenen philosophischen Versuche viel zu ambitioniert. Dafür war es ihm viel zu wichtig, bei Voltaire und den anderen Aufklärern, die er auch nach Berlin eingeladen hat, tatsächlich als ebenbürtig, intellektuell ebenbürtig wahrgenommen zu werden. Und für ihn ist die Aufklärung tatsächlich eine philosophische Grundlage dessen, was er als aufgeklärter Monarch tun will.
Monika Wienfort: Man kann hinzufügen, dass für Friedrich wie für die Forschung heute Aufklärung sehr viel stärker als das lange Zeit der Fall war als Geselligkeitsphänomen wahrgenommen worden ist. Und das wollte Friedrich unbedingt. Er wollte dazugehören. Er wollte zu diesen führenden Intellektuellenzirkeln in Europa dazugehören. Und in dem Sinne war Aufklärung für ihn ja ein Muss, weil er nur so dieses Ziel erreichen konnte.
Jens Bisky: "Zwei Wege der Aufklärung" heißt im Untertitel das Buch von Jürgen Overhoff, "Friedrich der Große und George Washington". Das ist nicht ein Vergleich, auf den man sofort kommen würde. Es ist aber einer, der ja auch einen Grund in der Sache hat, denn der Siebenjährige Krieg fand nicht nur in Europa statt. Den kann man nicht nur aus preußischer Perspektive verstehen. Der war auch eine Auseinandersetzung in Kolonialgebieten, unter anderem in Amerika. Wie fruchtbar wird dieser Vergleich bei Overhoff, Herr Schönpflug?
Daniel Schönpflug: Zunächst mal wird das sehr originell, sehr anregend, auch in den ersten Seiten sehr, sehr überzeugend aufgemacht. Er entwickelt das ja wirklich philosophisch, indem er sagt, es gibt zwei unterschiedliche Strömungen der politischen Aufklärung - die republikanische und die aufgeklärt absolutistische. In einem späteren Kapitel entwickelt er das von Thomas Hobbes her, den er bei Quentin Skinner, mit Quentin Skinner intensiv studiert hat, schreibt, auch das eine spannende Parallelität, dass Washington und Friedrich der Große zwei, wie er schreibt, "funkelnagelneue Staaten unter sich gehabt" hätten, also, beide im Grunde genommen vor einer etwas ähnlichen Aufgabe standen. Und das ist erstmal fesselnd und man weckt große Erwartungen zunächst mal.
Je weiter man liest, desto unsicherer wird man sich darüber, ob diese Erwartungen auch eingelöst werden. Es dauert doch fast 100 Seiten bis die Protagonisten selber dann auftreten. Da hat man schon die halbe amerikanische und die halbe preußische Geschichte kennen gelernt. Und fast 300 Seiten, bevor diese Dichte, die so ein Thema auch haben könnte, wo die Austauschbeziehungen, die gegenseitigen Wahrnehmungen, die womöglich Lernprozesse oder Aneignungsprozesse des einen über den anderen so richtig in den Blick geraten, da fragt man sich, ob diese originelle Idee in der Durchführung dann tatsächlich so fruchtbare Ergebnisse erzielt hat.
In der Geschichte sagen wir: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.
Monika Wienfort: Auch mir gefällt die Idee. Aber ich finde doch, wenn man dieses Modell von einer Doppelbiografie, wenn ich das so nennen kann, aufnehmen will, dann muss man auch inhaltlich Verflechtungspunkte, Knotenpunkte haben, die das rechtfertigen. Jenseits der räumlichen Entfernung scheint mir doch eine sehr große Distanz zu bestehen. Aufklärung ist sicher ein schillernder Begriff, aber das, was Friedrich tut und wie Friedrich mit Aufklärung umgeht in seinem europäischen Zusammenhang, und das, was die Gründung der amerikanischen Republik ausmacht, das scheint mir doch wenig miteinander verbunden zu sein - jedenfalls hier in der Darstellung. Und in weiten Teilen gerät das dann zu einer konventionellen Ereignisgeschichte.
Das wird den Experten nicht interessieren, weil er das schon kennt. Und für jemanden wiederum, für den das neu ist, der hätte doch vielleicht gerne eine stärkere Konzentration entweder auf den einen oder auf den anderen Fall. Als Parallele reicht einfach die gemeinsame Hundeliebe, denke ich, dann doch nicht aus.
Jens Bisky: Obwohl ich das als Information sehr gern zur Kenntnis genommen habe. Es ist ja unter Küchenpsychologen beliebt, in die Hundeliebe Friedrichs des Großen allerlei hineinzulesen. Und wenn man nun erfährt, dass auch George Washington Grabmäler für seine Hunde errichtet hat, dann denkt man, na ja, es ist vielleicht zeitüblich.
Monika Wienfort: Aber mit der Küchenpsychologie in Biographien ist das ja so eine Sache.
Daniel Schönpflug: Das ist richtig. Andererseits es gibt hin und wieder kleine Juwelen in diesem Buch, die zu finden sich lohnt und wo man Freude hat, beispielsweise, wenn es heißt bei den ersten Malen, wo Friedrich der Große den Namen Washington schreibt, da ist er noch außerstande, diesen Namen richtig zu schreiben, schreibt Woisington und kriegt das also nicht hin. Dass umgekehrt der Amerikanische Kongress über Friedrich den Großen diskutiert, dass Jefferson das in die Debatte einbringt oder dieses Detail, dass man Washington nahe legt, er solle doch eine Position als König von Amerika anstreben - das sind tolle Fundstücke. Und die lohnen die Lektüre durchaus.
Monika Wienfort: Vielleicht kann man noch mal sagen, dass grundsätzlich beide Bücher, auch Luhs Buch, sehr wenig neue Perspektiven eigentlich auf Friedrichs, auf seinen politischen Blick, auf das Reich und auf das europäische Mächtesystem haben, also, all das, was wir unter Aufstieg Preußens zur Großmacht verstehen würden. Das hängt auch damit zusammen, dass weder Loh noch Overhoff eigentlich die Dynastie, die Hohenzollern, die Familie wirklich ernst nehmen als Gegenstand, obwohl ja viele Familienmitglieder häufig vorkommen. Es wird aber nicht im Einzelnen thematisiert.
Und die Vorstellung, dass Friedrich eigentlich selber die Revolution macht, also der erste Revolutionär seines Staates werden soll, die scheint mir doch, falls die in diesem Buch gehegt wird, die scheint mir doch sehr utopisch.
Jens Bisky: Zwei interessante Bücher, die interessante Perspektiven auf Friedrich werfen, aber doch ungeheuer auf die Person konzentriert sind. Trotzdem sie kritisch sind, wird das Umfeld, wird der Kontext weitgehend ausgeblendet. So etwas wie das Wort "Kantonsreglement" sucht man, glaub ich, in beiden Büchern vergeblich. Dabei wird das zu Friedrichs Lebzeiten eingeführt noch von seinem Vater, als Friedrich als Kronprinz Regimentskommandeur in Ruppin wird. Und das ist doch etwas ganz Wesentliches, scheint mir, für die Macht und für die Durchsetzungskraft, die er erreicht hat. Davon erfährt man wenig, dafür sehr viel über den König.
Tom Goeller "Der Alte Fritz. Mensch, Monarch, Mythos" ist eine ausgewogenere Biographie. Oder irre ich mich da?
Daniel Schönpflug: Sie ist eine Biographie, die auch versucht eine Frage zu entwickeln. Die Frage, die hier im Mittelpunkt steht, ist eigentlich die einer konsequenten Aktualisierung. Wenn man versucht die Linie zu sehen in diesem Buch, dann eigentlich die, immer wieder zu fragen: Was haben unsere Zeitgenossen, oft auch bekannte Zeitgenossen, jemand wie Helmut Schmidt, Walter Scheel, Peter Scholl-Latour oder Gregor Gysi, zu Friedrich dem Großen gesagt? Und was hilft uns das, um die Figur in ihrem aktuellen Kontext besser zu verstehen. - Das scheint mir der interessante Teil dieses Buches zu sein.
Dazwischen gibt es auch immer wieder lange biographische Partien, die ich weniger gelungen finde.
Monika Wienfort: Und das Buch von Tom Goeller bestätigt die Vorstellung, dass jede Zeit ihre eigene Geschichtsschreibung anstrebt. Und er macht das ganz offen und ganz direkt. Das finde ich sehr sympathisch, zu versuchen die direkt die Fragen zu stellen: Was sagt uns Friedrich heute? Was können wir anfangen mit den Episoden aus dem doch sehr fernen 18. Jahrhundert?
Er bekennt sich dazu, dass Friedrich interessant ist, dass er einen Teil des Geschichtsbewusstseins in Deutschland bildet. Und er fragt eben auch, was kann man über Friedrich eigentlich in anderen europäischen Ländern sagen oder was sagt man über ihn oder wie hat man ihn sich vorgestellt.
Also, das ist ein Buch, das in dieser Perspektive wirklich doch etwas hinzufügt zu dem, was wir schon wissen.
Jens Bisky: Ja, was bedeutet Friedrich für die Gegenwart? Ist er nicht ein Herrscher des 18. Jahrhunderts, mit dem das 19. Jahrhundert durch Legendenbildung und das 20. durch ideologische Indienstnahme Schindluder getrieben haben und den wir jetzt in aller Ruhe betrachten können wie ein Nippesstück im Regal?
Daniel Schönpflug: Ja gut, das Buch bietet da andere Deutungen. Peter Scholl-Latour wird zitiert, der Friedrich den Großen als Vorbild für eine Integrationsdebatte in der Bundesrepublik sieht. Gregor Gysi wird zitiert, der sagt, die Politik muss auch auf die Denker hören. Wenn die intellektuellen Eliten sich querstellen gegen bestimmte politische Maßnahmen, dann muss man das ernst nehmen. Walter Scheel hat abgehoben auf die politischen Tugenden. Also, da hat wohl jeder so seine eigene Lesart, seinen eigenen Zugang zu diesem Erbe oder zu dieser Frage, was soll man daraus machen.
Für mich als Historiker sind das Fragen, die ich gerne drehen würde, also, wo ich eigentlich mir wünschen würde, dass man Aktualisierung nicht oder in einer anderen Weise betreibt. Ich fände es eigentlich spannender, wenn man eine solche Figur benutzt, um zu historisieren, das heißt, eigentlich auch einen gegenwärtigen Blick durch diese Figur hindurch auf eine Zeit zu werfen und auf diese Art und Weise die Chance eines Jubiläums auch zu nutzen, um Menschen mit Geschichte lebendig in Kontakt zu bringen.
Jens Bisky: Frau Wienfort, Friedrich der Große hat ja lange - gerade in den letzten fünf Jahrzehnten - so als eine geschichtspädagogische Vogelscheuche dienen müssen. Also, entweder wurde er aufgestellt, um vor den finsteren Abwegen zu warnen und vor dem preußischen Ungeist. Oder man hat ihn benutzt, um Tugenden zu predigen und dann wurde er der preußische Tugendbold, der er, wenn man ein bisschen herumgelesen hat, ja nicht wirklich gewesen ist.
Das scheint vorbei, diese Indienstnahme zu volkspädagogischen Zwecken. Wie finden Sie es denn aber, dass der Bundespräsident zum Geburtstagsjubiläum dieses preußischen Königs einen eigenen Festakt veranstaltet im Konzerthaus?
Monika Wienfort: Also, man kann natürlich auf den ersten Blick sagen, hm, man muss das skeptisch sehen. Das ist doch auch ein Teil der Glorifizierung, die wir nicht wollen, die Konzentration auf eine Persönlichkeit. Aber ich denke, der Bundespräsident und die, die ihn umgeben und beraten, werden das so nicht sehen. Die werden auch das 18. Jahrhundert insgesamt, die Entwicklungen, die das 18. Jahrhundert kennzeichnen, gerade dieses Mischungsverhältnis zwischen Aufklärung und autoritären Herrschaftsstrukturen, zwischen einer sich verändernden Gesellschaft, dem Adel, dem Militär, dem wachsenden Bürgertum Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Und ich finde auch, wenn ein solches Jubiläum dazu dient, jenseits der unmittelbaren Zeitgeschichte, für die das Interesse immer groß ist, auch in Epochen vorzustoßen, die etwas ferner liegen, dann kann ich das nur begrüßen.
Jens Bisky: Ich glaube, das ist ein Punkt, in dem wir uns einig sind, dass das sehr schön wäre, wenn man die Schallmauern, die uns von der älteren Vergangenheit zu trennen scheinen, durchbricht und begreift, dass der Siebenjährige Krieg auch ungeheure Auswirkungen auf Europa gehabt hat, dass er für die deutsche Geschichte auch sehr wichtig gewesen ist und vielleicht manches eben so erklären hilft, wie spätere Kriege und Zeiten.
Wir könnten jetzt noch locker einige Stunden über Friedrich den Großen plaudern. Es gibt viele Aspekte, die wir nicht einmal gestreift haben. Aber die Zeit ist herum. Es ist eine schöne Gewohnheit hier in dieser Sendung, dass jeder Gast eine Buchempfehlung aussprechen darf. Frau Wienfort, welches Buch möchten Sie denn empfehlen und warum?
Monika Wienfort: Ich möchte gern den großen DDR-Roman von Eugen Ruge empfehlen als Historikerin, weil es mir besonders gut gefällt, wenn Geschichtswissenschaft und Geschichte miteinander in Kontakt treten, und zwar nicht im Rahmen eines Fachbuchs, sondern im Rahmen eines Romans. Denn eine Romanleserin bin ich doch auch und auch immer wieder gern.
Jens Bisky: Der Roman heißt "In Zeiten des abnehmenden Lichts", ist im Rowohlt Verlag erschienen, ist in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden. Und der Vater Eugen Ruges war einer der wichtigsten DDR-Historiker, Wolfgang Ruge.
Herr Schönpflug, Ihre Empfehlung.
Daniel Schönpflug: Ja, ich möchte gerne eine weitere Biographie empfehlen, und zwar nicht Friedrichs Biographie, sondern eine von Napoleon I., geschrieben von Volker Hunecke, trägt den Untertitel: "Vom Scheitern eines guten Diktators". Das ist provokant formuliert und ist auch schon die These des Buches. Es wird nämlich gezeigt, etwa entlang der Interpretationslinie von Adolphe Thiers, dass Napoleon zunächst mit vielen positiven und positiv wahrgenommenen politischen Maßnahmen antritt und in einer Phase geradezu als eine mythische Rettergestalt erscheint - bis er dann im Überschießen all dieses Guten, was er getan hat, zu einer diktatorischen und am Ende tragischen Figur wird.
Jens Bisky: Volker Huneckes Buch "Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators" ist im Schöningh Verlag erschienen.
Das war die erste Lesart Spezial im neuen Jahr. Sie hat hoffentlich, ohne eine Einübung in fritzische Gesinnung zu sein, Interesse an Friedrich dem Großen geweckt. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und viele Dank an meine beiden Mitdiskutanten Frau Wienfort und Herrn Schönpflug.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Außerdem sind bereits 2011 erschienen oder erscheinen in den nächsten Monaten:
Johannes Unger Friedrich: Ein deutscher König
Propyläen Verlag
Tillmann Bendikowski: Friedrich der Große
Bertelsmann Verlag
Jens Bisky: Unser König. Über Friedrich II
Verlag Rowohlt Berlin
Uwe A. Oster: Sein Leben war das traurigste der Welt.
Friedrich II und der Kampf mit seinem Vater
Piper Verlag
Matthias Siedenschnur-Sander: Vom Alten Fritz. Ein Lesebuch
S.Fischer
Ulrike-Christine Sander: Friedrich der Große. Ausgewählte Schriften
S.Fischer
Michael Epkenhans. Gerhard P.Groß. Burkhard Köster:
Preußen. Aufstieg und Fall einer Großmacht
Theiss
Jürgen Overhoff(Hrsgb.): An meinen Geist: Friedrich der Große in seiner Dichtung
Schoenigh
Hans Pleschinski: Voltaire – Friedrich der Große. Briefwechsel
Hanser
Eberhard Straub: Eine kleine Geschichte Preußens
Klett-Cotta
Norbert Leithold: Friedrich II von Preußen
Ein kulturgeschichtliches Panorama von A bis Z.
Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag
Wolfgang Wippermann: Preußen. Kleine Geschichte eines großen Mythos
Herder
Ute Frevert: Gefühlspolitik. Friedrich II als Herr über die Herzen
Wallstein
Wir wollen heute über drei Bücher sprechen aus einer Vielzahl von Neuerscheinungen, die sich mit Friedrich befassen. Es geht zum einen um Tom Goeller "Der Alte Fritz. Mensch, Monarch, Mythos", erschienen bei Hoffmann und Campe, dann um "Friedrich der Große und George Washington" von Jürgen Overhoff, bei Klett-Cotta erschienen, und um Jürgen Luhs Buch "Der Große. Friedrich der II. von Preußen", im Siedler Verlag erschienen.
Ich habe mir zwei sachkundige Historiker eingeladen, um mit Ihnen darüber zu sprechen. Ich freue mich sehr, dass Frau Dr. Monika Wienfort Zeit gefunden hat. Sie ist zurzeit Gastprofessorin am Freiburg Institut for Advanced Studies an der Albert Ludwig Universität in Freiburg. Sie ist bekannt geworden mit einer grandiosen Studie über die Patrimonialgerichtsbarkeit in Preußen und hat in der schönen Reihe des C.H. Beck Verlages "Wissen" im Jahr 2008 ein knappes konzises Preußenbuch vorgelegt. Guten Tag, Frau Wienfort, in Freiburg.
Monika Wienfort: Guten Tag, Herr Bisky.
Jens Bisky: Hier in Berlin neben mir sitzt Dr. Daniel Schönpflug. Er ist Privatdozent an der Freien Universität Berlin und Stellvertretender Direktor des Centre Marc Bloch. Er hat das, wie ich finde, schönste und interessanteste Buch zur Königin Luise, der Königin der Herzen, geschrieben. Guten Tag, Herr Schönpflug.
Daniel Schönpflug: Guten Tag.
Jens Bisky: Friedrich der Große, ich habe es schon gesagt, wird 1712 noch unter der Ägide des ersten Königs in Preußen im Berliner Schloss geboren. Ganz kurz wichtige Stationen seines Lebens, nur um diese in Erinnerung zu rufen:
1730 unternimmt er, nachdem der Konflikt mit dem Vater unaushaltbar geworden scheint, einen Fluchtversuch. Sein Freund, Hans Hermann von Katte, zahlt dafür den Preis und wird hingerichtet. Friedrich wird begnadigt, wieder aufgenommen, darf sich in der Verwaltung bewähren. Er erprobt dann einen neuen Stil des Hoflebens in Rheinsberg.
1740 besteigt er den Thron. Und zum Ende desselben Jahres überfällt er Schlesien, um sich diese Provinz, eine der reichsten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, anzueignen. Der Kampf um Schlesien bestimmt sein Regentenschicksal. Er wird drei Kriege um Schlesien führen. Entscheidend wird dabei der Siebenjährige Krieg, den er mit einem Überfall auf Sachsen beginnt und am Ende ja sehr knapp übersteht, um dann den Status quo ante sichern zu können.
Er kehrt nach Berlin zurück und versucht hier in den letzten Jahren seiner Herrschaft, und die ist noch sehr lang, Preußen als Großmacht im Rahmen Europas zu stabilisieren und allzu viele Veränderungen nicht zuzulassen. Er stirbt 1786 und es wird erzählt, dass die Trauer der Bevölkerung nach 46 Jahren unter Friedrich dem Großen nicht besonders groß gewesen sei.
Frau Wienfort, man hätte doch denken können, dass über Friedrich den Großen eigentlich alles gesagt ist. Es gibt eine Menge Bücher. Man kann, glaube ich, locker 10 Jahre mit einem Studium dieser Bücher verbringen. Ich will nur an drei erinnern. Da ist zunächst das wunderbare Volksbuch von Franz Kugler mit den Illustrationen von Adolph Menzel, 1842 zum ersten Mal erschienen. Dann gibt es von Reinhold Koser, der die Quellen kannte wie kein anderer aus den letzten Jahren des Kaiserreichs, eine große mehrbändige Biographie. Vor kurzem ist im Beck Verlag von Johannes Kunisch die neue Standardbiographie zu Friedrich erschienen. Nun gibt es aber zum Jubiläum ganz viele neue Friedrich-Bücher. Mich hat dieses Interesse an Friedrich überrascht. Sie auch?
Monika Wienfort: Ich bin nicht wirklich überrascht. Ich kann mir denken, dass es Gründe gibt für die Öffentlichkeit, sich anlässlich eines solchen Jubiläums dann doch auch mal wieder zu versichern, des eigenen Geschichtsbilds zu versichern. Jede Epoche benötigt ja ihre eigene Geschichtsschreibung, ihre je eigene Geschichtsschreibung. Und von daher kann es immer sein und ist es immer richtig, sich - meinetwegen anlässlich eines Jubiläums - neu zu fragen, was eigentlich das Besondere an hier Friedrich dem Großen gewesen ist.
Jens Bisky: Da bringen wir uns sozusagen neu gegenüber Friedrich dem Großen in Stellung. Herr Schönpflug, gibt es denn auch Forschung? Gibt's in der Sache was Neues zu Friedrich zu sagen?
Daniel Schönpflug: Ja, ich denke, das Jubiläum hat auch im Vorfeld und sicherlich auch in der Nachbereitung in der Forschung schon auch was ausgelöst. Es gab beispielsweise, organisiert von der Stiftung Schlösser und Gärten, eine Reihe von Tagungen, die also hin arbeiteten auf dieses Jubiläum und wo in Bezug auf den Fredericianischen Hof, auf seine Dynastie, auch auf das Thema der Größe einiges Interessantes auch ans Licht gekommen ist.
Jens Bisky: Jemand, der wirklich mit dem Anspruch auftritt, etwas Neues zu erzählen, ein anderes Friedrichbild jenseits von Legenden und Mythen zu entwerfen, ist Jürgen Luh. Jürgen Luh ist Historiker, verantwortlich für Wissenschaft und Forschung in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Er wird ganz entscheidend die Ausstellung, die in diesem Jahr im Neuen Palais zu sehen sein wird, mit vorbereiten.
Er hat ein Buch vorgelegt unter dem Titel "Der Große". Im Untertitel heißt es "Friedrich der II. von Preußen". Es ist anders als man erwarten möchte, keine Biografie. Es ist ein Porträt des Charakters von Friedrich dem Großen, hat vier Kapitel. "Ruhmsucht" ist das erste überschrieben, "Hartnäckigkeit" das zweite, "Eigensinn" das dritte und das vierte sehr kurze "Einsicht".
Friedrich erscheint in diesem Buch als ein ziemlich egozentrischer, bösartiger, beinahe autistischer Charakter. Frau Wienfort, hat sie das überzeugt?
Monika Wienfort: Das Zeitalter der Glorifizierungen Friedrichs ist zwar, denke ich, endgültig vorbei. Und den Versuch zu glorifizieren, unternimmt auch keine andere Publikation. Aber mir hat es gut gefallen, grundsätzlich zunächst mal einen Antagonismus aufzubauen, eine Gegenperspektive einzunehmen und Friedrich sehr kritisch zu sehen, auch gegen unser eigenes Bedürfnis, vielleicht doch eine Persönlichkeit zu finden, die wir auch bewundern können.
Daniel Schönpflug: Ich denke auch, spannend an diesem Buch ist, dass wir hier eine Biografie haben, die wirklich reflektiert ist, eben nicht diese Erzählung von der Wiege bis zur Bahre, sondern anhand einer Frage, einer analytischen Frage, die ja sehr wichtig ist. Und das ist tatsächlich auch, denk ich, für das Genre der Biografie gut, dass es mehr und mehr solche gibt. Ich bin auch am Ende des Buches nicht sicher, wie kritisch diese Lektüre tatsächlich ist. Denn - also, kritisch in dem Sinne, dass sie analytisch ist, aber kommt man zu einem negativeren Friedrichbild, nur weil man versteht, dass er an seinem eigenen Ruhm auch gearbeitet hat? Man könnte ja auch sagen, das politische Genie dieses Mannes wird dadurch eigentlich noch viel eindrucksvoller.
Jens Bisky: Aber inwiefern unterscheidet ihn das von anderen Herrschern seiner Zeit? Wollten die nicht alle als ruhmreiche Potentaten in die Geschichte eingehen?
Monika Wienfort: Das kann man sicher so sehen. Aber Friedrich hat doch vielleicht mehr in dieser Hinsicht getan als man es von anderen Herrschern des 18. Jahrhunderts sagen kann. Übrigens finde ich vielleicht doch wichtig, dass ich eigentlich an diesem Buch etwas vermisst habe, Friedrich politischer zu sehen. Ich finde, insgesamt ist dieses Buch ein Versuch, eine Persönlichkeit darzustellen, also mit den Zügen Egoismus, Eigensinn, Starrsinn bis hin meinetwegen zu Autismus. Das kann ich nachvollziehen. Biographien versuchen ja immer ihren Helden zu verstehen. Aber mir kommen dabei doch einige Perspektiven, ja vor allen Dingen das, was ich genuin politisch ansehen würde, kommen mir doch ein bisschen kurz.
Jens Bisky: Vielleicht zu einigen Punkten, die Jürgen Luh neu beleuchtet in der Biographie, indem er alles auf die Perspektive der Ruhmsucht bezieht: Da ist zunächst die berühmte Flucht des Kronprinzen. Und da vertritt er die These, dass Friedrich diese ja bekanntermaßen dilettantisch vorbereitete Aktion unternommen habe, gar nicht, um wirklich zu fliehen, sondern um aufzufallen. Leuchtet Ihnen das ein?
Daniel Schönpflug: Das scheint mir eine interessante Perspektive zu sein. Bei Luh steht ja als Kern der Analyse der Begriff der Öffentlichkeitsarbeit, ein ganz moderner Begriff, der aber sehr viel Sinn macht meines Erachtens, bezogen auf Friedrich den Großen. Und wenn man ihn als jemanden betrachtet, der immer wieder die Arbeit mit dem Bild in der Öffentlichkeit vorwärts treibt, dann sind viele Episoden noch mal in einem ganz anderen Licht zu sehen - auch die Episode mit Voltaire, den er ja nach Luhs Darstellungen geradezu ausnutzt, um ihn dazu zu drängen, auch im französischen Kontext, im europäischen Kontext bestimmte Dinge über ihn zu schreiben, bis hin zur Bautätigkeit, zum Umgang mit den Zeitungen. Selbst die Kriege erscheinen dadurch in einem neuen Licht.
Und diesen Aspekt finde ich ausgesprochen fruchtbar, eine Arbeit, die ihn im Grunde genommen auch in Kontext der aktuellen Betrachtung stellt. Denn Öffentlichkeitsarbeit ist etwas, das kennen wir, das können wir uns von heute vorstellen. Und dass es im 18. Jahrhundert schon existierte und wichtig war und wie es funktionierte, das ist eine spannende Frage.
Monika Wienfort: Mir gefällt am Buch besonders gut, das er Stilisierungen in den Mittelpunkt stellt, dass er Friedrichs Äußerungen, Friedrichs Handlungen nie für bare Münze nimmt, nicht selbstverständlich akzeptiert, sondern immer davon ausgeht, dass bestimmte Absichten damit verbunden sind.
Was die Flucht angeht, bin ich allerdings nicht ganz überzeugt. Sicher, das ist eine frische Perspektive, aber so ganz und rein instrumentell, ich glaube, dafür reichen die Quellen, reichen die Zeugnisse eigentlich nicht aus, um das mit letzter Sicherheit zu behaupten. Also, mir wäre sympathischer eine Sichtweise, die einerseits sagt, ja, Friedrich weiß, was er da versucht, und er weiß, was er tut, und er möchte auch sicherlich nicht am Ende erreichen, seine Position als Kronprinz zu verlieren. Aber er versucht doch schon, denke ich, ernsthaft sich dem Vater an diesem Punkt zu entziehen. Und es rein von vorne bis hinten als strategische Handlung, die scheitern soll, zu interpretieren, geht mir persönlich ein bisschen zu weit.
Daniel Schönpflug: Ich bin Ihrer Meinung und denke auch, um das noch plausibler zu machen, hätte man vielleicht auch den Kontext und die Rezeption etwas deutlicher noch darstellen müssen.
Wir haben hier den Begriff der Öffentlichkeitsarbeit. Es ist aber das Wesen dieser Öffentlichkeiten immer nur am Rande angesprochen. Wer genau ist denn da angesprochen? Wer ist die Zielgruppe dieser Arbeit? Was ist der Resonanzraum? Welche Medien stehen zur Verfügung, um diese Gruppen zu erreichen? Und wurden sie erreicht? Gab es tatsächlich ein Echo? - Ich denke, das wäre noch so eine Ebene gewesen, die eine strukturelle Einbettung geliefert hätte und wo dann tatsächlich dieser Versuchsaufbau sich erst in seinem ganzen Chancenreichtum auch erwiesen hätte.
Jens Bisky: Es gibt eine andere Szene in diesem Buch, die mich als Nichthistoriker besonders beschäftigt hat, eine Szene aus dem Siebenjährigen Krieg. Sein Bruder und potenzialer Nachfolger August Wilhelm hat einen kleinen militärischen Fehler begangen. Als er dann dem König Friedrich gegenübersteht, sagt Friedrich, er meritiere entlassen zu werden. Die Generäle sollten eigentlich alle ihren Kopf verlieren. Und Luh erklärt nun, dass Friedrich im Grunde von eigenen militärischen Fehlern abgelenkt habe, um seinen Bruder als Sündenbock zu benutzen.
Da stellt sich mir die Frage: Hatte denn ein absoluter Herrscher im 18. Jahrhundert überhaupt eine Möglichkeit, Fehler einzugestehen? Wie gingen andere Herrscher mit solchen Situationen um?
Monika Wienfort: Ich würde zunächst mal vermuten, dass man grundsätzlich nicht sagen kann, dass man Fehler offen eingesteht als Herrscher, als Selbstherrscher in einem doch auf die Person des Herrschers sehr zugeschnittenen politischen System. Wenn schon, dann kann man das in einem kleineren Kreis tun, in einem Freundeskreis tun, wobei man sicherlich darüber sprechen muss, nicht nur, was Friedrich unter Freundschaft versteht, sondern auch, was man überhaupt im 18. Jahrhundert unter Freundschaft verstehen kann. Da wären sicherlich solche Eingeständnisse möglich gewesen.
In der Öffentlichkeit, strategisches, militärisches oder politisches Versagen zuzugeben, also, das ist selbst für die Politik heute doch ein großes Problem.
Daniel Schönpflug: Und dennoch war natürlich dieses Ausgrenzen des Bruders besonders hart.
Jens Bisky: Und der Bruder überlebt es nicht lange. Er geht dann elend ein, man kann wohl sagen, auch an der Kränkung durch Friedrich.
Dass der Kontakt zu Voltaire ungeheuer wichtig ist, um in den gebildeten Kreisen Europas und an den Höfen Europas Nachrichten zu platzieren und unterzubringen, dass Voltaire gleichsam als Pressesprecher Friedrichs fungiert hat, das will ich gern glauben. Aber erschöpft sich darin die Bedeutung der Aufklärung für Friedrich den Großen?
Daniel Schönpflug: Ganz sicher nicht. Dazu sind seine eigenen philosophischen Versuche viel zu ambitioniert. Dafür war es ihm viel zu wichtig, bei Voltaire und den anderen Aufklärern, die er auch nach Berlin eingeladen hat, tatsächlich als ebenbürtig, intellektuell ebenbürtig wahrgenommen zu werden. Und für ihn ist die Aufklärung tatsächlich eine philosophische Grundlage dessen, was er als aufgeklärter Monarch tun will.
Monika Wienfort: Man kann hinzufügen, dass für Friedrich wie für die Forschung heute Aufklärung sehr viel stärker als das lange Zeit der Fall war als Geselligkeitsphänomen wahrgenommen worden ist. Und das wollte Friedrich unbedingt. Er wollte dazugehören. Er wollte zu diesen führenden Intellektuellenzirkeln in Europa dazugehören. Und in dem Sinne war Aufklärung für ihn ja ein Muss, weil er nur so dieses Ziel erreichen konnte.
Jens Bisky: "Zwei Wege der Aufklärung" heißt im Untertitel das Buch von Jürgen Overhoff, "Friedrich der Große und George Washington". Das ist nicht ein Vergleich, auf den man sofort kommen würde. Es ist aber einer, der ja auch einen Grund in der Sache hat, denn der Siebenjährige Krieg fand nicht nur in Europa statt. Den kann man nicht nur aus preußischer Perspektive verstehen. Der war auch eine Auseinandersetzung in Kolonialgebieten, unter anderem in Amerika. Wie fruchtbar wird dieser Vergleich bei Overhoff, Herr Schönpflug?
Daniel Schönpflug: Zunächst mal wird das sehr originell, sehr anregend, auch in den ersten Seiten sehr, sehr überzeugend aufgemacht. Er entwickelt das ja wirklich philosophisch, indem er sagt, es gibt zwei unterschiedliche Strömungen der politischen Aufklärung - die republikanische und die aufgeklärt absolutistische. In einem späteren Kapitel entwickelt er das von Thomas Hobbes her, den er bei Quentin Skinner, mit Quentin Skinner intensiv studiert hat, schreibt, auch das eine spannende Parallelität, dass Washington und Friedrich der Große zwei, wie er schreibt, "funkelnagelneue Staaten unter sich gehabt" hätten, also, beide im Grunde genommen vor einer etwas ähnlichen Aufgabe standen. Und das ist erstmal fesselnd und man weckt große Erwartungen zunächst mal.
Je weiter man liest, desto unsicherer wird man sich darüber, ob diese Erwartungen auch eingelöst werden. Es dauert doch fast 100 Seiten bis die Protagonisten selber dann auftreten. Da hat man schon die halbe amerikanische und die halbe preußische Geschichte kennen gelernt. Und fast 300 Seiten, bevor diese Dichte, die so ein Thema auch haben könnte, wo die Austauschbeziehungen, die gegenseitigen Wahrnehmungen, die womöglich Lernprozesse oder Aneignungsprozesse des einen über den anderen so richtig in den Blick geraten, da fragt man sich, ob diese originelle Idee in der Durchführung dann tatsächlich so fruchtbare Ergebnisse erzielt hat.
In der Geschichte sagen wir: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.
Monika Wienfort: Auch mir gefällt die Idee. Aber ich finde doch, wenn man dieses Modell von einer Doppelbiografie, wenn ich das so nennen kann, aufnehmen will, dann muss man auch inhaltlich Verflechtungspunkte, Knotenpunkte haben, die das rechtfertigen. Jenseits der räumlichen Entfernung scheint mir doch eine sehr große Distanz zu bestehen. Aufklärung ist sicher ein schillernder Begriff, aber das, was Friedrich tut und wie Friedrich mit Aufklärung umgeht in seinem europäischen Zusammenhang, und das, was die Gründung der amerikanischen Republik ausmacht, das scheint mir doch wenig miteinander verbunden zu sein - jedenfalls hier in der Darstellung. Und in weiten Teilen gerät das dann zu einer konventionellen Ereignisgeschichte.
Das wird den Experten nicht interessieren, weil er das schon kennt. Und für jemanden wiederum, für den das neu ist, der hätte doch vielleicht gerne eine stärkere Konzentration entweder auf den einen oder auf den anderen Fall. Als Parallele reicht einfach die gemeinsame Hundeliebe, denke ich, dann doch nicht aus.
Jens Bisky: Obwohl ich das als Information sehr gern zur Kenntnis genommen habe. Es ist ja unter Küchenpsychologen beliebt, in die Hundeliebe Friedrichs des Großen allerlei hineinzulesen. Und wenn man nun erfährt, dass auch George Washington Grabmäler für seine Hunde errichtet hat, dann denkt man, na ja, es ist vielleicht zeitüblich.
Monika Wienfort: Aber mit der Küchenpsychologie in Biographien ist das ja so eine Sache.
Daniel Schönpflug: Das ist richtig. Andererseits es gibt hin und wieder kleine Juwelen in diesem Buch, die zu finden sich lohnt und wo man Freude hat, beispielsweise, wenn es heißt bei den ersten Malen, wo Friedrich der Große den Namen Washington schreibt, da ist er noch außerstande, diesen Namen richtig zu schreiben, schreibt Woisington und kriegt das also nicht hin. Dass umgekehrt der Amerikanische Kongress über Friedrich den Großen diskutiert, dass Jefferson das in die Debatte einbringt oder dieses Detail, dass man Washington nahe legt, er solle doch eine Position als König von Amerika anstreben - das sind tolle Fundstücke. Und die lohnen die Lektüre durchaus.
Monika Wienfort: Vielleicht kann man noch mal sagen, dass grundsätzlich beide Bücher, auch Luhs Buch, sehr wenig neue Perspektiven eigentlich auf Friedrichs, auf seinen politischen Blick, auf das Reich und auf das europäische Mächtesystem haben, also, all das, was wir unter Aufstieg Preußens zur Großmacht verstehen würden. Das hängt auch damit zusammen, dass weder Loh noch Overhoff eigentlich die Dynastie, die Hohenzollern, die Familie wirklich ernst nehmen als Gegenstand, obwohl ja viele Familienmitglieder häufig vorkommen. Es wird aber nicht im Einzelnen thematisiert.
Und die Vorstellung, dass Friedrich eigentlich selber die Revolution macht, also der erste Revolutionär seines Staates werden soll, die scheint mir doch, falls die in diesem Buch gehegt wird, die scheint mir doch sehr utopisch.
Jens Bisky: Zwei interessante Bücher, die interessante Perspektiven auf Friedrich werfen, aber doch ungeheuer auf die Person konzentriert sind. Trotzdem sie kritisch sind, wird das Umfeld, wird der Kontext weitgehend ausgeblendet. So etwas wie das Wort "Kantonsreglement" sucht man, glaub ich, in beiden Büchern vergeblich. Dabei wird das zu Friedrichs Lebzeiten eingeführt noch von seinem Vater, als Friedrich als Kronprinz Regimentskommandeur in Ruppin wird. Und das ist doch etwas ganz Wesentliches, scheint mir, für die Macht und für die Durchsetzungskraft, die er erreicht hat. Davon erfährt man wenig, dafür sehr viel über den König.
Tom Goeller "Der Alte Fritz. Mensch, Monarch, Mythos" ist eine ausgewogenere Biographie. Oder irre ich mich da?
Daniel Schönpflug: Sie ist eine Biographie, die auch versucht eine Frage zu entwickeln. Die Frage, die hier im Mittelpunkt steht, ist eigentlich die einer konsequenten Aktualisierung. Wenn man versucht die Linie zu sehen in diesem Buch, dann eigentlich die, immer wieder zu fragen: Was haben unsere Zeitgenossen, oft auch bekannte Zeitgenossen, jemand wie Helmut Schmidt, Walter Scheel, Peter Scholl-Latour oder Gregor Gysi, zu Friedrich dem Großen gesagt? Und was hilft uns das, um die Figur in ihrem aktuellen Kontext besser zu verstehen. - Das scheint mir der interessante Teil dieses Buches zu sein.
Dazwischen gibt es auch immer wieder lange biographische Partien, die ich weniger gelungen finde.
Monika Wienfort: Und das Buch von Tom Goeller bestätigt die Vorstellung, dass jede Zeit ihre eigene Geschichtsschreibung anstrebt. Und er macht das ganz offen und ganz direkt. Das finde ich sehr sympathisch, zu versuchen die direkt die Fragen zu stellen: Was sagt uns Friedrich heute? Was können wir anfangen mit den Episoden aus dem doch sehr fernen 18. Jahrhundert?
Er bekennt sich dazu, dass Friedrich interessant ist, dass er einen Teil des Geschichtsbewusstseins in Deutschland bildet. Und er fragt eben auch, was kann man über Friedrich eigentlich in anderen europäischen Ländern sagen oder was sagt man über ihn oder wie hat man ihn sich vorgestellt.
Also, das ist ein Buch, das in dieser Perspektive wirklich doch etwas hinzufügt zu dem, was wir schon wissen.
Jens Bisky: Ja, was bedeutet Friedrich für die Gegenwart? Ist er nicht ein Herrscher des 18. Jahrhunderts, mit dem das 19. Jahrhundert durch Legendenbildung und das 20. durch ideologische Indienstnahme Schindluder getrieben haben und den wir jetzt in aller Ruhe betrachten können wie ein Nippesstück im Regal?
Daniel Schönpflug: Ja gut, das Buch bietet da andere Deutungen. Peter Scholl-Latour wird zitiert, der Friedrich den Großen als Vorbild für eine Integrationsdebatte in der Bundesrepublik sieht. Gregor Gysi wird zitiert, der sagt, die Politik muss auch auf die Denker hören. Wenn die intellektuellen Eliten sich querstellen gegen bestimmte politische Maßnahmen, dann muss man das ernst nehmen. Walter Scheel hat abgehoben auf die politischen Tugenden. Also, da hat wohl jeder so seine eigene Lesart, seinen eigenen Zugang zu diesem Erbe oder zu dieser Frage, was soll man daraus machen.
Für mich als Historiker sind das Fragen, die ich gerne drehen würde, also, wo ich eigentlich mir wünschen würde, dass man Aktualisierung nicht oder in einer anderen Weise betreibt. Ich fände es eigentlich spannender, wenn man eine solche Figur benutzt, um zu historisieren, das heißt, eigentlich auch einen gegenwärtigen Blick durch diese Figur hindurch auf eine Zeit zu werfen und auf diese Art und Weise die Chance eines Jubiläums auch zu nutzen, um Menschen mit Geschichte lebendig in Kontakt zu bringen.
Jens Bisky: Frau Wienfort, Friedrich der Große hat ja lange - gerade in den letzten fünf Jahrzehnten - so als eine geschichtspädagogische Vogelscheuche dienen müssen. Also, entweder wurde er aufgestellt, um vor den finsteren Abwegen zu warnen und vor dem preußischen Ungeist. Oder man hat ihn benutzt, um Tugenden zu predigen und dann wurde er der preußische Tugendbold, der er, wenn man ein bisschen herumgelesen hat, ja nicht wirklich gewesen ist.
Das scheint vorbei, diese Indienstnahme zu volkspädagogischen Zwecken. Wie finden Sie es denn aber, dass der Bundespräsident zum Geburtstagsjubiläum dieses preußischen Königs einen eigenen Festakt veranstaltet im Konzerthaus?
Monika Wienfort: Also, man kann natürlich auf den ersten Blick sagen, hm, man muss das skeptisch sehen. Das ist doch auch ein Teil der Glorifizierung, die wir nicht wollen, die Konzentration auf eine Persönlichkeit. Aber ich denke, der Bundespräsident und die, die ihn umgeben und beraten, werden das so nicht sehen. Die werden auch das 18. Jahrhundert insgesamt, die Entwicklungen, die das 18. Jahrhundert kennzeichnen, gerade dieses Mischungsverhältnis zwischen Aufklärung und autoritären Herrschaftsstrukturen, zwischen einer sich verändernden Gesellschaft, dem Adel, dem Militär, dem wachsenden Bürgertum Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Und ich finde auch, wenn ein solches Jubiläum dazu dient, jenseits der unmittelbaren Zeitgeschichte, für die das Interesse immer groß ist, auch in Epochen vorzustoßen, die etwas ferner liegen, dann kann ich das nur begrüßen.
Jens Bisky: Ich glaube, das ist ein Punkt, in dem wir uns einig sind, dass das sehr schön wäre, wenn man die Schallmauern, die uns von der älteren Vergangenheit zu trennen scheinen, durchbricht und begreift, dass der Siebenjährige Krieg auch ungeheure Auswirkungen auf Europa gehabt hat, dass er für die deutsche Geschichte auch sehr wichtig gewesen ist und vielleicht manches eben so erklären hilft, wie spätere Kriege und Zeiten.
Wir könnten jetzt noch locker einige Stunden über Friedrich den Großen plaudern. Es gibt viele Aspekte, die wir nicht einmal gestreift haben. Aber die Zeit ist herum. Es ist eine schöne Gewohnheit hier in dieser Sendung, dass jeder Gast eine Buchempfehlung aussprechen darf. Frau Wienfort, welches Buch möchten Sie denn empfehlen und warum?
Monika Wienfort: Ich möchte gern den großen DDR-Roman von Eugen Ruge empfehlen als Historikerin, weil es mir besonders gut gefällt, wenn Geschichtswissenschaft und Geschichte miteinander in Kontakt treten, und zwar nicht im Rahmen eines Fachbuchs, sondern im Rahmen eines Romans. Denn eine Romanleserin bin ich doch auch und auch immer wieder gern.
Jens Bisky: Der Roman heißt "In Zeiten des abnehmenden Lichts", ist im Rowohlt Verlag erschienen, ist in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden. Und der Vater Eugen Ruges war einer der wichtigsten DDR-Historiker, Wolfgang Ruge.
Herr Schönpflug, Ihre Empfehlung.
Daniel Schönpflug: Ja, ich möchte gerne eine weitere Biographie empfehlen, und zwar nicht Friedrichs Biographie, sondern eine von Napoleon I., geschrieben von Volker Hunecke, trägt den Untertitel: "Vom Scheitern eines guten Diktators". Das ist provokant formuliert und ist auch schon die These des Buches. Es wird nämlich gezeigt, etwa entlang der Interpretationslinie von Adolphe Thiers, dass Napoleon zunächst mit vielen positiven und positiv wahrgenommenen politischen Maßnahmen antritt und in einer Phase geradezu als eine mythische Rettergestalt erscheint - bis er dann im Überschießen all dieses Guten, was er getan hat, zu einer diktatorischen und am Ende tragischen Figur wird.
Jens Bisky: Volker Huneckes Buch "Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators" ist im Schöningh Verlag erschienen.
Das war die erste Lesart Spezial im neuen Jahr. Sie hat hoffentlich, ohne eine Einübung in fritzische Gesinnung zu sein, Interesse an Friedrich dem Großen geweckt. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und viele Dank an meine beiden Mitdiskutanten Frau Wienfort und Herrn Schönpflug.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Außerdem sind bereits 2011 erschienen oder erscheinen in den nächsten Monaten:
Johannes Unger Friedrich: Ein deutscher König
Propyläen Verlag
Tillmann Bendikowski: Friedrich der Große
Bertelsmann Verlag
Jens Bisky: Unser König. Über Friedrich II
Verlag Rowohlt Berlin
Uwe A. Oster: Sein Leben war das traurigste der Welt.
Friedrich II und der Kampf mit seinem Vater
Piper Verlag
Matthias Siedenschnur-Sander: Vom Alten Fritz. Ein Lesebuch
S.Fischer
Ulrike-Christine Sander: Friedrich der Große. Ausgewählte Schriften
S.Fischer
Michael Epkenhans. Gerhard P.Groß. Burkhard Köster:
Preußen. Aufstieg und Fall einer Großmacht
Theiss
Jürgen Overhoff(Hrsgb.): An meinen Geist: Friedrich der Große in seiner Dichtung
Schoenigh
Hans Pleschinski: Voltaire – Friedrich der Große. Briefwechsel
Hanser
Eberhard Straub: Eine kleine Geschichte Preußens
Klett-Cotta
Norbert Leithold: Friedrich II von Preußen
Ein kulturgeschichtliches Panorama von A bis Z.
Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag
Wolfgang Wippermann: Preußen. Kleine Geschichte eines großen Mythos
Herder
Ute Frevert: Gefühlspolitik. Friedrich II als Herr über die Herzen
Wallstein