Schon auf der ersten LP der Jimi Hendrix Experience 1967 gab es deutliche Jazz-Anklänge, eine traditionelle zwölftaktige Blues-Nummer, Klangexperimente, wie sie damals nur im Studio zu realisieren waren, Hardrock und eine zart dahinfließende, ätherische Ballade.
1969 hatte ihm seine Fantasie dann den Begriff "Electric Church Music" zugeflüstert - Musik als eine Art Religion. Mit 24 Jahren schrieb er den Song "Castles Made Of Sand" über die Vergänglichkeit menschlichen Strebens und Fühlens. In dessen Fatalismus offenbarte sich aber auch die Hoffnung auf ein Wunder.
Als Jimi Hendrix am 18. September 1970 im Alter von 27 Jahren starb, hatte er Hunderte Konzerte gegeben, drei Studioalben, ein paar Singles und eine Liveplatte veröffentlicht.
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Spurensuche
"Blues war immer da, war immer zu spüren, was die Melodik anging. Andererseits, man kann sich natürlich wundern, wenn man ein Stück hört wie "Third Stone From The Sun", Jazz, das ist einfach ganz klarer Jazz-Einfluss." (Lothar Trampert)
Robert Wyatt war Schlagzeuger und Sänger der britischen Band Soft Machine und 1968 im Vorprogramm der Jimi Hendrix Experience auf Tour durch die USA. Er konnte jeden Abend erleben, wie Hendrix alle möglichen Improvisationswege beschritt, und Schlagzeuger
Mitch Mitchell immer auf Augenhöhe mit dabei war.
Robert Wyatt als Schlagzeuger der Band "Soft Machine" Im Jahr 1967. Die Band tourte als Vorgruppe der Jimi Hendrix Experience 1968 durch die USA.© Imago / Zuma / Keystone
"Der eigentliche Mittelpunkt der Band war
Noel Redding. Das war so die stabile Achse, und darum hat sich einiges gedreht. Und Mich Mitchell hat einfach ein unheimlich dichtes, swingendes Schlagzeug gespielt. Und Hendrix hat mindestens zwei Gitarren auf einmal gespielt, er hat dazu gesungen und er hat Räumlichkeit erzeugt. Das war auch eine Sache, die die Band unterschieden hat. Einfach so in der Klanglichkeit, und dann ein physisches Erleben dieser Musik möglich gemacht. Durch die Lautstärke." (Lothar Trampert)
Klangforschung und eine besondere Art von Lautstärke
"Für alle großen Musiker gilt: Was sie auszeichnet und besonders macht, ist vor allem ihr Sound. Selbst wenn jemand genau dieselbe Gitarre und denselben Verstärker benutzt hätte, und in demselben Raum gespielt hätte: Keiner hätte wie Jimi Hendrix geklungen, auch wenn er dieselben Töne gespielt hätte. Genauso unverwechselbar wie sein Wesen war auch sein Sound. Der war einfach sofort unwiderstehlich." (
Steve Swallow, Jazz-Bassist und Komponist)
"Wow, der klingt aber brutal. Das haut richtig rein, das ist ein brutaler Sound. Und das dauerte eine Weile, nach öfter Hören, bis man merkte, der Sound ist gar nicht brutal, sondern der ist kraftvoll energetisch, aber der schließt einen anders auf als die anderen Gitarren das bis dahin taten." (Klaus Theweleit)
"Wir teilten uns einen Proberaum, wir hatten auch dieselben Manager. Und sofort war da dieser unglaubliche Sound, bevor er überhaupt einen Song spielte, einfach nur beim Stimmen der Gitarre, und was ganz außergewöhnlich war: Er konnte die Rückkoppelungen kontrollieren. Dann schwappte so eine Art 360-Grad-Klang im Proberaum um einen herum. Aber kombiniert mit einer rasanten rhythmischen Präzision und Kraft wie in der Musik von James Brown." (Robert Wyatt, von der englischen Band Soft Machine)
Lothar Trampert: "Elektrisch! Jimi Hendrix - Der Musiker hinter dem Mythos"
Sonnentanz, 2. Auflage, Januar 1998, ISBN: 978-3926794307
Lothar Trampert beschäftigt sich als Redakteur des Fachmagazins "Gitarre und Bass" seit weit mehr als 20 Jahren mit den Instrumenten und ihren Protagonisten. Er hat in seiner musikwissenschaftlichen Magisterarbeit die verschiedenen Werkzeuge von Jimi Hendrix sehr detailliert beschrieben.
"Hendrix' bevorzugte E-Gitarre, die Stratocaster, hatte noch einen Hebel, mit dem man die Seitenspannung verändern konnte. Jetzt haben frühere Bands das ganz dezent eingesetzt und den Hebel fast nur touchiert, also das Vibrato auf die Musik gesetzt. Hendrix aber hat es in die Linien, die er gespielt hat, in die Akkorde, in die Mixturen aus Akkorden und Linien integriert. Er hat damit Übergänge geschaffen. Er hat Töne fast glissandomäßig aneinandergereiht. Er hat die Gitarre auch schrecklich verstimmt damit oft." (Lothar Trampert)
"Normalerweise will man Feedback vermeiden, weil es einfach brutal und schrill klingen kann. Aber Hendrix entdeckte darin ein melodisches Potenzial, mit dem Gefühle ausgedrückt werden können. Und er lernte, dieses Techno-Heulen zu kontrollieren und damit eine Art von Melodien zu erzeugen." (Greg Tate)
Rainer Höltschl, Klaus Theweleit: "Jimi Hendrix - Eine Biografie"
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2008, ISBN: 9783871346149
Klaus Theweleit und Rainer Höltschl weisen in ihrer Hendrix-Biografie darauf hin, dass Hendrix sich in seinen extremeren Klangabenteuern womöglich von Spielpraktiken im avantgardistischen Jazz hat inspirieren und/oder bestärken lassen. Bei einem Kurzurlaub 1969 in Marokko trifft er zum Beispiel das Art Ensemble of Chicago und hört dort auch ihre Musik.
Jimi Hendrix legte außerdem immer großen Wert auf ein prägnantes und einfallsreiches Spiel als Rhythmusgitarrist. Inspiriert haben ihn dabei vor allem Curtis Mayfield und Jimmy Nolen aus einer der Bands von James Brown. Seine Spezialität war es, dabei auch noch kurze melodische Einwürfe in die Akkordfolgen einzubauen, sodass für manche der Eindruck entstand, es spielten zwei Gitarristen.
"Hendrix standen brandneue Verstärker und Technologien zur Verfügung, die gerade zu dem Zeitpunkt entwickelt worden waren, als er nach England kam: Die 100 Watt-Gitarrenverstärker der Firma Marshall mit dem dazu passenden Lautsprecherturm. Wenn man zwei oder drei davon kombinierte, konnte man in einer großen Halle so viel Klangdruck erzeugen wie ein ganzes Sinfonieorchester. Und wenn Du diese Verstärker bis zum Anschlag aufdrehst oder darüber hinaus, schwingen noch zusätzlich sehr intensive Obertöne mit." (Greg Tate)
Greg Tate: "Midnight Lightning: Jimi Hendrix and the Black Experience"
2003, Chicago Review Press, ISBN: 9781556524691
Greg Tate ist US-amerikanischer Autor und Leiter der Band "Burnt Sugar". Er beschäftigt sich viel mit Musik, gilt als einer der "Großväter des Hip-Hop-Journalismus", veröffentlichte zahlreiche Beiträge in bekannten amerikanischen Zeitungen und Magazinen, unter anderem der "New York Times" und der "Washington Post".
Klanggemälde
Jimi Hendrix hat mit Begeisterung die Möglichkeiten der Tonstudiotechnik genutzt, die sich seit Mitte der 60er-Jahre rasant entwickelten. Die ersten Stücke der
Jimi Hendrix Experience wurden noch auf Tonbandgeräten aufgenommen, die nur vier einzelne Spuren boten. Hendrix hatte erneut Glück – er konnte schon bald in Studios mit acht- und später 16-Kanal-Tonbandgeräten arbeiten. Das kam seinem Spieltrieb und Ausdrucksbedürfnis enorm entgegen. Lothar Trampert betont, dass die Begegnung mit dem Toningenieur
Eddie Kramer zu den glücklichen Fügungen gehört, die sich zu Beginn von Jimi Hendrix' Karriere häufen.
"Der Hendrix einfach auch ermöglicht hat, Vorstellungen, die er theoretisch hatte, praktisch umzusetzen. Sei es jetzt irgendwelche Unterwasser-Sounds und frühe Phaser-Effekte oder diese ersten Wah-Wah-Versuche mit Handarbeit am Filter und alles Mögliche."
Eddie Kramer saß auch zusammen mit Jimi Hendrix am Mischpult, als sie 1968 in einem New Yorker Studio eine Fülle von Klangereignissen und Effekten ausbalancierten, um ein Unterwasser-Science-Fiction-Märchen angemessen zu vertonen. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Die kurze, pfeifende Rückkopplung eines Kopfhörers, der zu nahe an ein angeschaltetes Mikrofon geraten war, inspirierte die beiden dazu, diesen an sich unerwünschten Effekt gezielt einzusetzen. Irgendetwas in dem Klang erinnerte wohl an Möwengeschrei. Die pfeifenden Geräusche aus den Kopfhörern wurden dann noch durch Echoschleifen geschickt und in die Klang-Collage integriert.
Die Rolle der Mutter
"Dad war sehr streng und korrekt, meine Mutter dagegen warf sich gern in Schale und zog um die Häuser. Sie trank viel und achtete nicht auf sich – trotzdem war sie eine tolle Mutter. Meine Eltern stritten und trennten sich andauernd, sodass mein Bruder und ich von einer Wohnung zur anderen ziehen mussten. Ich lebte meist bei meiner Tante oder bei meiner Großmutter und war ständig darauf vorbereitet, wieder mal still und heimlich zu ihr nach Kanada abhauen zu müssen. Meine Großmutter ist übrigens Indianerin, in ihren Adern fließt Cherokee-Blut." (Jimi Hendrix)
Im Februar 1958, Jimi Hendrix war damals gerade 15 Jahre alt, starb seine Mutter Lucille mit nur 32 Jahren. Kurze Zeit später soll der Junge angefangen haben, eigene Songs zu schreiben. Seit dem Tod seiner Mutter vernachlässigt er die Schule, Musik wird ihm immer wichtiger.
Mit 16 bekommt er von seinem Vater die erste E-Gitarre geschenkt. In der Jimi Hendrix-Dokumentation "Jimi Hendrix – The Guitar Hero" lässt der Regisseur Jon Brewer eine der Frauen zu Wort kommen, die sich um das Kind und den Heranwachsenden gekümmert hatten: Delores Hall Hamm. Sie ist die Schwester von Hendrix' Mutter Lucille, Jimis Tante. Ihr Fazit:
"Ich glaube wirklich, das war sein Ziel: heimkehren und seine Mutter wiedersehen. Er wollte immer mit ihr zusammen sein."
"Die Vorstellung von der Mutter als Beschützerin und Engel findet man auch in seinem Werk wieder, aber auch, dass sie sehr fern, launenhaft und unerreichbar ist. Es ist eine schwierige Beziehung. Es geht nicht um den Gegensatz Heilige versus Hure, eher um Engel und Avatar. Wegen der Irrungen und Wirrungen seines Lebens suchte er sich Beziehungen zu Frauen, die sehr stark waren und die Rolle von Beschützerinnen übernahmen." (Greg Tate)
Die dunkle Seite
"Manche Abende sind echt schlimm. Da schlagen wir unsere Instrumente, die wir sonst heiß und innig lieben, bloß deshalb kaputt, weil sie nicht so wollen wie wir. Weil sie uns nicht gehorchen. Deshalb töten wir sie gewissermaßen. Aus einer Art Hassliebe heraus, als ob die Freundin plötzlich fremdgeht. Nur können sich die Instrumente nicht wehren. Das ist, wenn man so will, meine dunkle Seite. Egal wie nett und freundlich man ist – jeder trägt tief drinnen finstere, hässliche Dinge mit sich herum. Meine Dämonen kommen auf der Bühne zum Vorschein – so nimmt wenigstens niemand Schaden. Das funktioniert auch beim Publikum. Wir versuchen, die Gewalt aus den Köpfen der Leute zu holen. Wenn wir aggressive Musik spielen, setzt sie die Aggressivität des Publikums frei, ohne dass diese in eine Schlägerei mündet – sie wird wie mit Samt eingehüllt. Auch Trauer kann aggressiv sein." (Jimi Hendrix)
"Love and Peace" auf der Ostseeinsel Fehmarn im Jahr 1970. © picture alliance / Dieter Klar
Im Januar 1968 zerlegte Jimi Hendrix ein Hotelzimmer in Schweden und holte sich Schnittwunden, als er eine Fensterscheibe einschlug. Statt zwei waren fünf Polizisten nötig, um ihn festzunehmen. Abgesehen von diesem Zwischenfall schien körperliche Gewalt in Hendrix' Privatleben nicht vorzukommen. Und Gewalt gegen Sachen ist das eine.
Spätestens als etwa acht Jahre nach Hendrix' Tod in der ausführlichen Hendrix-Biografie von David Henderson Schilderungen von Gewalt gegen Frauen auftauchten, verlor der Hendrix-Mythos seine Unschuld.
"Wir wollen von dem frauenfeindlichen Verhalten einiger unserer großen Künstler eigentlich gar nichts wissen, egal, ob von Miles Davis oder Jimi Hendrix. Aber das gehört nun mal zu ihrer Geschichte, das lässt sich nicht tilgen. Was bleibt, ist: Durch ihren eigenen Tränenschleier hindurch können sie diese erstaunlichen Töne hervorbringen, mit denen sie uns entzücken und verzaubern. Es geht dabei nicht darum, etwas zu entschuldigen."
Autobiografischer Song "Castles Made Of Sand"
Mit 24 Jahren nahm Jimi Hendrix den Song
"Castles Made Of Sand" auf. Er gilt als einer der am stärksten autobiografisch geprägten Songs von Jimi Hendrix. In der ersten Strophe scheinen sich die Streitigkeiten der Eltern zu spiegeln, und in der jungen Frau, die in der letzten Strophe im Rollstuhl sitzt, sehen viele seine Mutter Lucille symbolisiert. Nach dem Fatalismus der drei Strophen und des Refrains offenbart sich am Ende aber auch die Hoffnung auf ein Wunder. Die letzte Strophe von "Castles Made Of Sand":
"Ein junges Mädchen, ihr Herz war ein Stirnrunzeln, war verkrüppelt fürs Leben und konnte keinen Ton sprechen, und sie wünschte und betete, sie könnte aufhören damit, so beschloss sie zu sterben. Sie zog ihren Rollstuhl an den Rand vom Strand, und lächelte ihre Beine an: "Ihr werdet mir nicht mehr lange wehtun." Aber ein Anblick, den sie noch niemals sah, ließ sie aufspringen, "Sieh, ein goldgeflügeltes Schiff kommt vorbei", und es hörte überhaupt nicht auf, es fuhr, es fuhr und so gleiten Schlösser, die aus Sand gebaut sind, am Ende in die See." (Übersetzung von Klaus Theweleit)
Jimi Hendrix und das Militär
Widersprüchlich wirken manche Aussagen von Jimi Hendrix zu Militär, militantem Widerstand und Vietnam-Krieg. Schließlich war er ein Jahr bei der Armee gewesen. 1967 hatte er das US-Engagement in Vietnam noch gerechtfertigt. Zwei Jahre später widmete er ein Konzert den Kriegsdienstverweigerern und Anfang 1970 trat er bei einem Benefizkonzert zugunsten der Anti-Vietnamkrieg-Proteste auf.
Hendrix spielte seine Adaption der US-amerikanischen Hymne erstmalig während einer USA-Tournee in der zweiten Hälfte des Jahres 1968, dem Jahr in dem unter anderem Martin Luther King und Robert Kennedy ermordet worden waren. Seine geräuschhafte Neuinterpretation der Hymne war seitdem Teil seines Live-Repertoires.
Am 10. Januar 1969 baute Hendrix in Kopenhagen die US-amerikanische Nationalhymne in das kontrollierte Feedback-Kreischen seines Songs
"I Don't Live Today" ein. Nach dem Auftritt fragte ihn ein dänischer Reporter nach der Bedeutung:
"Unsere Interpretation reflektiert, was wir in Amerika in letzter Zeit erlebt haben", meinte Hendrix. "Das Land ist kurz davor durchzudrehen und zu explodieren. Ein Typ hat sich gerade beschwert, dass es hier in Dänemark so langweilig ist. Die Hälfte der Amerikaner wäre froh, wenn sie hier leben und sich zu Tode langweilen könnten. Ihre ganze Zeit nur damit verbringen würden, nur mit Mädchen zu schlafen, Pornohefte zu lesen, das schöne Meer anschauen, die saubere Luft atmen."
Körperverwandlungen und andere Wirkungen
"Damals gab es noch keine Kopfhörer. Wir haben uns die eine Box ans Ohr gelegt, und die andere Box auf den Magen. Und dann die ganze Musik durchgejagt. Das war absolut stark, ja. Jimi Hendrix habe ich nur so gehört." (anonymer Fan)
Der afroamerikanische Autor und Musiker Greg Tate spürt in Hendrix Musik deutliche Anteile von Aggression, und, wie Klaus Theweleit, die Kraft, Körper zu verändern. Aber pazifistische Musik spielt Hendrix seiner Meinung nach nicht.
"Die emotionale Grundhaltung der Musik ist voller Zorn, Empörung und Rebellion. Sie hinterfragt und überschreitet alle möglichen Vorschriften und Grenzen – in puncto Sprache, Kleidung, und wie man mit Autoritäten umgeht. In seiner Kunst ist Hendrix so aggressiv wie andere auch, aber seine Inszenierung auf der Bühne unterscheidet sich davon: Er ist wie eine Figur aus einem Märchen, er ist ein romantischer Dichter, ein Troubadour, er stellt all diese Vorstellungen von hart und weich, männlich und weiblich infrage."
Schwarz und Weiß
Jimi Hendrix und der Bassist
Billy Cox hatten sich 1961 in der Armee in Fort Campbell, Kentucky, kennengelernt. Nach ihrer Entlassung 1962 hatten sie mit ihrer gemeinsamen Band für eine Weile ein Engagement in dem Club "The Pink Poodle" in Clarksville, Tennessee. Nach einem Gig dort bat Hendrix Cox, ihn am nächsten Morgen bei seiner Freundin Joyce in Springfield abzuholen.
Billy Cox erinnert sich:
"Er erzählte mir dann, dass er nach der Mitfahrgelegenheit in der Nacht noch etwa eineinhalb Kilometer zu Fuß gehen musste. Und plötzlich stoppt hinter ihm ein kleiner Lkw mit Typen, die ihn rassistisch beschimpfen und bedrohen. Es ist halb drei in der Nacht, keiner sonst ist da, aber glücklicherweise war neben der Straße ein Maisfeld. Er rennt also in das Feld, die Typen springen aus dem Wagen, ihm hinterher. Die Typen haben endlos lange nach ihm umsonst gesucht. Er lag ganz in der Nähe auf dem Boden, bewegungslos, seine Gitarre unter ihm. Irgendwann hörte er, wie sie in den Laster einstiegen und davonfuhren. Das Nächste, was er mitbekam, war der Sonnenaufgang, er war auf seiner Gitarre eingeschlafen. Jedes Mal, wenn ich höre, wie Jimi in "Red House" singt "ist schon OK – ich hab' ja noch meine Gitarre" muss ich daran denken, wie Jimi sich in Todesangst mitten in der Nacht in einem Maisfeld versteckt hat."
Jimi Hendrix bei seinem Auftritt beim Popfestival auf der Ostsee-Insel Fehmarn 1970.© picture-alliance / dpa
Greg Tate führt in seinem Buch aus, dass Jimi Hendrix mit der prominenten Rolle der Gitarre in seiner Musik die Orthodoxie schwarzer Musik infrage stellte, nach der die Stimme das wichtigste Ausdrucksmittel ist. Und auch die traditionelle Vorstellung von schwarzer Männlichkeit:
"Flip Barnes hatte einen Cousin, der damals bei den Black Panthers mitmachte, und der sagte ihm, Du musst Dir unbedingt Jimi Hendrix ansehen. Man muss dazu sagen, dass Hendrix damals bei den Schwarzen im übertragenen Sinn für eine Art Oreo gehalten wurde. Außen schwarz, innen weiß. Die ganze Werbung, alle Fotos zeigten Hendrix ja immer zusammen mit lauter Weißen. Es sah so aus, als ob er mit dem Kampf der Schwarzen gegen all das Unrecht nichts zu tun hatte. Für sie war er definitiv ein Sonderfall. Flip hatte aus diesem Grund gar keine Lust, sich ein Hendrix-Konzert anzusehen aber sein Cousin, der, der bei den Black Panthers war, überzeugte ihn schließlich doch. Und Hendrix hat ihn total erwischt – lebenslang."
Möglichkeiten von Transzendenz
"Das einzige woran ich heute noch glaube, ist die Musik. Sie wird den Weg bereiten, denn Musik ist für sich genommen schon spirituell. Wie die Wellen des Ozeans." (Jimi Hendrix)
"Viele große Komponisten in allen Epochen haben so etwas Missionarisches in sich, das Gefühl, eine spirituelle Mission zu haben. Ihnen ist klar, dass sie die Fähigkeit haben, die Seelen der Menschen ganz direkt und ohne Umwege anzusprechen." (Greg Tate)
Als Jimi Hendrix am 18. September 1970 im Alter von 27 Jahren unter wohl nie mehr genau zu klärenden Umständen in London starb, hatte er hunderte Konzerte gegeben, drei Studioalben, ein paar Singles und eine Live-Platte veröffentlicht. Aus den knapp vier Jahren seiner internationalen Karriere wurden seither von den offiziellen Nachlassverwaltern immer wieder neue oder scheinbar neue Aufnahmen veröffentlicht.
Produktion dieser Langen Nacht
Autor: Michael Frank, Regie: Jan Tengeler, Sprecher: Claudia Mischke, Heiko Obermöller, Ton und Technik: Eva Pöpplein, Oliver Dannert, Redaktion: Dr. Monika Künzel, Webproduktion: Jörg Stroisch
Über den Autor:
Michael Frank arbeitet seit 1989 als Journalist und Moderator für den Deutschlandfunk. Er beschäftigt sich vor allem mit verschiedenen Musikthemen, so mit Rock, Folk, Jazz und Neuer Musik. Für seine Sendung "Mit Zuma und Soul" (Dlf "Rock et cetera") erhielt er 1994 den Civis-Preis.
(eine Wiederholung vom 25. November 2017)