Theodor W. Adorno: "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus", kommentiert von Volker Weiß, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
86 Seiten, 10 Euro.
Was tun gegen Rechtsradikalismus?
39:44 Minuten
1967 hält Theodor W. Adorno den Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ in Wien. Warum dieser Text heute von „frappierender Aktualität“ ist, erklärt der Historiker und Rechtsextremismus-Forscher Volker Weiß.
Hintergrund von Adornos Vortrag 1967 sind die Wahlerfolge der jungen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) bei einigen Landtagswahlen Mitte der 60er Jahre. "Wenn man seine Analyse und Beschreibung des Zeitgeschehens liest, dann stellt man fest, dass die Dinge einem heute sehr bekannt vorkommen", meint der Historiker und Rechtsextremismus-Forscher Volker Weiß, "das liegt unter anderem auch daran, dass sich bestimmte Rahmenbedingungen, bei allem gesellschaftlichen Wandel, nicht verändert haben."
Faschismus als Wundmale einer unzulänglichen Demokratie
So bezeichnet Adorno die faschistischen Bewegungen damals als "Wundmale, als Narben einer Demokratie, die ihrem eigenen Begriff bis heute noch nicht voll gerecht wird".
"Da geht es um die nicht eingelösten Versprechen des Liberalismus seit dem 19. Jahrhundert", so Weiß. Denn der habe in Aussicht gestellt, die Ständegesellschaft aufzubrechen und eine Gesellschaft einzurichten, in der jeder seines eigenen Glückes Schmied sein könne. "Und dieses Versprechen kann er gleichzeitig nicht halten", führt Weiß aus, "er kann keinen wirtschaftlichen und politischen Rahmen bieten, in dem das zutrifft. Wir können das ganz konkret sehen: Die AfD hat begonnen und war auch sehr erfolgreich mit einer Agitation gegen die Europäische Union. Die wurde angegriffen als demokratisch nicht legitimiert. Und das Problem ist: In den bürokratischen Apparaten gibt es Demokratie-Defizite. Da dominiert letztlich die Verwaltung über die Mitbestimmung."
Das Gleiche gelte mit Blick auf die Schere von Arm und Reich, die global, aber auch in den europäischen Ländern, immer weiter auseinander klaffe. "Hier wird das Versprechen auf ökonomische Teilhabe immer weniger eingelöst. Das sind Elemente von Realität, die von der rechten Propaganda aufgenommen werden."
Rechtsradikalismus lebt von Propaganda-Spirale
Adorno weist der Propaganda eine Schlüsselfunktion zu. Charakteristisch für den Rechtsradikalismus sei "eine außerordentliche Perfektion der propagandistischen Mittel". Dass Adorno sie sogar als "Substanz rechtsradikaler Politik" begreift, hält Weiß für zutreffend:
"Die rechten Bewegungen leben von der Überbietung. Jenseits des permanenten Trommelns fällt diese Art der Politik ganz schnell in sich zusammen. Das ist eine alte Erfahrung. Das Institut für Sozialforschung hat das schon in der 40er Jahren nachgewiesen. Leo Löwenthal hat zum Beispiel mit den "Falschen Propheten" eine hervorragende Arbeit dazu vorgelegt und nachgewiesen, wie rechte Propaganda – und damit die ganze rechte Politik – systematisch davon lebt, ihre Adressaten im Zustand einer permanenten Neurose zu halten; also permanent schon pathologische Züge des Verfolgungswahns zu triggern".
Heute erlebten wir eine besonders gefährliche Mischung. Denn durch das Internet und die sozialen Medien treffe "technische Perfektion" auf inhaltliche Überdrehtheit – "die Inhalte werden immer abstruser", meint Weiß. Was also gegen rechtsradikale Politik tun?
Aufklären statt mit Kadern Sprechen
"Adorno hat da eine sehr klare Meinung", konstatiert Weiß. "Er sagt, an einer vernünftigen Auseinandersetzung besteht auf rechtsradikaler Seite kein Interesse. Es geht ihnen um die Technik der permanenten Überreizung. Das heißt aber nicht, dass keine Auseinandersetzung stattfinden soll." Daran habe sich auch heute mit Blick auf den gegenwärtigen Rechtspopulismus etwa der AfD nichts verändert:
"Meine Position ist klipp und klar: Ich adressiere Menschen. Ich sehe aber keinen Sinn in der Auseinandersetzung mit Kadern. Wer sich mit Kadern beispielsweise auf ein Podium setzt, der wertet diese Leute tatsächlich auf. Es ist aber unabdingbar, deren Argumente öffentlich rational zu widerlegen."
"Appelle an die Menschlichkeit bringen nichts"
Auch Adorno gibt im Vortrag von 1967 eine Empfehlung zum Umgang mit rechtsradikaler Politik:
"Man soll nicht in erster Linie mit ethischen Appellen an die Humanität operieren. Denn das Wort 'Humanität' selber und alles, was damit zusammenhängt, bringt die Menschen, um die es sich handelt, zum Weißglühen – wirkt wie Angst und Schwäche. Das einzige, was mir etwas zu versprechen scheint, ist, dass man die potentiellen Anhänger des Rechtsradikalismus warnt vor dessen eigenen Konsequenzen, dass man ihnen klar macht, dass diese Politik auch seine eigenen Anhänger unweigerlich ins Unheil führt."
Volker Weiß hält Adornos Einschätzung auch mit Blick auf die Gegenwart für richtig. "Wenn man sich solche barbarischen Momente ansieht, wie etwa die 'Absaufen-Rufe' bei einer Pegida-Demonstration – da ging es um Seenot-Rettung –, sieht man Adorno bestätigt. Auch an der ewigen Rede von den 'Gutmenschen' kann man sehen: Die Appelle an die Menschlichkeit bringen tatsächlich nichts. Man kann aber deutlich machen, wohin es führt, wenn die europäische Integration verschwindet; man kann aufklären, wohin der Nationalismus führt – dass das keine neue Friedensordnung, weder europäisch noch global, sein wird. Aufklären über den Preis dieser Weltanschauung ist absolut unabdingbar".
Außerdem in dieser Ausgabe von Sein und Streit:
Der "autoritäre Charakter" – aktueller denn je?
Was treibt Menschen zum Antisemitismus? Darauf suchte Adorno Antwort in den vor vor 70 Jahren erschienenen "Studien zum autoritären Charakter". Ein bislang unveröffentlichtes Schlusskapitel schlägt nun die Brücke zu seiner Gesellschaftstheorie. Eva-Maria Ziege hat es übersetzt und erklärt im Gespräch, warum der Text heute noch aktuell ist.