Zum 60. von Kate Bush

Die Feministin der Tat

Die britische Sängerin, Pianistin und Songwriterin Kate (Catherine) Bush auf der Bühne während ihrer Tournee im Jahr 1979 im Circus Krone in München im Rahmen ihrer "Lionheart"-Tournee
Kate Bush 1979 live in München © picture alliance / Sven Simon
Jens Balzer im Gespräch mit Christoph Reimann |
Ohne die britische Musikerin Kate Bush wäre Beyoncé nicht denkbar, sagt Popkritiker Jens Balzer. Bush hätte mit ihrer autonomen Arbeit, unabhängig von der männlich dominierten Musikindustrie, den Weg für viele weibliche Künstlerinnen bereitet.
Christoph Reimann: Kreativität kommt von der Freiheit zu scheitern. Und die Freiheit zu scheitern, kommt vom Experiment. Und das ist das, was zu Individualität führt. Das hat Peter Gabriel gesagt, und gemeint hat er das Werk von Kate Bush. Die beiden, gute Freunde nicht erst seit dem Duett "Don't give up" von 1986. Gabriel war ja schon früh Mentor der britischen Sängerin, die ja bald schon die Musikwelt auf den Kopf stellte. Und bis heute ist sie eine der wichtigsten Figuren im Pop.
Es gibt kaum einen Künstler, der sich nicht irgendwie auf sie bezieht, eben weil sie so anders war und so anders ist. Heute wird Kate Bush 60 Jahre alt, und diese Andersartigkeit, die habe ich vor der Sendung versucht, mit dem Popjournalisten Jens Balzer zu ergründen. 1978 ist das Debütalbum "The Kick Inside" erschienen, und Kate Bush war damals gerade mal 19, landete aber gleich auf Platz eins der britischen Charts mit dem Song "Wuthering Heights". Jens Balzer, was hat denn Kate Bush Neues in die Musik gebracht?

Jens Balzer: Sie hat einiges Neues in die Musik gebracht, aber auch Altes fortgeführt in einer nicht immer ganz leicht zu entziffernden Weise. Sie haben es schon gesagt, am Beginn ihrer Karriere, der jetzt ja auch fast genau 40 Jahre zurückliegt, 1978, da wirkte sie eigentlich auf sonderbare Weise erst mal zu spät gekommen. Einerseits futuristisch, experimentell, exzentrisch, aber eben auch zu spät gekommen, weil ihre Musik am Anfang, gerade "Wuthering Heights" und die Songs drumherum ganz deutlich in der Tradition des britischen Prog-Rock und Art-Pop der sagen wir mal frühen und mittleren 70er standen.
Wenn man sich mal das ganze erste Album "The Kick Inside" noch mal anhört, dann gibt es da eine ganz klare Linie zurück zu den frühen Pink Floyd, sagen wir mal von "Umma Gumma" und insbesondere auch zu den Genesis der frühen 70er, also auch mit diesen ganzen britischen Folk-Motiven, die da auftreten, den komplizierten Harmoniewechseln, dem exaltierten Gesang, dieses Introspektive, Mystische, das kommt alles irgendwie aus dem Prog.
Deswegen, Sie haben es schon erwähnt, waren ihre wichtigsten Mentoren ja auch Peter Gabriel und David Gilmour von Pink Floyd. Also, Kate Bush setzt Ende der 70er eine Tradition fort, die da eigentlich gerade am Verschwinden ist. Und sie ist andererseits, und das ist das Neue daran, die erste Frau, die sich dieses Genre aneignet und auch die multimediale Ästhetik, die dazugehört, das Spiel mit Rollen und Masken. In gewisser Weise könnte man sagen, sie ist auch zu einer Art weiblicher Variante von David Bowie, dessen Choreograf aus den "Ziggy Stardust"-Zeiten, Lindsay Kemp, hat sie dann ja auch als Tanzlehrer gehabt.

Kate Bush haben wir das Headset zu verdanken

Reimann: Also könnte man sagen, das Neue an Kate Bush, das war, dass sie dem Progressive Rock so ein weibliches Gesicht gegeben hat?
Balzer: Ja, zum einen. Und vor allem hat sie dann auf dieser Grundlage auch den wie schon gesagt eigentlich ja überholt wirkenden Progressive Rock in die neue Zeit überführt, also in die Zeit von New Wave und Post Punk, in die 80er-Jahre. Und das Interessante, finde ich, an ihr ist, dass sie bei dieser Transformation auch eine der avanciertesten Technikavantgardistinnen war. Das gilt einmal schon für die multimediale Umsetzung ihrer Musik. Sie hat eine einzige Konzerttournee absolviert vor ihrem Comeback 2014.
Es gab wirklich nur eine Tour, 1979 die "Tour of Life". Die war in jeder Hinsicht aber stilprägend für Generationen, also in der Verbindung von Musik, Tanz, theatralischen Elementen, Dia- und Bewegtbildprojektionen war das so eine Art Urszene des Multimedia-Popkonzerts, wie wir das heute kennen. Und Kate Bush war übrigens auch die erste Popkünstlerin, die sich für ihre Konzerte ein Headset entwickeln ließ, also ein kabelloses Mikro, das ihr erlaubte, beim Tanzen zu singen. Heute selbstverständlich, aber sie hat es erfunden. Man könnte also sagen, eigentlich ohne Kate Bush keine Beyoncé. Und die zweite technische Innovation ist auch auf ihren Platten, der Gebrauch des Samplers. Denn nachdem "The Kick Inside" mit "Wuthering Heights" so ein erstaunlicher Erfolg wurde, hat sie das damit verdiente Geld nicht, wie man das damals so machte, verkokst, sondern hat sich stattdessen einen Fairlight gekauft.
Reimann: Fairlight, das müssen wir erklären, das war so das erste allgemein zugängliche Samplinginstrument. Das gab es seit '79 und war damals noch wahnsinnig teuer. Es konnten sich nicht viele leisten. Peter Gabriel hatte eins und Stevie Wonder auch und eben auch Kate Bush.

Erste, die intensiv den Sampler nutzte

Balzer: Eben auch Kate Bush, genau. Und die hat dann auch sogleich mit dem Einsatz von gesampelten Geräuschen zu experimentieren begonnen. Man hat vielleicht noch diesen Hit "Babooshka" im Ohr mit diesen charakteristischen Sounds von klirrendem Glas. Vielleicht können wir da ja trotzdem mal kurz reinhören.

Reimann: Gleich ein paar Mal war da das Sample zu hören. Aber Fairlight hat nicht nur so zu diesen tollen, bis dahin ungehörten Sounds geführt. Diese Samplemaschine, die hat Kate Bush ja auch noch ganz andere Möglichkeiten gegeben.
Balzer: Ja, sie hat dann vor allem auf ihrem vierten Album aus dem Jahr '82, "The Dreaming", den Sampler dazu benutzt, um alle Songs komplett allein einzuspielen. Sie hat Rhythmen aus Alltagsgeräuschen gebastelt, zum Beispiel im Eröffnungsstück "Sat in your lap", da besteht der Beat aus dem Geräusch von zwei Murmeln, die gegeneinanderschlagen. Sie hat sich selbst gesampelt, ihre Stimme verfremdet und gewissermaßen ihre Stimme zum eigenen Instrument oder zu Material gemacht.

Das könnte ja fast von den Vokalharmonien auch so eine Stelle aus einem Queen-Stück aus der Zeit sein. Aber da hört man, das ist wirklich alles sie selber, modelliert und gefiltert und verdoppelt. Und das ist tatsächlich, so weit ich sehe, zum ersten Mal in der Popgeschichte, dass jemand davon wirklich so intensiven Gebrauch gemacht hat. Und auch das fünfte Album, dass dann ja eigentlich so das bekannteste ist und das, mit dem sie dann auch den amerikanischen Markt erobert hat, und dann auch so das Mainstreampublikum – "Hounds of Love" – auch das ist noch weitgehend von diesem Fairlight geprägt, auch wenn sie da dann nicht alle Stück ganz allein eingespielt hat, sondern auch viele andere Ensemblemusiker beteiligt waren wie zum Beispiel der deutsche Jazz-Bassist Eberhard Weber.

Reimann: Und auf diesem Album "Hounds of Love" ist auch einer der großen Hits drauf, "Cloudbusting", und auch der Song ist entstanden mit dem Fairlight Synthesizer. Und Kate Bush hat damals gesagt über Fairlight: "Man muss sich nicht entscheiden, ob ein Song am Klavier oder an der Gitarre entsteht, mit Fairlight hat man einfach alles." Und hier ist jetzt "Cloudbusting", und danach reden wir noch ein bisschen weiter über Kate Bush.

Kate Bush war von Sexismus betroffen

Reimann: "Cloudbusting", der Song, inspiriert vom österreichisch-amerikanischen Psychoanalytiker Wilhelm Reich, der ja irgendwann davon überzeugt war, eine Maschine erfunden zu haben, die Wolken und Regen erzeugen könne. So eine Inspirationsquelle, die ins Fantastische geht, ist im Grunde nichts Ungewöhnliches für Kate Bush, sie selbst ja eine exzentrische Persönlichkeit. Und liegt es daran, also an dieser Exzentrik, an der Theatralität, dass sich die Geister bis heute, muss man ja sagen, an Kate Bush irgendwie scheiden?

Balzer: Ja, ich glaube, sie tun das nicht mehr so stark wie früher. Mittlerweile hat sie ja auch so den Rang irgendwie einer britischen Nationalkünstlerin durchaus eingenommen. Aber es gab natürlich gerade zum Anfang ihrer Karriere doch starke Kontroversen um ihre Person. Und ich glaube, das hat, um es ganz schlicht zu sagen – das ist einfach Sexismus. Es ist eine bestimmte Exzentrik, die Männern sofort nachgesehen wird oder sogar bei denen attraktiv gefunden wird. Zum Beispiel ihr hysterischer Gesang, was ihr immer so vorgeworfen wird, der unterscheidet sich, wenn man sich das noch mal genau anhört, gar nicht von typischen Prog- und Art-Pop-Intonationen. Dieser ständige Tonhöhenwechsel erinnert zum Beispiel stark an den frühen Brian Ferry aus der Frühphase von Roxy Music. Nur, dass das bei Ferry dann eben als exzentrisch oder beeindruckend kunstvoll wahrgenommen wird, und bei Kate Bush dann halt als verrückt und hysterisch.
Daran sieht man, dass der Korridor dessen, was bei Frauen erlaubt ist, einfach viel enger ist im Pop. Ich glaube, bis heute… Außerdem hat Kate Bush sich vielleicht auch durch ihre barocken Kostüme und Maskeraden von vornherein natürlich diesem klassischen sexualisierenden Blick entzogen. Auch so was nehmen männliche Kritiker und Männer im Allgemeinen ja eher übel. Darum wurde sie dann gern als spirituelle Kitschkuh und Hexe abgetan.
Das sind eigentlich Reaktionen, die sind identisch mit jenen, die man dann zehn Jahre später bei einer im Gesang ähnlich exzentrischen Frau wie Björk beobachten konnte, auch das eine autonom agierende Künstlerin mit einem hohen Technikverständnis und einem Gesangsstil, der dann eben nicht in dieses Popschema – ach, ich bin so ein niedliches Mädchen – passte. Wenn Popsängerinnen da nicht reinpassen, dann werden sie von der männlichen Kritik gern pathologisiert und in gewissen Sinne scheiden sich die Geister auch bis heute noch an Kate Bush, das kann sein, ja.

"Sie ist gewissermaßen die Pionierin"

Reimann: Dann war Kate Bush aber auch in gewisser Weise eine Türöffnerin. Kann man denn auch sagen, dass Kate Bush Feministin war oder ist?
Balzer: Das ist sie immer mal wieder gefragt worden, unter anderem auch in einem der wenigen Interviews, das sie mal wieder gegeben hat nach ihrem Comeback 2014 mit dem Magazin "The Fader", da wurde sie gefragt, was sie über die Leute denkt, die sie als feministische Ikone bezeichnen. Und da gab es, wie in ihren Interviews üblich, so eine eher lakonische, knappe Antwort, also sie wäre von selbst nicht auf die Idee gekommen, aber würde das als Kompliment empfinden. Also sie ist jetzt niemand, der feministische Thesen explizit verbreitet hat, wie sie eigentlich generell keine Thesen verbreitet hat, auch in ihren Interviews nicht. Vielleicht kann man sagen, sie ist eine Feministin der Tat, also ein Vorbild durch ihr künstlerisches Schaffen. Und tatsächlich, wir haben schon über den Sampler und den Gebrauch des Samplers gesprochen. Eine der ersten Frauen im Pop, die dank dieser neuen technischen Instrumente vollständig autonom gearbeitet haben, ohne männliche Produzenten, ohne männliche Virtuosen.
Das heißt, ihre Musik ist auch ganz aus einer autonomen, individuellen und das heißt dann eben auch weiblichen Perspektive entstanden. Und ich finde, das unterscheidet sie von vielen weniger autonomen, fremdbestimmter agierenden Künstlerin, die man heute als Feministinnen wahrnimmt, von ihrer Zeitgenossin Madonna bis zu Beyoncé, die sich Feminismus-Schriftzüge auf die Bühne stellt, aber ihre Musik von Heerscharen von Männern machen lässt. Und da ist Kate Bush ein positives Gegenbeispiel für echte Autonomie und in gewisser Weise, um auf Ihre Frage zurückzukommen, Begründerin einer Tradition tatsächlich, die bis in die Gegenwart reicht, also von Björk über Joanna Newsom in den Nullerjahren, Julia Holter bis zu aktuellen Künstlerinnen wie Grimes und FKA twigs. Also da ist sie gewissermaßen die Pionierin, eine technisch-musikalische Avantgardistin und, das sollte man am Ende vielleicht noch mal erwähnen, das ist das ja eigentlich, worauf es ankommt, sie ist eine wirklich großartige Songschreiberin.
Reimann: Das sagt Jens Balzer über Kate Bush. Heute wird sie 60 Jahre alt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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