"Warten kann Erfahrungen zusätzlichen Glanz geben"
Wir gratulieren Prinz Charles zum 70. Geburtstags – und nennen ihn einen großen Wartenden. Er hofft schon lange auf den Thron des Vereinigten Königreiches. Die Journalistin Friederike Gräff erklärt, wie man aus Warten etwas machen kann.
Warten hat keinen guten Ruf. Hin- und Hergerissen zwischen Hoffen und Verzweifeln kann es für den zur Qual werden, der wartet oder den man warten lässt. Einer, der fast schon sein ganzes Leben lang wartet, wird heute 70 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch Prinz Charles! Er hat viel Gutes aus seiner Wartezeit gemacht: sich sozial engagiert und eingemischt.
"Sich in der Wartezeit verändern"
"Wir warten auf die große Liebe, eine Schriftstellerin wartet auf die nächste Romanidee", heißt es im Klappentext des Sachbuches "Warten - Erkundungen eines ungeliebten Zustands" von Friederike Gräff. Die Journalistin unterscheidet zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Warten. Wer zum Beispiel auf die Bewilligung seines Asylantrags warte, erlebe das völlig anders, als jemand, der sich selber entschieden habe, eine große Reise erst anzutreten, wenn der beste Freund mitkommen könne.
Friederike Gräff: "Ich glaube, dass man dieses nicht freiwillig gewählte Warten umwandeln kann. Es gibt die Chance zu sagen: 'Ich habe mir das nicht ausgesucht, aber ich gucke, wie ich diese Zeit möglichst sinnvoll fülle. Also siehe möglicherweise Prinz Charles, der vielleicht gedacht hat, nach 30 Jahren bin ich dann doch selber auf dem Thron. Und dem es gelungen ist, sich selber in dieser Wartezeit zu verändern. Das ist nicht immer möglich."
"Wir können so schlecht warten"
Können Menschen warten lernen? Und wie bringen wir es unseren Kindern bei? Friederike Gräff ist skeptisch:
"Warten war eigentlich immer Bestandteil der Erziehung, weil es ein Stück Selbstdisziplin ist, die man da lernt. Weil wir Erwachsenen selbst so schlecht warten können, können wir das auch nur sehr begrenzt als Fähigkeit weitergeben. Das ist weniger eine Frage von Hektik, als vielmehr von sofortiger Wunscherfüllung. Banales Beispiel: Wer wartet heute bis zum 1. Dezember, um den ersten Lebkuchen zu essen. Kein Mensch!"
Das Warten mit Sinn füllen
Wir erleben das Warten als negativ, weil wir es mit einer Form der Unfreiheit verbinden, sagt die Publizistin:
"Ich glaube, dass für uns das Warten ein Zustand geworden ist, den wir mit Nicht-autonom-Sein und Nicht-autark-Sein verbinden – und in vielem ja völlig zurecht. Lange waren wir Menschen, die, die untertan waren, die warten mussten, denen andere Menschen gesagt haben: Warte, bis du heiraten darfst, warte bis du dieses oder jenes tun darfst! Und wir erleben dieses Nicht-mehr-warten-müssen als eine Form von Freiheit, die es in ganz vielem auch ist, das heißt, um so rappeliger wird man, wenn man wieder in diesen alten Zustand zurückversetzt wird. Insofern hat es natürlich etwas Zweischneidiges."
Das Beste sei, das Warten selbst mit Sinn zu füllen: "Warten kann Erfahrungen zusätzlichen Glanz geben." Das geschehe dann, wenn man etwas nicht erzwingen wolle, sondern sich auch auf etwas lange freuen könne.
(cosa)