Zum 75. Geburtstag von Dolly Parton

Die große Versöhnerin aus den Smoky Mountains

08:41 Minuten
Dolly Parton auf einem Foto vom 29. Juni 2014. Sie träge weiß, eng anliegende Kleidung und breitet die Arme aus. Ihre Haare sind platinblond.
Superstar Dolly Parton: Musikjournalistin Juliane Reil spricht von "kalkulierter Künstlichkeit". © picture alliance / PA Wire / empics | Yui Mok
Juliane Reil im Gespräch mit Martin Böttcher |
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Sie wurde oft unterschätzt. Dabei ist Dolly Parton nicht nur eine erfolgreiche Sängerin und Songwriterin, sondern auch eine kluge Geschäftsfrau. Für die USA könnte sie eine Versöhnungskraft sein, meint die Musikjournalistin Juliane Reil.
Martin Böttcher: Dolly Parton wird heute 75 Jahre alt. Sie hat mehr als hundert Millionen Platten verkauft, zehn Grammys gewonnen – damit ist die US-amerikanische Sängerin und Songschreiberin eine der erfolgreichsten Künstlerinnen im Musikgeschäft. Wenn man auf Dolly Partons Biografie schaut: Das ist der amerikanische Traum aber auch so ein bisschen wie ein Märchen, oder?
Juliane Reil: Ihre Eltern waren einfache Farmersleute in den Smoky Mountains. Dolly Parton wächst da als viertes von insgesamt zwölf Kindern auf, es war keine ganz sorglose Kindheit. Die Familie hat gerade mal ein Dach über dem Kopf, kein Strom, kein fließendes Wasser, kaum Geld und von klein auf müssen alle mit anpacken.
Die Musik, die wird hochgehalten in der Familie Parton. Als Teenager tourt sie mit ihrem Onkel kreuz und quer durch Tennessee für Auftritte bei lokalen Radiosendern, und gleichzeitig macht sie als Erste in der Familie überhaupt einen High-School-Abschluss. Als sie 18 Jahre alt ist, geht sie 1964 nach Nashville in das Mekka der Country-Musik.

Selbstbewusstsein, Charme, Talent

Böttcher: 18 Jahre - da fangen so manche Musikerkarrieren so richtig an. Aber die Anforderungen an eine Frau im damals stark konservativ geprägten Musikgeschäft sind hoch. Wie setze Sie sich denn durch?
Reil: Sie hat Selbstbewusstsein und genug Charme und Talent, um sich durchzusetzen, und vor allen Dingen auch einen Vorteil: Sie ist nämlich nicht nur Sängerin, sondern auch eine starke Songwriterin. Und sie ist eine energische Frau mit einem ausgeprägten Geschäftssinn: 1965 bekommt sie ihren ersten Plattenvertrag und schreibt Songs für andere Musiker, verhilft zum Beispiel dem Countrysänger Bill Phillips zu seinem größten Hit "Put It Off Until Tomorrow".
Als sie schon viele Songs geschrieben hat und auch selber erfolgreich war als Solokünstlerin, Mitte der 70er-Jahre, da kommt mit Elvis Presley auf einmal ein Weltstar um die Ecke. Elvis will ihren Song "I Will Always Love You" covern. Dolly Parton sagt aber Nein. Der Grund: Sie soll ihm die Hälfte der Autorenrechte abtreten, und das kommt bei Mrs. Parton gar nicht in die Tüte.
Damals gibt es nur wenige Songwriter überhaupt in Nashville, die die Rechte an ihren Songs behalten. Sie ist die erste Frau. Das zahlt sich auch aus: Über 3000 Songs hat sie geschrieben, von denen viele gecovert wurden. Die berühmteste Coverversion ist wohl Whitney Houstons Version von "I Will Always Love You".
30 Millionen Mal verkauft sich die Aufnahme und ist damit die zweiterfolgreichste Single in der Geschichte des Pop und hebt die Songwriterin Dolly Parton 1992 in den Pop-Olymp.

Kalkulierte Künstlichkeit

Böttcher: Bei Popstars ist es ja nie nur die Musik, sondern es hat auch was mit dem Image zu tun. Bei Dolly Parton ist das relativ auffällig. Seit sie ein Teenager ist, kultiviert sie so ein ganz bestimmtes Bild von sich. Das wird mit den Jahren immer extremer, fast so, als würde sie ihre eigene Karikatur werden – mithilfe von Schönheitsoperationen wird sie zu einer Art fleischgewordenen Barbie mit platinblonder Perücke. Ist sie denn dem Schönheitswahn verfallen? Oder steckt da noch etwas anderes dahinter?
Reil: Die Entscheidung zu dieser Künstlichkeit ist kalkuliert. "Das Showbusiness ist ein großer Spaß, mit dem Geld verdient wird" – das ist ein Zitat von Dolly Parton. Deshalb erschafft sie eine Kunstfigur, die Projektionsfläche für viele Fantasien wird. Einerseits inszenierte sie sich als nettes Mädchen oder mittlerweile Lady von nebenan. Andererseits setzt sich stark auf eine Erotik, die aber nicht verrucht wirkt.
Das spricht kurioserweise ganz unterschiedliche Hörerkreise an. In konservativen Kreisen wird sie geschätzt, gleichzeitig ist sie aber auch zum Beispiel eine Ikone der Schwulenszene. Sie hat sich für die gleichgeschlechtliche Ehe stark gemacht, ist zu hundert Prozent camp und verkörpert gleichzeitig Werte, die einem konservativen Amerika entsprechen: Zum Beispiel, dass sie seit über 55 Jahren mit demselben Mann verheiratet ist, und dass es bei ihr einfach keine Skandale gibt.
Die Frau ist eine Marke für sich, die Marke, die sie selbst geschaffen hat und auf die sich viele einigen können. Und diese Marke weiß sie bis heute zu verbreiten, auch mithilfe von modernen Medien: Ob es eine Podcast-Serie über sich selbst ist oder einer Netflix-Serie, in denen sie auf die Geschichte ihrer Songs eingeht. Letztes Jahr ist diese Netflix-Serie "Dolly Partons Heartstrings" herausgekommen. Natürlich war sie selbst auch Autorin und Produzentin.

Unternehmerin mit sozialer Ader

Böttcher: Das ist ja das andere Bemerkenswerte an Dolly Parton, dass sie so eine erfolgreiche Unternehmerin ist. Sie hat ja auch ihre eigene Kosmetiklinie. Sie besitzt mehrere Produktionsfirmen. Und neben diesem ausgeprägten Sinn für das Geschäftliche gibt es auch diese große soziale Ader.
Reil: Genau, zu ihrem Imperium gehört zum Beispiel Dollywood, ein Freizeitpark in ihrer Heimat in Smoky Mountains. Und die Smoky Mountains sind keine ganz reiche Gegend. Durch den Park sind viele Arbeitsplätze für Leute aus der Gegend entstanden. Musiker bekamen auf einmal Bühnen, um aufzutreten.

Country-Star und Ikone - Laf Überland macht in seinem Beitrag zum 75. Geburtstag aus seiner Bewunderung für Dolly Parton keinen Hehl.


Das soziale Engagement reicht aber noch viel weiter. 2016 gründete sie den "My People Fund", der nach den Waldbränden in Tennessee betroffenen Familien geholfen hat. Es gibt Spenden für das Amerikanische Rote Kreuz oder auch für Wohltätigkeitsorganisation im Kampf gegen AIDS. Und, und, und.
Im vergangenen April spendete Parton eine Million Dollar zur Entwicklung eines Corona-Impfstoffes. Das war weniger als einen Monat, nachdem Covid-19 zur Pandemie erklärt wurde. In den sozialen Medien wurde sie damals als Heldin gefeiert. Fans haben sogar eine Online-Kampagne gestartet, den Impfstoff nach Dolly Parton zu benennen.
Böttcher: Dolly Parton ist also eine ganz populäre Figur in den USA, wenn das jetzt ein bisschen weiterdenkt: Ist es denkbar, dass sie vielleicht nach dieser Musikerinnenkarriere, nach der Unternehmerinnenkarriere jetzt auch noch in die Politik geht? Ich meine sie es 75. Aber das ist ja noch kein Alter.
Reil: Ich würde ihr das zutrauen, dass sie sogar ein gutes Bild in der Politik abgeben würde. Aber ich denke, dass sie vermutlich zu klug dafür ist. Beim Phänomen Dolly Parton fällt einfach auf, dass sie ganz unterschiedliche Lager auf sich vereinigen könnte – deswegen würde es wahrscheinlich auch Zuspruch für "Dolly goes President" geben – und dass sie vor allen Dingen etwas sehr Versöhnliches hat. Man könnte sie, wenn man so wollte, als "die große Versöhnerin der USA" bezeichnen.
Im vergangenen Jahr hat sie die Black Lives Matter-Proteste unterstützt. Sie hat bereits vor den Protesten gehandelt und eine Attraktion im Freizeitpark in den USA umbenannt, die eine rassistische Konnotation hatte. 2018 hat sie den Titel einer Attraktion verändert, deren Name "Dixie" enthielt – Dixie steht ja im Zusammenhang mit der Konföderation. Es gibt noch andere Aktionen von ihr in diese Richtung.
Das zeigt, dass Versöhnung – also die Erwartung, die viele an Joe Biden knüpfen –, dass vielleicht auch Versöhnung von Künstlerinnen und Künstlern und Unternehmerinnen und Unternehmern aus dem Pop kommen kann und dass das eine positive Wirkung haben kann.
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