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Ein Leben für die Schauspielkunst
10:33 Minuten
Der Schauspieler Al Pacino gehört zu den großen Hollywood-Stars. Heute wird der Schauspieler, der zufällig zum Film kam, 80 Jahre alt. Lukas Hoffmann zeichnet in seiner Dokumentation den Werdegang der Ikone nach.
Susanne Burg: Eine der großen Ikonen Hollywoods wird heute 80: Al Pacino. Wir wollen über ihn mit dem Dokumentarfilmer Lukas Hoffmann sprechen.
Heute Abend läuft Ihr Film "Al Pacino – Star wider Willen" bei 3sat, es ist eine Erstausstrahlung. Der Titel "Star wider Willen" – ist es das, was sich bei Ihnen bei der Recherche herauskristallisiert hat, dass Al Pacino eigentlich gar nicht so richtig berühmt werden wollte?
Lukas Hoffmann: Ja, er ist relativ unverhofft beim Film gelandet, kommt eigentlich von der Bühne her, da ist er bis heute auch zu Hause, das sagt er auch selbst von sich. Es heißt immer so schön, er wurde ein bisschen ins Rampenlicht gestoßen. Man muss schon sagen, er ist ein sehr scheuer Star, ein sehr zurückhaltender und schüchterner Charakter, der nicht so sehr das Rampenlicht mag.
Vom Broadway zum Autorenfilm
Burg: Er gab 1969 sein Debüt am Broadway. Sie beleuchten auch in dem Film, dass er am liebsten beim Theater geblieben wäre, aber ein großer Teil seiner Karriere war dann doch beim Film. Warum ist er doch zum Kino gegangen?
Hoffmann: Er ist zum Film eher zufällig gekommen. Es gibt einen Regisseur in New York, den wir auch interviewt haben, Jerry Schatzberg. Ein relativ berühmter Fotograf, der ihn mehr oder weniger entdeckt beziehungsweise in einer Broadway-Aufführung gesehen hat, das Potenzial erkannt hat und ihn dann für seinen ersten Film engagiert hat. Das war, heute würde man sagen, ein Autorenfilm, ein Nischenfilm: "Panik im Needle Park". Das war seiner erste richtige Hauptrolle. So ist er beim Film gelandet und da ist er auch geblieben.
Burg: Die Rolle, die ihn dann berühmt gemacht hat, war Michael Corleone in "Der Pate" 1972. Er war damals unbekannt, er hatte in dem gerade von Ihnen erwähnten Film mitgespielt. Was waren damals die Reaktionen, warum hat man auf ihn so reagiert?
Hoffmann: Hollywood hatte für den Paten eine ganz andere Vorstellung von diesem Film, wie der aussehen soll. Der sollte viel mehr an diese großen Hollywoodikonen, die großen Filme, andocken. Für die Rolle des Michael Corleone suchte man einen Star, der andere Vorstellungen erfüllte. Er war überhaupt nicht gewollt, also vielmehr von allen durch die Bank wirklich abgelehnt. Zu kleinwüchsig, zu schüchtern und natürlich chronisch unsicher am Set. Er wusste überhaupt nicht, was er da tut. Er hat wirklich viele schlaflose Nächte zugebracht während dieser Drehzeit, das war ein hartes Brot für ihn.
Burg: Warum hat er dann im Film doch so einen durchschlagenden Erfolg gehabt?
Hoffmann: Es gibt im Film eine Schlüsselszene, die nennt sich Sollozzo-Szene, wo er diese Entwicklung – er ist tatsächlich zu Anfang dieser schüchterne Collegeboy und steigt dann auf zum Paten, zum Mafiachef. Da gibt es eine Schlüsselszene, wo man diesen Moment miterlebt, wo er zwei Gegenspieler eiskalt um die Ecke bringt und sich quasi in dem Moment zum eiskalten Killer und Bösewicht Michael Corleone verwandelt.
Das ist total interessant, dass er das alles durch total minimalistisches Schauspiel tut, durch minimale Gestik und Mimik. Er agiert gar nicht groß, dieses Overacting, was ihm oft vorgeworfen wird, das kommt erst später, vielmehr lässt er wirklich seine Gesichtszüge für sich sprechen und lässt trotzdem den Zuschauer tief in seine Seele blicken. Das zeichnet ihn, finde ich, auch aus und macht ihn zu einem solch großen Schauspieler.
In der Rolle auch nach Drehschluss
Burg: Er ist auch beim Actors Studio bei Lee Strasberg gewesen, jene Schauspielschule, die für das Method Acting bekannt wurde. Inwieweit war er durch und durch ein Method Actor? Es heißt immer, er verliert sich in seinen Rollen und es gebe so einen unglaublichen Realismus seines Schauspiels.
Hoffmann: Ja, das ist auch so. Da hat wirklich jeder Interviewpartner mindestens eine Anekdote parat, wo er diese Charaktere bis nach Hause mitschleppt, da litt auch sein Privatleben drunter. Das ging so weit, dass er zur Zeit von "Serpico", als er den Bullen spielt, nach Drehschluss auf dem Rückweg vom Set meinte, er wäre im echten Leben Polizist. Er versuchte dann, seine Polizeimarke zu zücken, die er natürlich nicht hatte. Da wurde ihm bewusst, okay, ich bin gar nicht Serpico. So weit ging seine Identifikation mit den Rollen und Figuren – das ist Wahnsinn.
Burg: Sie haben mit verschiedenen Weggenossen gesprochen, mit seiner Schauspielkollegin und langjährigen Lebensgefährtin Marthe Keller, mit dem Biografen Larry Grobel, die sagen alle immer wieder, er war auch ein bisschen unberechenbar, mal sehr zugänglich, mal sehr scheu. Marthe Keller sagt, im Film "Bobby Deerfield", das sei seine persönlichste Rolle gewesen. Stimmen Sie zu?
Hoffmann: Das würde ich schon so unterschreiben, man merkt ihm das an. Ich muss ganz ehrlich gestehen, es ist nicht einer seiner Glanzpunkte seiner Karriere – schauspielerisch –, aber um so mehr merkt man ihm diese private Sinnkrise auch an. Er hatte wirklich jahrelang Depressionen, man sagt sogar oder er hat es selber in einem Interview zugegeben, dass er nach der Rolle des Paten 25 Jahre lang den Psychiater besucht hat. Dieser überschäumende Erfolg über Nacht, das hat ihn total belastet und überrascht und überrumpelt. Ich finde, gerade bei "Bobby Deerfield" merkt man ihm das wirklich an. Und ja, da gibt es einzelne Situationen, und Marthe Keller weiß das mit Sicherheit am besten, weil sie sieben Jahre lang seine Freundin war.
Burg: Er hat ja sehr unterschiedliche Rollen gespielt, vom Polizisten, der einen Korruptionsskandal in "Serpico" aufdeckt, über einen Bankräuber in "Hundstage" bis zum Rennfahrer in der Sinnkrise im erwähnten "Bobby Deerfield". Gibt es etwas, das sich durchzieht in seinen Rollen – abgesehen davon, dass er sich in seinen Rollen verliert oder in sie hineinbegibt?
Hoffmann: Ich glaube, dass es etwas gibt, das sich durchzieht in seiner Schauspielkunst. Das ist vor allem dieser starke Kontrast: Einerseits dieses total Extrovertierte, dass man als Zuschauer fast das Gefühl hat – Stichwort Overacting –, der brüllt die ganze Zeit nur rum, der schreit alle zusammen. Andererseits gibt es dann aber diese ganz ruhigen, emotionalen, sehr intensiven Momente, wo er gar nichts sagt und wirklich, man blickt ihm ins Gesicht und kann in seinem Gesicht alles ablesen. Davon lebt, finde ich, seine Schauspielkunst. Und diese Dialektik zeigt sich eigentlich in allen seinen Filmen.
Absage für Dokumentation
Burg: Sie haben ihn für den Film gar nicht selbst interviewt. Hat das nicht geklappt oder war das eine bewusste Entscheidung?
Hoffmann: Da muss ich ehrlich gestehen, das hat leider nicht geklappt. Auch auf der Drehreise hing das noch in der Luft, die Anfrage hat sich sehr hingezogen. Ich habe den Eindruck – auch wenn man das nicht glauben mag als Schauspieler, weil man ihn ganz anders erlebt vor der Kamera –, dass er so wahnsinnig zurückhaltend und schüchtern ist, dass er das gar nicht wollte, so ausführlich über sein eigenes Leben zu reden. Wir waren im Actors Studio, wir durften da drehen, das darf sonst kein anderes Team, da kam jahrelang überhaupt keiner rein, das hat er uns freigegeben. Er hat aber darum gebeten, nicht selbst vor die Kamera treten zu müssen.
Da gibt es noch eine ganz nette Anekdote. Der Produzent oder Co-Produzent vom "Pate", Gray Frederickson, den ich in Los Angeles getroffen und interviewt habe, der erzählte plötzlich, ja, ich war gestern mit Al spontan zu Abend essen. Wir haben uns seit 20, 30 Jahren nicht mehr gesehen und wir sind uns gestern in einem Vier-Sterne-Restaurant begegnet und haben zusammen gespeist. Da erzählte er ihm auch noch davon, sprich Al Pacino weiß von dem Projekt, weiß von dem Film, er hat aber letztendlich abgesagt – was ich im Endeffekt auch gar nicht so schlimm fand, weil es ist immer schwierig, über sich selbst zu sprechen – und es wäre ein komplett anderer Film gewesen.
Burg: Larry Grobel, sein Biograf, den er seit vielen Jahren kennt, der sagt auch, dass selbst er an seine Grenzen gekommen ist, dass es bestimmte Sachen gibt, über die er nicht sprechen möchte, wie zum Beispiel den frühen Tod seiner Mutter.
Hoffmann: Gerade der Tod seiner Mutter hat ihn sehr schwer belastet, da spricht er tatsächlich bis heute fast gar nicht drüber. Man weiß es nicht genau, ihr Verhältnis muss sehr eng gewesen sein. Wie ich das mitbekommen habe, ist es so, dass er einen sehr kleinen, eingeschränkten Freundeskreis hat, wozu eben Larry Grobel zählt. Er hält sich sehr bedeckt, was sein Privatleben angeht. Er ist vielleicht auch von dem ganzen Hype um "The Irishman" oder "Hunters" ein bisschen genervt. Das kann man ja auch verstehen.
Burg: Es ist aber erstaunlich, dass ein quasi 80-jähriger Mann so wahnsinnig aktiv bleibt, wenn man sich seine Filmografie in den letzten Jahren anschaut, jedes Jahr mindestens ein Projekt – und bei "The Irishman" noch mal der große Auftritt der alten Garde, der Film von Martin Scorsese, wo er den Gewerkschafter Jimmy Hoffa spielt, jetzt die Serie "Hunters", wo er einen Nazijäger spielt. Haben Sie eine Erklärung, warum er einfach immer weitermacht?
Hoffmann: Ich glaube, der wird weitermachen, bis er irgendwann tot vor der Kamera umfällt, das ist mein Eindruck, weil er einfach dafür lebt. Marthe Keller sagte schön: Das Private ist bei ihm das Berufliche, der kennt eigentlich nur die Schauspielkunst und nichts anderes. Deswegen schleppt er die ganzen Rollen und Figuren auch mit nach Hause.
Ich wunder mich einfach, dass er in "The Irishman" – da gab es ja diese Verjüngungskunst – gefühlt gar nicht altert. Das ist ein Energiebündel sondergleichen, ich habe da wenige Vergleiche, was große Schauspieler angeht, die vor der Kamera noch so vor Energie strotzen. Respekt!
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