Fabian Wolff, geboren 1989 in Ost-Berlin, ist freier Feuilletonist und Autor. Er schreibt für die "Süddeutsche Zeitung, den "Tagesspiegel", Zeit Online und andere über Popkultur und Literatur. Im Deutschlandfunk Kultur spricht er regelmäßig über die Schnittstellen zwischen Musik, Politik und Ethik. Für englischsprachige Medien schreibt er über jüdische Kultur und die deutsche Gesellschaft. 2015 wurde er mit dem Rocco Clein Preis für Musikjournalismus und 2016 vom "Umblätterer" für den besten Feuilletontext des Jahres ausgezeichnet.
Ein Mann voller Widersprüche
04:15 Minuten
John Lennon war kein Heiliger, kein Märtyrer, sondern einfach ein talentierter Musiker, sagt Journalist Fabian Wolff – und fragt sich: Wie wäre es ihm angesichts von MeToo und Cancel-Culture-Diskussionen ergangen, würde er heute noch leben?
Imagine all the people… Stell dir vor, alle Menschen auf der Welt, oder wenigstens alle im Internet, lachen über die gleiche Sache. Das passierte im März, als die Schauspielerin Gal Gadot zusammen mit ihren Showbiz-Freunden eine Corona-Version von John Lennons "Imagine" aufnahm. Die Häme folgte sogleich: peinlich, lebensfremd, kitschig. Und: Das hatte John Lennon nun wirklich nicht verdient.
Aber ist das so? Wie alle guten Utopien ist auch "Imagine" etwas kitschig, und überhaupt scheint 2020 kein günstiges Jahr, um John Lennon zu ehren. In einer Zeit, in der die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts eh gerade einem kritischen Blick unterzogen wird. Rassismen und Sexismen sowie persönliche Verfehlungen auch größter Popikonen werden problematisiert.
Aber ist das so? Wie alle guten Utopien ist auch "Imagine" etwas kitschig, und überhaupt scheint 2020 kein günstiges Jahr, um John Lennon zu ehren. In einer Zeit, in der die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts eh gerade einem kritischen Blick unterzogen wird. Rassismen und Sexismen sowie persönliche Verfehlungen auch größter Popikonen werden problematisiert.
Notwendigen Revisionismus nennen das die, die an die Verknüpfung von Ästhetik und Moral glauben. Hysterische "Cancel Culture" jene, die Kunst vom Künstler trennen wollen.
Vorurteile und männliche Gewaltkultur
Mit Blick auf seine Karriere, als Mitglied der Beatles und als Solokünstler, lässt sich vieles finden, das John Lennon als eminent "cancel-würdig" zeigt. In den Sechzigern misshandelte er seine erste Ehefrau Cynthia und belegte seinen Manager Brian Epstein mit antisemitischen und homophoben Beleidigungen. Später gab es öffentliche Exzesse, die in Gewalt endeten, und den schon damals im Radio unspielbaren Song "Woman is the ‚N-Word’ of the World".
Das ist die eine Version. Die andere: John Lennon war ein junger Mann aus Liverpool, ein Produkt einer männlichen Gewaltkultur und voller Vorurteile, der aber spätestens nach der Begegnung mit seiner zweiten Ehefrau Yoko Ono diese toxische Männlichkeit unbedingt verlernen wollte. Er verstand sich dann als Kämpfer gegen jede Unterdrückung und als Feminist. Noch der Song mit dem unsagbaren Titel basiert auf einem Gedanken der afroamerikanischen Schriftstellerin Zora Neale Hurston und ist deshalb als feministisches Statement gemeint.
Das ist die eine Version. Die andere: John Lennon war ein junger Mann aus Liverpool, ein Produkt einer männlichen Gewaltkultur und voller Vorurteile, der aber spätestens nach der Begegnung mit seiner zweiten Ehefrau Yoko Ono diese toxische Männlichkeit unbedingt verlernen wollte. Er verstand sich dann als Kämpfer gegen jede Unterdrückung und als Feminist. Noch der Song mit dem unsagbaren Titel basiert auf einem Gedanken der afroamerikanischen Schriftstellerin Zora Neale Hurston und ist deshalb als feministisches Statement gemeint.
Bei sich selbst verstand er wenig Spaß
John Lennon, der Mistkerl – John Lennon, der Geläuterte. Beides stimmt, und Lennon hat diesen Konflikt offen thematisiert. Er strebte eine Einheit von Künstler und Kunst an, ohne sich selbst zum Gesamtkunstwerk machen zu wollen. Angefangen mit "The Ballad of John and Yoko", noch mit den Beatles veröffentlicht, schuf er eine musikalische Chronik seines Gefühlslebens, ganz ohne die poetischen Metaphern-Apparate von Bob Dylan, sondern fast schmerzhaft direkt: "Hold on John" sang er sich nach der Trennung der Band zu.
Ein Musikmillionär spricht sich selbst Mut zu: eigentlich die Art von Narzissmus, die der an Comedy geschulte Spötter Lennon noch als Mitglied der Beatles mit Freude zerlegt hatte. Lennon misstraute falscher Gefühligkeit und leeren Phrasen. Nur bei sich selbst verstand er wenig Spaß.
Ein Musikmillionär spricht sich selbst Mut zu: eigentlich die Art von Narzissmus, die der an Comedy geschulte Spötter Lennon noch als Mitglied der Beatles mit Freude zerlegt hatte. Lennon misstraute falscher Gefühligkeit und leeren Phrasen. Nur bei sich selbst verstand er wenig Spaß.
"Die Beatles sind beliebter als Jesus"
Seine Äußerung "Die Beatles sind beliebter als Jesus" war mehr als Provokation: John Lennon haderte mit einem waschechten Messiaskomplex, wie viele Popstars nach ihm auch, von Bono bis Kanye West. Der Wunsch, die Welt zu erlösen, ist genauso authentisch wie die Sehnsucht, dafür bejubelt zu werden. Aber die "Bed-ins for Peace" von Lennon und Yoko Ono waren kein leerer PR-Aktivismus, sondern der Versuch, Formen des Widerstands jenseits von, wie sie es nannten, Macho-Rebellion zu finden.
Seine Fans sind ihm auf diesen langen und verschlungenen Wegen gerne gefolgt, wegen seiner Aura, der Strahlkraft der Beatles und vor allem seinem Talent für schockierend ergreifende Melodien und dem Schreiben perfekter Popsongs.
Die Frage drängt sich auf, wo John Lennon 2020 stehen würde, politisch und musikalisch. Dass wir es nie wissen werden, dafür hat sein Mörder Mark David Chapman am 8. Dezember 1980 gesorgt. Mit fünf Schüssen aus einem Revolver cancelte der enttäuschte Fan das Leben seines ehemaligen Idols. So machte Chapman aus dem sarkastischen Heiligen einen Märtyrer des Pop.
Es ist an uns, daran zu erinnern, dass John Lennon aber nur ein sehr talentierter Mensch mit Widersprüchen war. Wie heroisch ihn das macht, dass muss jeder und jede für sich selbst entscheiden.