Info: "Philip Glass: Piano Works" von Víkingur Ólafsson ist bei der Deutschen Grammophon erschienen. Zu Ehren des 80. Geburtstags von Philip Glass spielt das Bruckner Orchester Linz die 11. Symphonie von Philip Glass als Weltpremiere in der Carnegie Hall in New York.
Glass in Glas
Heute wird der in Baltimore geborene Pianist und Komponist Philip Glass 80 Jahre alt. Aus diesem Anlass hat der isländische Pianist Víkingur Ólafsson elf Klavieretüden des Komponisten sowie das berühmte "Opening" aus "Glassworks" in einer Glashalle eingespielt: "Harpa" nennen die Isländer ihr wichtigstes Konzerthaus, das als asymmetrischer Glasskristall am Hafen von Reykjavik thront.
"Musik ist ein Ort", sagt Philip Glass, "so real wie Chicago oder New York". Wenige noch lebende Komponisten haben diesem Gedanken so konsequent nachgespürt wie er. Ob Klavierkonzert, Geigensonate, Oper oder Filmmusik: Philip Glass komponiert Orte: bewegte Landkarten, Klangrouten.
"Diese Musik spricht mich an. Und ich glaube, sie wird oft missverstanden. Es ist sehr leicht, eine oberflächliche Meinung dazu zu haben. Diese oberflächliche Meinung lautet: Philip Glass' Musik ist zu einfach. Das ist sie NICHT. Wirklich nicht."
- sagt Víkingur Ólafsson. Er gilt als Ausnahmepianist, als heißester Export aus Island seit Björk und ist seit Jahren ein bekennender Glass-Verehrer. Bei Kollegen ist er damit schon öfter auf Unglauben gestoßen.
"Wie kannst du Philip Glass' Musik aushalten?" fragte ihn kürzlich ein berühmter Dirigent. "Wie ich ihn aushalten kann?" fragte Vikingur zurück. "Ich liebe ihn".
"Originelle Denker und Erneuerer in der Musik scheiden die Geister. Jemandem wie Philip Glass steht man nicht gleichgültig gegenüber. Man liebt ihn oder man hasst ihn und die Reaktionen auf seine Musik sind stark. Das mag ich sehr."
Seit langer Zeit schon wollte Víkingur Ólafsson die Klavieretüden von Philip Glass neu einspielen, nun ist sein Traum Wirklichkeit geworden. In Reykjaviks Konzerthaus HARPA (zu Deutsch: Harfe) wurde Glass buchstäblich zu Glas, denn das Gebäude ist ein imposanter Glasbau. In seiner Südfassade, gestaltet von Installationskünstler Olafur Eliasson, spiegeln sich die Farben der Insel: Silbergrau, Blauviolett, Rotbraun und Goldgelb. Wer genau hinhört, wird diese Farben auch in den Etüden wiederfinden.
Musik als große weiße Leinwand
Das Konzerthaus HARPA ist zugleich der Ort, an dem sich Víkingur Ólafsson und Philip Glass erstmals persönlich getroffen haben. Für ein gemeinsames Konzert mit dem jungen Pianisten war der damals 77-jährige Glass nach Reykjavik geflogen. Kurz vor Konzertbeginn ergriff Víkingur die einmalige Chance und spielte Philip Glass seine Etüden vor.
"Er sagte zu mir: Du solltest einen Strafzettel kriegen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Er hat das sehr nett gesagt und wollte natürlich auch nicht, dass ich meinen Ansatz ändere. Weil er weiß, dass jeder Interpret Freiraum braucht. Wenn das Konzept in sich schlüssig ist und die Darbietung überzeugend ist das alles, was sich ein Komponist wünschen kann.
Wenn man diese Musik spielt, wird sie zu einer großen weißen Leinwand. Der Pianist muss seine Farben selbst mitbringen und es ist wichtig, dass diese Farben bei jeder Schleife neu aufgetragen werden. Darum hat die repetitive Struktur dieser Musik auch nichts mit Wiederholung zu tun. Man könnte sogar sagen: Es gibt keine Wiederholungen im Leben, jedenfalls nicht, so lange die Zeit fortschreitet."
Glass' Musik spiegelt die Bewegung zwischen zwei Polen: Freiheit und Notwendigkeit. Unsere Existenz ist begrenzt und doch gibt es Spielräume innerhalb dieser Grenzen. Nur indem wir sie ausreizen, entsteht neues Leben, Lebendigkeit.
"Die Stücke haben einen Kompass"
"Die Stücke haben einen Kompass. Sagen wir, C-Dur ist die Ausgangstonart, das Zuhause. Von dort reist man an andere Orte, in die Fremde. Aber früher oder später kehrt man nach Hause zurück. Und sieht alles von einem eigenen Standpunkt aus. Die Welt wie sie mir erscheint, ist meine Welt. Niemand anders sieht sie wie ich."
Was Víkingur und Philip Glass verbindet, ist nicht nur die musikalische Reise. Humor, Neugier, Eigensinn und ein geradezu manischer Arbeitseifer sind ebenfalls gemeinsame Nenner. Wobei Philip Glass' den jüngeren Víkingur in Sachen Disziplin toppen dürfte. Noch immer komponiert Glass mindestens fünf Stunden täglich. Wenn er auf Tour ist und bis Mitternacht Konzerte gibt, tut er es eben danach.
"Er wird 80, aber eigentlich ist er schon viel älter. Er hatte ja viel mehr Zeit als alle anderen. Weil er scheinbar keinen Schlaf braucht. Das ist schon verrückt."