Vom Gender Bender zum Jesus Freak
"A wop bop a loo lop a lop bam boo": Mit diesem Ausruf bei den Aufnahmen zum Song "Tutti Frutti" 1955 begeisterte Little Richard die Musikwelt für den Rock 'n' Roll. Nun wird die Legende 85 - und fühlt sich vor allem von der Religion angezogen.
Nik Cohn: "Die erste Platte, die ich mir kaufte, war von Little Richard, und sie lehrte mich mit einem Schlag alles, was ich über Pop wissen musste. Die Botschaft lautete: 'Tutti Frutti all rootie, tutti frutti all rootie, Awopbopaloobop-alopbamboom.' Als Zusammenfassung dessen, worum es im Rock´n´Roll wirklich ging, waren diese Worte meisterhaft."
Also borgt sich der britische Autor Nik Cohn die meisterhaften Worte für seine Geschichte der Popmusik: Awopbopaloobop-alopbamboom!
Nik Cohn: "Richtige Texte gab es so gut wie nie, sondern nur einfache Phrasen, beinahe Kauderwelsch. Es war so etwas wie ein Geheimcode der Teens, fast eine Zeichensprache, die den Rock für Erwachsene ganz und gar unverständlich machte."
Der Meister dieser Zeichensprache war Little Richard. Seine Geheimcodes waren so geheim, dass sie ihm selbst unheimlich waren.
Little Richard: "Tutti Frutti came from nowhere, didn't know what Tutti Frutti was, to be truthful, I was sayin it, but I didn´t know what it meant."
Aus dem Nichts kommt "Tutti Frutti". Little Richard weiß selbst nicht, was es bedeutet. Bumps Blackwell dagegen kapiert sofort. Blackwell ist der Produzent von "Tutti Frutti", und er weiß sofort, dass das ein Hit wird. Und er weiß sofort, dass er den Text ändern muss, denn eigentlich beginnt Little Richard so:
"Tutti frutti, good booty …"
Booty steht umgangssprachlich für Arsch, und die Sache wird nicht besser dadurch, dass Little Richard hier nicht eindeutig den Good Booty eines weiblichen Wesens besingt, sondern … dazu später mehr. Also wird der Text entschärft und dann kommt ein Weißer daher und macht einen Welthit aus "Tutti Frutti".
Pat Boone: "Tutti Frutti"
Der weiße Schlagersänger Pat Boone macht in den Fünfzigerjahren Karriere, indem er Rock'n' Roll Hits von schwarzen Künstlern wie Chuck Berry oder Fats Domino auf den Geschmack des weißen Publikums zuschneidet.
Little Richard: "Pat Boone is a friend of mine."
"Jesus is the answer"
Pat Boone ist sein Freund, sagt Little Richard. Dabei hat Boone mit seinem "Tutti Frutti" das Hundert- oder Tausendfache verdient.
Little Richard: "My hometown was under Apartheid System at that time."
Ein Apartheidssystem habe geherrscht in seiner Heimatstadt Macon/Georgia. Auch in der populären Musik. Pat Boone habe "Tutti Frutti" größer gemacht.
Little Richard: "By Pat Boone recording it, it made it bigger. Because black records had only been played by black stations at that time. And they called it 'race music'."
Schwarze Musik lief nur bei schwarzen Radios, man nannte sie 'Race Music'. Rassenmusik? Oder drastischer:
Little Richard: "Jungle Music"
Oder gleich das N-Wort.
Little Richard: "Nigger Music."
"Thomasine"
((singt: "Why do you treat me so cruel while I treat you like a queen, oh Thomasine"))
"Warum bist du so grausam zu mir, wenn ich dich behandle wie eine Queen, oh Thomasine? Fragt der kleine Richard. Der Name Thomasine mag dem Reim geschuldet sein. Oder dem Umstand, dass Little Richard sexuell nicht festgelegt war. Er sei omnisexuell, hat er mal gesagt. Ob Thomas oder Thomasine, Richard ist die Queen."
"Wenn Elvis der King war, pflegte er keineswegs entschuldigend zu sagen, dann bin ich die Queen des Rock’n’Roll."
Schreibt der Kritiker Willi Winkler. Die Rock'n'Roll Queen betreibt Gender Bending und Crossdressing Jahrzehnte vor David Bowie, und sie hat, nach allem was man weiß, auch mehr Sex mit Männern als Bowie.
Little Richard: "Josephine Baker, I wanted to look flash and fancy …"
Flash und fancy wie Josephine Baker wollte Richard aussehen, flamboyant ist das Wort. Federboa, toupiertes Haar, Make-Up, Frauenkleider … noch mal Willi Winkler:
"Es sind die seit Michelangelo und Oscar Wilde bedeutendsten Beiträge der Homosexualität zur Kunst, schon allein durch sein onomatopoetisches, komplett sinnfreies, also geradezu jandlsches Glaubensbekenntnis: 'Awopbopaloobop Alopbamboom'."
Little Richard: "Tutti Frutti"
Apropos Glaubensbekenntnis:
Little Richard: "I wanna be holy just like Jesus"
Auf seine alten Tage hat Little Richard mal wieder zu Jesus gefunden. Im September gestattet er dem christlich-fundamentalistischenSender Three Angels Broadcasting eine Audienz.
Little Richard: "Rock 'n' Roll is not a part of Jesus."
Klaus Walter: "Jesus hat was gegen Rock'n' Roll, und Jesus hat was gegen Schwule. Schwule Gefühle seien unnatürlich. Deshalb sei er, Little Richard, jetzt nicht mehr schwul. Das hat er im christlichen Fernsehen verkündet, die entsprechenden Aussagen sind inzwischen gelöscht. Damit hat die einstige Queen ihre queeren Fans verprellt."
Heute wird Little Richard 85, und er hat die Antwort gefunden.
Little Richard: "Jesus is the answer, when you got Jesus you got everything."