Noam Chomsky im Gespräch mit Emran Feroz: "Kampf oder Untergang. Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen"
Westend-Verlag, 224 Seiten, 18 Euro
Der Parade-Intellektuelle
Mit 90 Jahren ist der US-amerikanische Linguist Noam Chomsky streitbar wie immer. Der Journalist Emran Feroz hat ihn besucht und das Gespräch im Buch "Kampf oder Untergang - Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen" veröffentlicht.
Joachim Scholl: Noam Chomsky, der Sprachwissenschaftler, der US-amerikanische Linguist hat weit über sein Fach hinaus als kritischer Kopf und brillanter Intellektueller Weltruhm erlangt. Morgen wird er 90 Jahre alt. Dass wir ihn jetzt gerade hören konnten, das verdanken wir einem Kollegen, dem Journalisten Emran Feroz. Er hat nämlich Noam Chomsky besucht, lange Gespräche geführt, die jetzt als Buch erschienen sind. Emran Feroz ist uns jetzt aus einem Studio in Stuttgart zugeschaltet. Guten Morgen, willkommen im Deutschlandfunk Kultur.
Emran Feroz: Guten Morgen!
Scholl: Sie haben Noam Chomsky im August in den USA besucht. Wie kam es eigentlich dazu? Wollten Sie ihn einfach mal live erleben?
Feroz: Natürlich will man Noam Chomsky live erleben. Aber in dem Fall war es so, dass ich für mein Buch mehrere Interviews mit ihm geführt habe. Die fanden im Vorfeld über Skype und über E-Mail statt. Und wir haben das dann so vereinbart, dass dieses letzte Interview face to face stattfinden sollte. Deshalb habe ich ihn dann in Tucson, Arizona besucht, im August.
Mit 90 Jahren doziert er in der Wüste
Scholl: Ganz schön weite Reise. In Tucson lebt Chomsky seit einem Jahr, und dort am Linguistikinstitut lehrt er auch noch als Laureate Professor, als Ehrenprofessor sozusagen. Unsereins denkt ja, so eine Persönlichkeit wie er hat in Yale oder Harvard einen goldenen Lehrstuhl. Wie ist es denn da so in der Wüste?
Feroz: Nun ja. Der Grund, warum Chomsky dahingegangen ist – vor einem Jahr war er eben noch am MIT –, anstatt in die Rente zu gehen, entschloss er sich dann, nach Arizona zu ziehen mit seiner Ehefrau Valeria. Das ist eben dort eine staatliche Universität, also nicht diese bekannte Ivy-League-Eliteuniversität oder so was, sondern eine staatliche Universität. Das ist mitten in der Wüste, Tucson, nahe der Grenze zu Mexiko. Und dieses Gebiet war auch in den letzten Monaten oft in den Schlagzeilen, weil dort eben sehr viele Geflüchtete aus Südamerika regelmäßig durchziehen und in dieser Wüste eben auch den Tod finden.
Scholl: Da hatten Sie natürlich sofort ein Thema schon mit ihm in seinem Büro, das doch relativ karg aussah, wie Sie es beschreiben.
Feroz: Chomskys Büro war wirklich karg, auch nicht wirklich groß. Da standen noch Umzugskartons und solche Sachen herum. Und diese Thematik bezüglich der Flüchtlingsströme aus Südamerika ist ihm eben auch ein sehr wichtiges Anliegen. Er hat da natürlich auch sehr viele kritische Worte zur gegenwärtigen Migrationspolitik, Flüchtlingspolitik der US-Administration. Da gab es dann einiges zu besprechen.
Chomsky, das Weltgewissen
Scholl: Sie beginnen Ihr Buch, Herr Feroz, mit einer charmanten Überlegung, nämlich vom Universalgelehrten Noam Chomsky. Da fallen einem nicht mehr viele ein, also diese umfassend gebildeten Männer, die nicht nur ihr Fach, sondern sozusagen die ganze Weltmechanik im Blick haben – und so wird Noam Chomsky ja durchaus international wahrgenommen, als Mann für alles eigentlich. Wie hat sich das entwickelt. Wie wurde denn aus diesem Linguisten so eine Art Weltgewissen?
Feroz: Ich würde mal sagen, Noam Chomsky, wie Sie bereits gesagt haben, das begann alles mit seiner linguistischen Arbeit, die wirklich zum damaligen Zeitpunkt und eigentlich bis heute als revolutionär betrachtet wird, vor allem seine Theorien zur Universalgrammatik et cetera. Diese ganzen Sachen haben ja dann auch sehr stark die Kognitionswissenschaften und die Informatik beeinflusst. Aber für Chomsky war es auch dieser Übergang von der Sprache zur Politik, zum politischen Alltag, zum Gebrauch von Medien et cetera, das war für ihn ein natürlicher Schritt, den er sehr früh gegangen ist. Zeitgleich fanden natürlich auch wichtige politische Umbrüche weltweit statt, und die eigene Regierung, also die US-amerikanische Regierung war im Vietnam-Krieg involviert, hat dort fürchterliche Verbrechen begangen. Und das alles hat dann Chomsky sehr früh von der Theorie, von der Universität, aus den Hörsälen auf die Straße gebracht.
Scholl: Und da ist er ja eigentlich auch, wenn man so will, eine oder vielleicht sogar die älteste lebende Ikone des amerikanischen Bürgerprotests. Schon in den 60er-Jahren hat er mit Kollegen demonstriert und gegen den Vietnam-Krieg geschrieben. Er ist über die Jahrzehnte ja wirklich auch nicht müde geworden, die US-amerikanische Politik zu kritisieren. Damit steigen Sie auch gleich ein ins erste Gespräch, Herr Feroz, über die USA und ihre Rolle als Weltmacht. Da ist der alte Herr gleich gut an die Decke gegangen.
Feroz: Ja, auf jeden Fall. Chomsky ist der Meinung, dass er als US-amerikanischer Intellektueller in erster Hinsicht die Verantwortung hat, die eigene Gesellschaft, die eigene Regierung zu kritisieren, und das macht er eben auch in gewohnter Manier. In diesem Fall ist er ganz klar der Meinung, dass das US-amerikanische Imperium eben wirklich ein sagenhaftes Imperium ist. Und durch die Politik dieses Imperiums wird eben auch der Weltfrieden quasi gestört, gefährdet. Und im Gegensatz zu anderen Beobachtern der Entwicklungen ist Chomsky auch der Meinung, dass das US-Imperium weiterhin erhalten bleiben wird. Das heißt, er ist nicht der Meinung wie zum Beispiel andere, dass es bald von China abgelöst wird, sondern dass das so bleiben wird, dass die Macht Washingtons, diese konzentrierte Macht, sich nicht sonderlich schwächen wird, und dass aber dadurch gleichzeitig die Frage gestellt werden muss, ob, wenn dieses Imperium fällt, ein neues aufsteigt oder ob dann die ganze Menschheit quasi verdammt ist und zugrunde geht.
Chomsky nennt Trump "infantil"
Scholl: Wenn wir schon dabei sind. Donald Trump aus der Perspektive eines Noam Chomsky – wie nimmt sich der Präsident da aus? Als nur so Interlude, als Zwischenspiel, oder ist das doch eine signifikante Wende, die es mit diesem Präsidenten nimmt mit Chomsky?
Feroz: Für Chomsky ist das sehr wohl signifikant. Er bezeichnet Trump unter anderem als infantilen Größenwahnsinnigen. Er hat zum damaligen Zeitpunkt, als die Präsidentschaftswahlen stattfanden, sich für Hillary Clinton ausgesprochen, als nur noch Trump und Clinton übrig gewesen sind. Das hat auch zu viel Kritik seitens seiner Anhänger geführt. Aber ich denke, dass er damit tatsächlich richtig lag, weil die Machtübernahme Donald Trumps stellt in vielerlei Hinsicht für Chomsky eine Zäsur in der US-amerikanischen Geschichte dar. Er ist der Meinung, dass dieser Twitter-Troll, dieser sexistische, rassistische Mann tatsächlich die Welt gefährdet, unter anderem natürlich auch durch seine Persönlichkeit, aber auch bezüglich seines Umgangs in der Außenpolitik, in der Klimapolitik. Dass solche Sachen eben wirklich dazu führen könnten, dass wir untergehen.
Scholl: Ich habe mal gerechnet. Er hat wirklich neun Präsidenten erlebt und überlebt. Es war ja wirklich an aktuellen Themen kein Mangel für Ihre Gespräche, Emran Feroz. Vorhin haben Sie es schon angespielt, die Flüchtlingsproblematik an der US-amerikanischen Grenze. Da muss man natürlich sozusagen auch wissen, wie er denn überhaupt dieses ganze globale Problem der großen Migrationsbewegungen sieht. Was hat er denn vielleicht auch uns, also auch in Richtung Europa zu sagen?
Feroz: Chomsky meint, dass diese sogenannte Flüchtlingskrise vor allem eine moralische Krise sei. In Richtung Europa sagt er, dass das für die Europäische Union eigentlich überhaupt kein Problem sein sollte, diese Geflüchteten aufzunehmen. Er weist regelmäßig darauf hin, dass unsere Gesellschaften, unsere Regierungen, also von Amerika bis nach Europa, in vielerlei Hinsicht für die Konflikte in der sogenannten Dritten Welt verantwortlich sind. Er zeigt auf, dass, wenn man jetzt die Flüchtlingsströme nach Nordamerika in Betracht zieht, dass viele Konflikte eben in Südamerika von der US-Regierung entfacht wurden und dass dieser gegenwärtige Umgang mit den Geflüchteten einfach absolut unmenschlich und auch kriminell sei.
Scholl: Der Titel Ihres Buches, Herr Feroz, klingt sehr dramatisch: "Kampf oder Untergang. Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen". Es sind letztlich Formulierungen von Noam Chomsky selbst. Und dafür ist er eben auch bekannt, für die ganz große Geste, für die ganz große Dramatik in der Formulierung. Seine Kritiker nennen ihn ja auch eine Apokalyptiker. Wie haben Sie dieses Temperament im Gespräch selbst erlebt? Wie ist er da so?
Feroz: Chomsky selbst ist im Gespräch sehr nüchtern, sehr ruhig. Er wird da überhaupt nicht wirklich temperamentvoll, emotional, laut. Es ist meistens sehr monoton und sehr nüchtern. Und was aber trotzdem durchkommt, ist sein Optimismus. Er hofft nicht, dass wir bald untergehen. Er ist der Meinung, dass die Menschen durch politischen Aktivismus, durch Journalismus und so weiter wieder anpacken müssen, um diese ganzen Probleme zurechtzubiegen. Weil er der Meinung ist, dass es noch nicht ganz zu spät sei. Aber das könnte sich ja sehr bald ändern.
Scholl: Was hat Sie denn persönlich während dieses Besuches oder während dieser Begegnung und dieser Gespräche am meisten beeindruckt? Was ist Ihnen am stärksten im Gedächtnis geblieben.
Feroz: Erstens seine Bescheidenheit, und zweitens ist es wirklich so, dass sobald Noam Chomsky den Mund aufmacht, muss man das eigentlich aufnehmen oder irgendwie aufzeichnen, weil da kommen so viele wertvolle Sachen heraus. Er ist wirklich ein Parade-Intellektueller, ein perfekter Public Intellectual. Sobald ich den Raum betreten hatte, hat er schon angefangen, über Afghanistan zu sprechen. Ich habe ja ursprünglich afghanische Wurzeln, meine Eltern stammen aus Afghanistan, ich berichte auch oft aus Afghanistan. Er hat sofort angefangen, über Afghanistan zu sprechen und wie das damals war, 2001, 2002. Und ich dachte mir nur die ganze Zeit, bitte, bitte, hör auf, ich muss erst mal die Kamera einschalten und das Aufnahmegerät einschalten, weil sonst geht das verloren.
Sein einziges Leiden: Hörprobleme
Scholl: Das ist eine schöne Situationsbeschreibung für einen 90-Jährigen mittlerweile. Nur kurz noch: Wie geht es ihm?
Feroz: Sehr gut. Das einzige, was mir aufgefallen ist und worauf auch seine Frau hingewiesen hat, sind leichte Hörprobleme.
Scholl: Das kann man aber wirklich haben mit 90.
Feroz: Ja. Aber ansonsten sehr fit. Er kann normal hin- und herlaufen. Er spricht perfekt, deutlich, klar. Es freut mich sehr, dass er noch so gesund ist. Im Afghanischen sagen wir oft, wenn wir Menschen zum Geburtstag gratulieren, "Mögest du tausend Jahre alt werden!". Und das kann ich nur Noam Chomsky auch wünschen.
Scholl: Und man kann ihn sich auch anschauen, mit Ihnen zusammen. Auf YouTube gibt es schöne Videos. Noam Chomsky, Universalgelehrter und Weltgewissen, morgen wird er 90 Jahre alt. Wir haben vorab gratuliert gewissermaßen mit Emran Feroz und seinem Buch "Kampf oder Untergang. Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen". Der Band mit Gesprächen, die Emran Feroz mit Noam Chomsky geführt hat, ist im Westend-Verlag erschienen, 224 Seiten kosten 18 Euro. Herr Feroz, herzlichen Dank für Ihren Besuch. Alles Gute!
Feroz: Danke gleichfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.