"Jetzt ist man einen Schritt zurückgegangen"
08:35 Minuten
Der Berliner Mietendeckel ist verfassungswidrig. So hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt. Die Schriftstellerin Annett Gröschner bedauert, dass damit die Mischung von Jungen und Alten aber auch Armen und Reichen in der Stadt weiter schwindet.
Seit 1983 wohnt die Schriftstellerin Annett Gröschner in Berlin Prenzlauer Berg. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Berliner Mietendeckel verfassungswidrig ist, sei ein herber Schlag, sagt sie. Denn damit habe die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin Mietsteigerungen durch Wohnungsspekulation verhindern wollen. "Jetzt ist man einen Schritt zurückgegangen."
Berlin ist eine Stadt der Mieter
Sie selbst sei eine überzeugte Mieterin. Die Mischung tue der Stadt gut und sei in den letzten 150 Jahren typisch für Berlin. Doch in den letzten Jahren seien viele Mietwohnung in Eigentumswohnungen umgewandelt worden.
Sie erlebe die Wandlung der Stadt deutlich - auch viele Freunde von ihr hätten die Stadt verlassen müssen: "Die konnten sich die Wohnung nicht mehr leisten. Die haben irgendwie ihre Wohnung verloren, die mussten ins Umland ziehen. Die Durchmischung von Alt und Jung, von Arm und Reich ist in dem Fall auch gar nicht mehr da."
Jetzt sei die Gefahr groß, dass die Mieten weiter explodierten. Durch die zunehmende Gentrifizierung sei ihr die Stadt zunehmend fremd geworden.
Die Fehler der Vergangenheit sollten korrigiert werden
Ein großer Fehler sei gewesen das die Landesregierung zu Anfang der 2000er-Jahre die Hälfte der landeseigenen Wohnungen an große Wohnungsbaugesellschaften verkauft habe, so Gröschner.
"Ich glaube, dass Rot-Rot-Grün mit der Mietpreisbremse auch versucht hat diesen Fehler – Thilo Sarrazin war damals Finanzsenator – wieder auszubügeln."
Wohnen dürfe nicht nur als Ware gehandelt werden. Doch das habe die neoliberale Politik bewirkt, die in den letzten 20 Jahren sehr stark zugenommen habe, sagt Gröschner.
Hoffnung Bundestagswahl
Nun bleibe nur die Hoffnung auf die Gesetzgebung auf Bundesebene. Dafür brauche es aber eine andere Bundesregierung und es sei gut möglich, dass das Mietenthema auch eine wichtige Rolle für die Bundestagswahl spielen werde.
In der Pandemie müsse man sich fragen, ob es sich die Gesellschaft leisten wolle, dass Menschen ihre Mieten nicht mehr bezahlen könnten.
Künstler ohne weitere Rücklagen
Dass jetzt vielen Mietern Nachzahlungsforderungen und höhere Mieten drohten, sei besonders schwierig, denn viele Menschen – und vor allem Künstler – hätten gerade jetzt keine oder weniger Arbeit und finanzielle Rücklagen aufgebraucht.
Ein Problem sei, dass diese Entscheidung gerade jetzt komme, in einer Zeit, in der die Pandemie ihre schlimmsten Auswirkungen habe, sagt die Schriftstellerin.
"Die Frage ist: Wie schafft man es, dass die Leute wieder Vertrauen haben in die Politik und nicht Angst haben müssen, dass sie morgen auf der Straße sitzen?"
(mle)