Die Zeichen der Zeit nicht verstanden?
06:15 Minuten
Im Streit um seinen Führungsstil hat sich Dirigent Daniel Barenboim zum Vorwurf der Tyrannei nun selbst gemeldet und zum Dialog eingeladen. Rainer Pöllmann kommentiert und fragt, ob hier „nicht ein Wolf nur einen Schafspelz übergeworfen hat“.
Nun hat er sich also auch selbst geäußert: Daniel Barenboim - mit ambivalenter Aussage. Er verweist auf seine südamerikanischen Wurzeln, auf sein Temperament, so sei er eben. Und lädt andererseits das Orchester und sogar Journalisten ein, ihn zu einem besseren Menschen zu machen. Zyniker würden sagen: Da ist ein guter Medienberater am Werk. Aber vielleicht ist ja wirklich etwas in Bewegung geraten. Er sei kein Lamm, sagt Barenboim über sich selbst. Das hat auch niemand erwartet. Aber interessant wird es schon sein zu sehen, ob nicht ein Wolf nur einen Schafspelz übergeworfen hat.
Es geht nicht nur um gute Umgangsformen. Es geht schon auch um einen künstlerischen Nimbus, um die Macht, über den weiteren Lebensweg junger (und nicht mehr gar so junger) Musiker und Musikerinnen zu entscheiden. Um das Sakrosankte der eigenen Position. Wenn Barenboim jetzt sagt, er müsse mit manchmal eben etwas rabiaten Mitteln die künstlerische Qualität garantieren, gilt das dann auch umgekehrt? Dürfen die Musiker sich auf gleiche Weise beschweren, wenn die Zeichengebung des Maestros, sagen wir mal: nicht so ganz eindeutig ist? Und ist die Zeit über solche schwarze Pädagogik nicht doch inzwischen hinweggegangen?
Es geht nicht nur um gute Umgangsformen. Es geht schon auch um einen künstlerischen Nimbus, um die Macht, über den weiteren Lebensweg junger (und nicht mehr gar so junger) Musiker und Musikerinnen zu entscheiden. Um das Sakrosankte der eigenen Position. Wenn Barenboim jetzt sagt, er müsse mit manchmal eben etwas rabiaten Mitteln die künstlerische Qualität garantieren, gilt das dann auch umgekehrt? Dürfen die Musiker sich auf gleiche Weise beschweren, wenn die Zeichengebung des Maestros, sagen wir mal: nicht so ganz eindeutig ist? Und ist die Zeit über solche schwarze Pädagogik nicht doch inzwischen hinweggegangen?
Barenboim wähnt sich selbst über jede Kritik erhaben
Wir müssen also reden: über die Machtverhältnisse im Kulturbetrieb, Abteilung Klassik. Immer wieder neu müssen wir darüber reden. Über die Machtlosigkeit von Intendanten gegenüber ihrem jeweiligen künstlerischen Leiter. Und natürlich auch darüber, wie ein zeitgenössisches Kunstschaffen heute aussehen kann - zwischen den Polen Tyrann und "netter Opa", wie das auch heute wieder ein Musiker formulierte.
Es liegt ohne Frage eine gewisse Tragik in dem Fall. Daniel Barenboim, der so unermüdlich Kunstschaffende, der sagenhaft erfolgreiche Kulturpolitiker, der seiner Staatskapelle ein glänzendes Standing und exzellente Bezahlung garantiert, ohne den es weder eine Akademie noch den Pierre-Boulez-Saal gäbe. Barenboim, der mit seinem West-Eastern Divan Orchestra ein großes Versöhnungsprojekt initiiert hat und sich, wenn es sein muss, auch mit der israelischen Regierung anlegt, der mit Kritik nicht spart – dieser Barenboim wähnt sich selbst, nach allem, was man hört, über jede Kritik erhaben.
Ohrenbetäubendes Schweigen
Die Launen des Maestros sind kein Geheimnis. Die Ehre, diese Debatte angestoßen zu haben, gebührt dem Online-Magazin VAN. Das Schweigen, das der ersten Veröffentlichung vor zwei Wochen folgte, war ohrenbetäubend. Keine große Zeitung griff das Thema auf. Der Respekt – die Angst – ist offenbar kein Privileg von Musikern. Erst jetzt, da die Kollegen und Kolleginnen des Bayerischen Rundfunks Neues recherchiert hatten, kommt Bewegung in die Sache. Und wieder einmal haben wir, die Medien, kein Thema gesehen in etwas, das dringend thematisiert hätte werden müssen.
Barenboim selbst hat ja die Frage aufgeworfen, warum die Vorwürfe denn ausgerechnet jetzt kämen. Und vermutet, dass damit seine Verhandlungen über eine Verlängerung seines Vertrages über 2022 hinaus sabotiert werden sollten. 2022 wird Barenboim 80 Jahre alt sein und 30 Jahre GMD der Staatskapelle. Dass es solche Verhandlungen überhaupt gibt, mag überraschen. Hat der Berliner Senat Angst, nach dem Desaster an der Berliner Volksbühne erneut einen verdienten Langzeitkünstler zu verabschieden? Nachvollziehbar, aber keine tragfähige Strategie.
Wie legt man einen honorigen Abschied hin?
Die Frage allerdings ist auch gar nicht: Sind 30 Jahre genug? Sondern: Gibt es begründete Aussicht, dass Barenboim der Staatsoper und der Staatskapelle auch nach 2022 noch neue künstlerische Impulse geben kann, die er bisher noch nicht gegeben hat? Oder geht es nur um die Aufrechterhaltung eines Status quo? Dann möchte man hoffen, dass Daniel Barenboim von der mit ihm befreundeten Kanzlerin einen Hinweis bekommt, wie man einen honorigen, selbstbestimmten und vom Publikum mit Bedauern begleiteten Abschied hinlegt. Es wäre diesem großen Künstler zu wünschen.