Der Rasen in Auschwitz darf nicht grün sein
Der Filmwissenschaftler und Autor des Buches "Auschwitz-TV: Reflexionen des Holocaust in Fernsehserien", Marcus Stiglegger, spricht anlässlich des Kinostarts von "Elser" über die Ästhetik deutscher und amerikanischer Filme über den Nationalsozialismus.
Patrick Wellinski: Ich spreche mit Marcus Stiglegger. Filmwissenschaftler an der Uni Mainz. Seit Jahren forscht und publiziert er auch zum Thema filmische Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus. Sein neuestes Buch heißt deshalb auch "Auschwitz-TV: Reflexionen des Holocaust in Fernsehserien". Marcus Stiglegger hat sich für uns "Elser" angesehen und ist mir jetzt aus Mainz zugeschaltet. Schönen guten Tag, Herr Stiglegger!
Marcus Stiglegger: Ja, guten Tag!
Wellinski: Wie hat Ihnen denn der Film von Oliver Hirschbiegel "Elser" gefallen?
Stiglegger: Ich hatte im Vorfeld ja sehr viele kritische Stimmen gehört, und als ich ihn dann tatsächlich gesehen hab, war ich doch eher positiv überrascht, da er viele Dinge richtig macht, die man befürchten könnte, die auch danebengehen könnten. Und der erinnert auf eine eher positive Weise an das Frühwerk von Oliver Hirschbiegel, "Das Experiment", also er ist sehr interessiert an einer eher differenzierten Zeichnung von Tätern und Opfern, und das fand ich doch eher positiv in diesem Fall.
Wellinski: Wie verhält sich denn "Elser" jetzt – Sie haben das Frühwerk von Hirschbiegel schon erwähnt –, aber wie verhält sich "Elser" zu seinem vielleicht bekanntesten Film "Der Untergang", der, ich glaube, das kann man sagen, eine Art Wendepunkt für deutsche Spielfilme über den Nationalsozialismus war?
Unterschiedliche Täterkonzepte in "Elser"
Stiglegger: "Der Untergang" – muss man wissen – ist natürlich international enorm erfolgreich gewesen, also speziell auch in den USA, und wurde international erheblich positiver wahrgenommen, als das in Deutschland der Fall war, wo er ja berechtigte Kritik bekam für eine sehr einseitig auf die menschliche Ebene konzentrierte Darstellung der nationalsozialistischen Täterfiguren, also speziell natürlich auch Hitler in diesem Fall. Das ist etwas, was Hirschbiegel ja in dem neuen Film ganz bewusst vermeidet.
Wellinski: Wie vermeidet Hirschbiegel das denn konkret jetzt in "Elser"?
Stiglegger: In "Elser" ist das so, dass er unterschiedliche Täterkonzepte schafft, und das ist etwas, was auch dringend nötig ist in diesem Kontext, um so diese ganze Palette an Mitläufertum, Tyrannenhaftigkeit und so weiter, die zusammenspielte, im Kontext und im System der Nationalsozialismen zu verstehen. Es ist so, dass er ja den Arthur Nebe zum Beispiel als eine eher ambivalente Figur schildert, die durchaus Momente des Zweifels zu haben scheint oder auch in gewissen Momenten bewegt zu sein scheint. Dann hat er natürlich den Vorgesetzten, der eher so aus der Heydrich-Fraktion, also der absolut unemotionalen Tyrannen stammt. Und dann hat man natürlich so kleinere Mitläuferfiguren wie die Protokollantin, die die ganze Zeit völlig unemotional wirkt, aber dann Elser tatsächlich das Bild seiner Geliebten dann zusteckt, natürlich völlig widerrechtlich, und damit auch einiges riskiert. Es ist vieles nicht ganz so einfach, wie es scheint. Also das System eines reinen Terrors wird hier etwas differenzierter geschildert.
Wellinski: "Elser" ist jetzt kein Einzelfall, in enger Taktung kommen die Filme über die Zeit des Dritten Reiches in unsere Kinos, aber auch verstärkt ins Fernsehen. Erst am Mittwoch lief im Ersten eine aufwendige Produktion von Nico Hofmann, der erneute Versuch, die Verfilmung von "Nackt unter Wölfen" zu präsentieren. Hat denn diese Flut, aber auch die Machart dieser Filme denn mittlerweile auch einen Einfluss darauf, wie wir uns kollektiv an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern?
Stiglegger: Absolut. Also der Einfluss von fiktionalen Inszenierungen, speziell über die Zeit des Nationalsozialismus, ist von enormem Einfluss auf das, was man das "Bildarchiv des Publikums" nennen könnte. Das heißt, je mehr wir sehen, umso mehr Bilder speichern wir ab und machen sie abrufbar. Wenn wir also bestimmte Stichworte hören, wie zum Beispiel jetzt den Namen Stauffenberg, dann haben wir eine bestimmte Vorstellung. Und das, was Filme und Fernsehserien mittlerweile tatsächlich leisten, ist: Wir stellen uns dann nicht den historischen Stauffenberg vor, sondern wir sehen Tom Cruise als Stauffenberg vor uns. Und auf diese Weise ersetzt gewissermaßen das fiktionale Bildarchiv das dokumentarische Bildarchiv, sodass man wirklich diese Bilder gar nicht mehr im Vergleich hat, sondern wirklich das Fiktionale an die Stelle setzt. Das ist allerdings ein Mechanismus, der gar nicht so abwegig ist und der auch nicht so bedenklich ist, denn schwieriger wird es, wenn überhaupt kein Bild mehr existiert von dieser Vergangenheit.
Direkter Bezug auf historische Dokumente
Wellinski: Ist es dahingehend auch vielleicht eine Begründung dafür, dass viele Spielfilme so eine Art, ich nenne das jetzt mal böse Authentizitätsfetische an den Tag legen. Also auch Oliver Hirschbiegel hat jetzt stark betont, sein Film basiert auf den Verhörprotokollen von Elser, da ist er ja nicht der Erste – "Die letzten Tage von Sophie Scholl", auch Volker Schlöndorffs Film "Der neunte Tag". Fördert das dieses Historikerkino?
Stiglegger: Also dieser direkte Bezug auf historische Dokumente ist natürlich so eine Art Legitimation für die Fiktionalisierung. Man muss sich aber immer bewusst sein, dass ganz bewusste Entscheidungen getroffen werden, die natürlich auch von historischen Vorbildern abweichen. Zum Beispiel wurden die Altersverhältnisse in der Besetzung der Nazifiguren in "Elser" ganz bewusst auch abweichend dann umgesetzt, damit man ein bestimmtes Verhältnis hat, dass Nebe älter ist als sein Vorgesetzter. Und das Publikum hat schon das Gefühl, hier etwas "Authentisches", in Anführungszeichen, zu sehen, was aber letztendlich nur eine nachträglich oder letztlich legitimisierte und rhetorisch legitimisierte Simulation ist. Das relativiert das eigentlich nicht, ich sag nur, man muss sich darüber bewusst bleiben, dass das so ist.
Wellinski: Aber führt das nicht auch zu einer gewissen Art, ich nenn es jetzt auch mal Nazikitsch, denn ich sehe dann halt Burghart Klaußner in der gleichen SS-Uniform, die er schon in einigen Filmen trug. Alles sieht gleich aus in diesen Filmen.
Stiglegger: Es gibt bestimmte ästhetische Mittel, die tatsächlich seit Beginn der 80er-Jahre – da ist der amerikanische Schlüsselfilm "Sophies Entscheidung" –, gibt es eine bestimmte Farbgebung zum Beispiel. Also diese ausgewaschene monochrome, also einfarbig-triste Erdfarbigkeit, die so vielen dieser Filme anhaftet, oder auch dieses Kalte, Stahlblaue, also es ist immer dieser monochrome Ästhetisierung der Bilder, die uns signalisiert, hier begeben wir uns in die Vergangenheit, und die ist eben durchaus beklemmend. Das sind Signale, die völlig selbstverständlich eingesetzt werden. Aber das sind natürlich auch Stereotypen, die abrufbar sind und die wiederum auf unser Bildarchiv, diese scheinbare Erinnerung einwirken. Es gab zum Beispiel einen amerikanischen Film von Tim Blake Nelson mit dem Titel "The Grey Zone", der dafür kritisiert wurde, dass dort ja der Rasen in Auschwitz total grün sei und dass die Sonne scheint und das ja total zynisch wirke. Also das waren Bilder, die, in Anführungszeichen, "falsch" erschienen. Und das spricht meines Erachtens dafür, dass also ein großes Publikum dieses Bildarchiv so verinnerlicht hat, dass man alle Abweichungen als falsch klassifiziert, weil es genau diesen Erwartungen widerspricht.
Wellinski: "Elser" ist ein Film über einen gescheiterten Anschlag auf Hitler, das Gleiche trifft auf "Operation Walküre" von Bryan Singer zu, der Stauffenberg damals in den Vordergrund stellte, gespielt von Tom Cruise. Lohnt denn die Gegenüberstellung der beiden Filme, um vielleicht deutlich zu machen, wie deutsches und dann amerikanisches Kino Zeitgeschichte in eine Erzählung überführt?
Kein Stoff für einen Blockbuster
Stiglegger: Ich denke, "Elser" ist nicht unbedingt der Stoff, der für einen amerikanischen Blockbuster infrage kommt, weil einfach die Figur selbst nicht genug Melodramatik hergibt. So ist es doch so, dass die Figur Stauffenberg als ein Militarist mit einem bestimmten adligen Hintergrund und mit dieser heroischen Geste – das sind alles Dinge, die natürlich viel größer sind. Und für das Hollywoodkino und den Zugang des Hollywoodkinos zur Geschichte ist diese Größe enorm wichtig. Von daher ist es für mich total nachvollziehbar, dass eben "Operation Walküre" der Hollywoodfilm, und "Elser" der deutsche Film sind, die aber auch ganz unterschiedliche Dinge dabei betonen. Beide – das ist wichtig – haben einen Moment der absoluten Verdichtung, und der besteht in der Vergeblichkeit des Attentats, also in dem Scheitern eigentlich. Aber dieses Scheitern wird eben bei "Operation Walküre" zu so einer pathetischen Größe aufgebaut, während es bei "Elser" durchaus auf der Ebene einer sehr menschlichen Tragik bleibt.
Wellinski: Warum ist das deutsche Kino dennoch mit seinen Nazibildern so weit entfernt von Sphären, wie zum Beispiel – und auf den Film müssen wir am Ende jetzt noch mal zu sprechen kommen – Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds". Das war ja damals so eine Art Exorzismus, das Kino bringt Hitler in dem Fall ja um, und ein Gefühl, dass hier trotzdem etwas verhandelt wird, dass das hier nicht nur ein Spaß ist und Pulp und dahingehend dieser Authentizitätsfetisch beim deutschen Kino ... ist denn überhaupt so etwas vorstellbar wie "Inglorious Basterds" aus deutschen Landen?
Stiglegger: Also ich denke, es gibt tatsächlich Versuche, im deutschen Genre und auch im unabhängig produzierten Genre-Kino solche Modelle durchzuspielen. Es ist zum Beispiel sehr interessant, wie ein aktueller Film wie "German Angst", von drei Regisseuren gedreht, in einer Episode mit so einem Thema umgeht. Es gibt schon auch andere Ansätze in Deutschland und im deutschen Kino dazu. Bei Tarantino muss man allerdings sagen, ich bin etwas gespalten, was diesen Film betrifft, weil er ja natürlich eine alternative Geschichtsschreibung vorschlägt – das erwähnten Sie ja – und gleichzeitig aber Bilder wiederum implementiert, die das Publikum genauso abspeichert wie die anderen, von denen ich gesprochen habe. Das heißt, man muss schon sehr kompetent sein und das sehr gut einordnen können, um dabei die fiktionalen und falschen Bilder von denen zu unterscheiden, die tatsächlich noch Bezüge zur Geschichte haben. Und das ist bei Tarantino ja ganz bewusst verwischt.
Wellinski: Abschließend vielleicht, Herr Stiglegger, welchen Spielfilm über das "Dritte Reich" jüngerer Zeit empfinden Sie persönlich, aus welchen Gründen aus immer, am gelungensten?
Stiglegger: Also im Nachgang zu "Schindlers Liste" zum Beispiel gab es sehr viele Versuche, zum Beispiel aus dem österreichischen Kino, mit sehr kleinen, aber sehr intensiven Filmen wie "Hasenjagd" Mitte der 90er-Jahre so etwas zu unternehmen, also einen neuen Blick, einen extrem intensiven und auch verstörenden Blick, auf diese Zeit zu werfen. Das ist etwas, was in dem Kino der letzten Zeit doch etwas gewichen ist dem Versuch, so eine Art Konsens zu erreichen, etwas, was nicht wirklich verstörend ist, sondern was aus unterschiedlicher Hinsicht für ein großes Publikum befriedigend sein könnte. Und deswegen fallen mir da aus letzter Zeit gar nicht so viele befriedigende Beispiele ein, die ich nennen könnte.
Wellinski: Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger sprach mit uns über die Ästhetik deutscher Filme über den Nationalsozialismus. Anlass für unser Gespräch war der Kinostart von "Elser" von Oliver Hirschbiegel über den Widerstandskämpfer Georg Elser, der nächsten Donnerstag offiziell dann auf die deutschen Leinwände kommt. Vielen Dank, Herr Stiglegger!
Stiglegger: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.