Zum Muslim wird man gemacht
Thilo Sarrazins Thesen sind der Anlass für ein Projekt - 30 profilierte Autorinnen und Autoren mit sogenanntem Migrationshintergrund antworten auf "Deutschland schafft sich ab". Im Berliner "Maxim Gorki Theater" wurde das Buch jetzt vorgestellt.
Hilal Sezgin ist Deutsche. Punkt. Und Türkin. Wieder Punkt. In Frankfurt am Main wurde sie 1970 geboren, dort hat sie Philosophie, Soziologie und Germanistik studiert, hat sich begeistert - zum Beispiel – für eine Studie, die in fünf Bänden die Bedeutung des Verbs "sein" in sämtlichen bekannten Sprachen beschrieb. Von solch feinen Differenzierungen der Sprache und des Denkens kann die heutige Schriftstellerin und Journalistin Hilal Sezgin nur noch träumen. Musste sie doch feststellen - bei öffentlichen Lesungen oder Diskussionen, immer öfter auch bei privaten Begegnungen, – dass sie nicht mehr so ohne weiteres als sie selbst, als Individuum also wahrgenommen wird, sondern vor allem als Muslimin. Und damit verbunden: einem Sammelsurium von Vorurteilen, wie sie in ihrem Beitrag zum "Manifest der Vielen" schreibt. Muslime, das seien doch die ...
"... die kein Deutsch lernen wollen, Bomben gegen Andersgläubige einsetzen, Hartz IV abzocken und in ihrer Freizeit Zwangsverheiratung praktizieren."
Zum Muslim wird man gemacht, schreibt Hilal Sezgin und nennt das "Muslimifizierung": eine ursprünglich religiöse Kategorie werde zur ethnischen Beschreibung.
"An diesem Muslimdiskurs, wie er von (Thilo) Sarrazin und -zig anderen Protagonisten unserer Medienlandschaft geführt wird, ist alles falsch. Grundfalsch. Weil er für Millionen von Menschen wenige, grobe Rubriken entwirft – die bereits nach genau jenen Bildern und Vorurteilen modelliert sind, die bestätigt werden sollen. Migrant, Muslim, Deutscher, Fremder – dieser Diskurs trennt einzelne Bevölkerungsteile säuberlich voneinander, stellt sie einander gegenüber und hetzt sie sogar gegeneinander auf. Dieser Diskurs ist falsch, weil er keinen Raum lässt für das Eigenrecht gelebten Lebens."
Hilal Sezgin ist Herausgeberin des Buches "Manifest der Vielen", das sich versteht als Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab". Lange gebeten werden, das Buch herauszugeben, musste sie nicht.
"Ich meine, der letzte Herbst war ja wirklich unerträglich, übrigens nicht nur für die muslimischen Zeitungsleserinnen und -leser, sondern auch für ganz viele andere Deutsche, die es einfach nicht mehr ertragen haben... (Applaus.).... Danke, das freut mich zu hören und auch zu sehen, es gibt ja viele nichtmuslimische Deutsche, die da auch darunter leiden, die sich auch fragen: wo treibt dieses Land eigentlich hin, wenn eine Million Leute irgendwie dieses Buch kauft."
Texte geschrieben haben, wie Christoph Peters es in seinem Geleitwort nennt, "Gläubige und Zweifler, Sunniten und Schiiten, Aleviten und Sufis, Liberale und Konservative, Randständige und Verbandsmitglieder mit und ohne den berühmt-berüchtigten Migrationshintergrund", womit er den Begriff "die Muslime" schon fein ausdifferenziert. Wie ein roter Faden zieht sich Hilal Sezgins Kritik an der Einteilung: "wir Deutsche, ihr Muslime" durch die Texte.
"Wir brauchen ein positives Verständnis von einem Zusammenleben von sehr unterschiedlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Die Herkunft ist natürlich nur eine Quelle von Unterschieden. Wir haben sowieso eine freiheitlich-pluralistische Grundordnung, die Unterschiede begrüßt! Wir wollen keine homogene Bevölkerung, und das gilt auch für die Herkunft. Und in diesem Sinne muss sich Deutschland neu erfinden, oder wir müssen einfach eine positive Vision, eine normative politische Theorie dazu entwickeln und das eben begrüßen, das auch wollen."
Feridun Zaimoglu schreibt von einem Kulturkampf in Deutschland, die Konservativen würden die Menschen ihrer jeweiligen Kultur zuordnen, würden sich dagegen sperren, dass ein Zuwandererkind mehr sein soll als ein Deutsch sprechender Fremder. Die Schauspielerin Pegah Feradony beschreibt es so:
"Heute werden wir Deutschen mit Migrationshintergrund tagtäglich mit Rassismus und diesen Debatten konfrontiert und sehen uns auch im Zwang zu antworten. Wir werden alle zu Migrationsbeauftragten und Islamexperten. Die Anderen zu Islamkritikern. Das war nie unsere Absicht. Und dass ich jetzt "wir" sage, ist schon absurd genug, denn dieses "wir" findet zuerst einmal in der Wahrnehmung von außen statt. Da wird ein Schulterschluss von Menschen völlig unterschiedlicher Zuschreibung erzwungen. Als ob die Deutsch-Deutschen alle eins wären. Als ob man so klar sagen könnte, wer deutsch ist und wer nicht."
Gegen Sarrazins These, Deutschland werde sich "abschaffen", werde immer mehr verdummen, weil bildungsferne Deutsche und muslimische Migranten mehr Kinder bekämen als die Gebildeten, wodurch das intellektuelle Potenzial in der Bevölkerung weiter und weiter abnehmen werde – dagegen setzt das "Manifest der Vielen" auf beeindruckende Weise die Aufforderung, die Realität der Einwanderung endlich zu akzeptieren; sich an dem Vielen zu erfreuen mit auch kritischem, in jedem Fall aber differenzierendem Blick den Einzelnen wahrzunehmen, ihn anzuerkennen als Teil des großen Wir. Damit Muslime in Deutschland endlich nicht mehr nur angesehen werden als Migranten, über die diskutiert werden muss, sondern: als ganz normale Bürger unseres in vielerlei Hinsicht so reichen Landes. Das Publikum ist begeistert, der Rapper Volkan T. hat die Musik dazu.
"... die kein Deutsch lernen wollen, Bomben gegen Andersgläubige einsetzen, Hartz IV abzocken und in ihrer Freizeit Zwangsverheiratung praktizieren."
Zum Muslim wird man gemacht, schreibt Hilal Sezgin und nennt das "Muslimifizierung": eine ursprünglich religiöse Kategorie werde zur ethnischen Beschreibung.
"An diesem Muslimdiskurs, wie er von (Thilo) Sarrazin und -zig anderen Protagonisten unserer Medienlandschaft geführt wird, ist alles falsch. Grundfalsch. Weil er für Millionen von Menschen wenige, grobe Rubriken entwirft – die bereits nach genau jenen Bildern und Vorurteilen modelliert sind, die bestätigt werden sollen. Migrant, Muslim, Deutscher, Fremder – dieser Diskurs trennt einzelne Bevölkerungsteile säuberlich voneinander, stellt sie einander gegenüber und hetzt sie sogar gegeneinander auf. Dieser Diskurs ist falsch, weil er keinen Raum lässt für das Eigenrecht gelebten Lebens."
Hilal Sezgin ist Herausgeberin des Buches "Manifest der Vielen", das sich versteht als Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab". Lange gebeten werden, das Buch herauszugeben, musste sie nicht.
"Ich meine, der letzte Herbst war ja wirklich unerträglich, übrigens nicht nur für die muslimischen Zeitungsleserinnen und -leser, sondern auch für ganz viele andere Deutsche, die es einfach nicht mehr ertragen haben... (Applaus.).... Danke, das freut mich zu hören und auch zu sehen, es gibt ja viele nichtmuslimische Deutsche, die da auch darunter leiden, die sich auch fragen: wo treibt dieses Land eigentlich hin, wenn eine Million Leute irgendwie dieses Buch kauft."
Texte geschrieben haben, wie Christoph Peters es in seinem Geleitwort nennt, "Gläubige und Zweifler, Sunniten und Schiiten, Aleviten und Sufis, Liberale und Konservative, Randständige und Verbandsmitglieder mit und ohne den berühmt-berüchtigten Migrationshintergrund", womit er den Begriff "die Muslime" schon fein ausdifferenziert. Wie ein roter Faden zieht sich Hilal Sezgins Kritik an der Einteilung: "wir Deutsche, ihr Muslime" durch die Texte.
"Wir brauchen ein positives Verständnis von einem Zusammenleben von sehr unterschiedlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Die Herkunft ist natürlich nur eine Quelle von Unterschieden. Wir haben sowieso eine freiheitlich-pluralistische Grundordnung, die Unterschiede begrüßt! Wir wollen keine homogene Bevölkerung, und das gilt auch für die Herkunft. Und in diesem Sinne muss sich Deutschland neu erfinden, oder wir müssen einfach eine positive Vision, eine normative politische Theorie dazu entwickeln und das eben begrüßen, das auch wollen."
Feridun Zaimoglu schreibt von einem Kulturkampf in Deutschland, die Konservativen würden die Menschen ihrer jeweiligen Kultur zuordnen, würden sich dagegen sperren, dass ein Zuwandererkind mehr sein soll als ein Deutsch sprechender Fremder. Die Schauspielerin Pegah Feradony beschreibt es so:
"Heute werden wir Deutschen mit Migrationshintergrund tagtäglich mit Rassismus und diesen Debatten konfrontiert und sehen uns auch im Zwang zu antworten. Wir werden alle zu Migrationsbeauftragten und Islamexperten. Die Anderen zu Islamkritikern. Das war nie unsere Absicht. Und dass ich jetzt "wir" sage, ist schon absurd genug, denn dieses "wir" findet zuerst einmal in der Wahrnehmung von außen statt. Da wird ein Schulterschluss von Menschen völlig unterschiedlicher Zuschreibung erzwungen. Als ob die Deutsch-Deutschen alle eins wären. Als ob man so klar sagen könnte, wer deutsch ist und wer nicht."
Gegen Sarrazins These, Deutschland werde sich "abschaffen", werde immer mehr verdummen, weil bildungsferne Deutsche und muslimische Migranten mehr Kinder bekämen als die Gebildeten, wodurch das intellektuelle Potenzial in der Bevölkerung weiter und weiter abnehmen werde – dagegen setzt das "Manifest der Vielen" auf beeindruckende Weise die Aufforderung, die Realität der Einwanderung endlich zu akzeptieren; sich an dem Vielen zu erfreuen mit auch kritischem, in jedem Fall aber differenzierendem Blick den Einzelnen wahrzunehmen, ihn anzuerkennen als Teil des großen Wir. Damit Muslime in Deutschland endlich nicht mehr nur angesehen werden als Migranten, über die diskutiert werden muss, sondern: als ganz normale Bürger unseres in vielerlei Hinsicht so reichen Landes. Das Publikum ist begeistert, der Rapper Volkan T. hat die Musik dazu.