"Die jüdische Gemeinschaft fühlte sich ausgegrenzt"
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Der Direktor des Jüdischen Museums ist zurückgetreten, ein Tweet war der Auslöser, aber offenbar längst nicht der einzige Grund. Das Haus sei in keinem guten Zustand, sagt der Publizist Michael Wuliger, auch weil Debatten zu einseitig geführt worden seien.
Ute Welty: Einen Rücktrittsgrund in einem Satz zu erklären, das ist manchmal ganz einfach. Im Fall von Peter Schäfer ist es schwieriger. Fünf Jahre lang stand der Professor für Judaistik an der Spitze des Jüdischen Museums, und zurückgetreten ist er, nachdem ein Tweet der Pressestelle für massive Kritik sorgte.
Darin ging es um den Verweis auf einen Artikel, der sich mit der Kritik von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlern an jenem Bundestagsbeschluss auseinandersetzt, der die BDS-Bewegung als antisemitisch verurteilt.
Der BDS will Israel boykottieren, Investments abziehen und Sanktionen verhängen. Schäfers Rücktritt und die Hintergründe, damit beschäftigt sich auch Michael Wuliger, Kolumnist der "Jüdischen Allgemeinen". Möchten Sie jemandem raten, in der jetzigen Situation die Leitung des Hauses zu übernehmen?
Wuliger: Guten Gewissens nicht. Das Museum ist jetzt, mal ganz unabhängig von den aktuellen Kontroversen, in keinem guten Zustand. Die Programmdirektorin hat nach nur zwei Jahren im Februar gekündigt, die Stelle ist noch nicht mal neu ausgeschrieben, etliche Kuratorenposten sind nicht besetzt. Das ist im Moment, von den inhaltlichen Kontroversen völlig abgesehen, schon ganz schwierig, als Museum überhaupt den Betrieb wirklich aufrechtzuerhalten, von großen Sprüngen will ich mal gar nicht reden.
Das Jüdische Museum ist eine deutsche Institution
Welty: Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Auseinandersetzung um diesen Tweet oder über diesen Tweet nur so etwas ist wie die Spitze eines Eisbergs?
Wuliger: Ich denke ja. Ich denke, in den vergangenen Jahren haben sich Kontroversen – es war ja nicht die erste Kontroverse – entwickelt, die für mich zumindest darauf hindeuten, dass da einiges im Argen lag. Herr Professor Schäfer hat ja immer darauf verwiesen, sehr zu Recht übrigens, dass das Jüdische Museum kein Museum der jüdischen Gemeinde ist, sondern eine deutsche Institution.
Andererseits ist es natürlich so, dass, wenn ich als Jüdisches Museum fortwährend immer wieder die jüdische Gemeinschaft in Deutschland gegen mich aufbringe – und das hat er nicht bewusst gemacht, das ist nun mal geschehen –, das auch nicht die ideale Voraussetzung für die Arbeit eines solchen Museums ist.
Welty: Schäfer war jemand, der immer auch kontroverse Diskussionen gefördert hat. Wo muss ein solches Vorhaben an seine Grenzen stoßen?
Jüdische Gemeinschaft fühlte sich ausgegrenzt
Wuliger: Also kontroverse Diskussionen zu fördern, das Museum als Plattform für eine lebendige, offene, zensurfreie Diskussion, diesen Ansatz finde ich ganz hervorragend. Die Kritik, zumindest von jüdischer Seite, war allerdings, dass die Diskussionen etwas einseitig waren.
Es war eine Linie – ich sage bewusst Linie, es hatte was mit einer politisch-ideologischen Linie zu tun –, die sehr stark die Kritiker Israels, nicht nur der israelischen Politik, sondern Israel als solchem, in den Vordergrund stellte. Kaum oder gar nicht zu Wort gekommen sind diejenigen, die die Existenz Israels – ich rede nicht von der aktuellen Politik – für nicht nur tolerabel, sondern auch für geboten halten.
Es wurden im Grunde genommen aus den Debatten, die das Jüdische Museum initiiert hat, ein Großteil der hiesigen jüdischen Gemeinschaft ausgegrenzt. Ich denke, das war der Punkt. Es ging nicht um offene Diskussionen, es geht einfach darum, dass man bei solchen Diskussionen Standpunkte, die einem selber nicht schmecken, nicht ausgrenzen darf, das ist leider geschehen.
Welty: Inwieweit macht es vielleicht auch einen Unterschied, ob ein Jüdisches Museum in den USA steht oder in Deutschland?
Wuliger: Ich denke nicht, dass das in diesem Fall wirklich so relevant ist. Ich glaube nicht, dass die Geschichte da so eine große Rolle spielt. Ich denke, in den USA oder in Frankreich oder in Großbritannien oder in den Niederlanden oder wo auch immer, hätte es die gleiche Debatte gegeben, wenn man ein Jüdisches Museum gehabt hätte oder eine jüdische Institution, die eine bestimmte jüdische Richtung, die auch noch wenigstens statistisch sehr minoritär und nicht so repräsentativ ist, massiv bevorzugt. Also da spielt nicht die Geschichte so sehr eine Rolle. Ich denke, da spielt einfach das Gefühl der jüdischen Gemeinschaft hierzulande eine Rolle. Man hat sich ausgegrenzt gefühlt.
Welty: Welche Fähigkeiten muss also die nächste Person an der Spitze des Jüdischen Museums haben? Denn allein herausragende Kenntnisse der Judaistik können es ja nicht sein.
Wuliger: Oh, also ich denke mal, den Ausschreibungstext wird der Stiftungsrat unter Vorsitz von Frau Ministerin Grütters formulieren.
Welty: Aber vielleicht haben Sie einen Vorschlag. Worauf …
Wuliger: Dem will ich nicht vorgreifen.
Gespür dafür, was die Juden bewegt
Welty: Worauf käme es Ihnen an? Formulieren wir es so.
Wuliger: Mir käme es darauf an, nicht nur Kenntnisse der Judaistik, der jüdischen Geschichte zu haben, sondern zumindest auch ein Sensorium für das aktuelle, reale Judentum, für die ganz banalen lebenden Juden. Das heißt um Himmels Willen nicht, dass das Museum der hiesigen jüdischen Gemeinschaft nach dem Mund reden sollte, um Gottes Willen nicht, aber ein Gespür dafür, was die Juden in Deutschland, aber auch anderswo, bewegt, würde zumindest nicht schaden, auch für die Darstellung des Judentums im Museum, gerade dafür.
Welty: Der Zentralrat der Juden in Deutschland wirft der bisherigen Leitung ja vor, das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft verspielt zu haben. Muss also die erste Aufgabe heißen, Vertrauen wiederherzustellen?
Wuliger: Ja, wobei ich nicht denke, dass das Vertrauen dadurch herzustellen ist, dass man es auf institutioneller Ebene pflegt. Sowas ist wichtig, natürlich. Noch mal: Ich finde, zur Kenntnis des Judentums gehört einfach auch ein Gefühl für die Befindlichkeit der jüdischen Gemeinschaft. Das ist eigentlich eine Grundvoraussetzung, wenn man sich mit der Thematik befasst. Das muss dann nicht die Leitlinie sein, soll das auch nicht. Dafür ist auch die jüdische Gemeinschaft viel zu pluralistisch, aber ohne das geht es überhaupt nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.