"Zum Singen taugte ich und zu nichts anderem"

Von Georg-Friedrich Kühn |
Mit Enrico Caruso und dem kürzlich verstorbenen Luciano Pavarotti gehörte er zu den ganz großen Tenören der vergangenen 100 Jahre: Beniamino Gigli. Ein Mann aus ganz kleinen Verhältnissen, der auch immer bescheiden blieb, obwohl er auf den Bühnen der Welt zu Hause war. Sein großer Durchbruch gelang ihm am 26. November 1920, als er an der Metropolitan Opera in New York debütierte.
Benianmino Gigli, 1955, zwei Jahre vor seinem Tod, bei seiner Abschieds-Tournee in der New Yorker Carnegie Hall. 65 Jahre war er alt, die Stimme noch erstaunlich biegsam.

Immer hatte er darauf geachtet, nur Rollen zu singen, die seinem lyrischen Tenor lagen. Wagners "Lohengrin" war ein Zugeständnis an sein Publikum in Südamerika.

Donizetti, Verdi, Puccini, Mascagni waren seine Lieblings-Komponisten. Und gern sang er auch immer wieder Volkslieder wie schon Caruso, dessen Nachfolge auf dem Thron des "bel canto" er antrat.

Geboren wurde Gigli 1890 in Renacati, einem kleinen Städtchen nahe der Adria. Der Vater war Schuster, der durch die neuen Fabriken die Arbeit verlor und sich als Messner verdingen musste.

"Eine Stimme und sonst nichts: kein Geld, keine Beziehungen, keine anderen Begabungen wurden mir in die Wiege gelegt ... Zum Singen taugte ich und zu nichts anderem."

So schreibt Gigli in seiner Autobiografie. Der Weg bis zum Diplom 1914 an der berühmten Accademia di Santa Cecilia in Rom ist entbehrungsreich. Und immer wieder ist es diese singuläre Stimme, die ihn rettet - auch vor dem Kriegsdienst.

Den Durchbruch bringt 1918 das Gedenkkonzert für den Komponisten und Librettisten Arrigo Boito an der Mailänder Scala. Arturo Toscanini dirigiert es. Der Faust in Boitos "Mefistofele" ist eine von Giglis Paraderollen.

Schnell dringt die Kunde von dem jungen Tenor an die Metropolitan Opera in New York. Die Ära Carusos dort neigt sich dem Ende zu. Am 26. November 1920 debütiert Gigli an der Met. Er erntet 43 Vorhänge, und die New Yorker Kritik ist sich einig: ein "neuer Stern" ist geboren.

""Seine Stimme ist ein lyrischer Tenor von eigenartiger Wärme und Fülle in der Mittellage, im Timbre auffallend schön, bemerkenswert elastisch und fein, wenn er leise singt, und beim vollen Einsatz reich an Schmelz"."

Zwölf Jahre bleibt er der Met treu. Den Sticheleien über seine Leibesfülle und sein etwas ungelenkes Spiel begegnet er mit regelmäßigem Fitness-Training. 1924 debütiert er in Deutschland. Seine Berliner "Bohème" wird ein Triumph.

Kopflos - was er später bereut - verlässt er 1932 die Met, als dort wegen der Wirtschaftskrise die Gagen schrumpfen. Stattdessen lässt er sich von Mussolini einen Vertrag vermitteln für Auftritte in den großen italienischen Opernhäusern. Bei der UFA steigt er ein ins Musikfilm-Geschäft.

Der frühe Kontakt mit dem "Duce" - und dann auch mit den Nazi-Größen Hitler, Goebbels, Göring - beschert ihm nach dem Krieg ein mehrmonatiges Auftritts-Verbot. Immer wieder hat Gigli betont: er sei ein "Durchschnitts-Mensch", verstehe nichts von Politik, er singe für alle. Seine Mission sei es, den lyrischen Gesang, den bel canto, in der Welt zu pflegen.

1950 erleidet er einen ersten Schwächeanfall. Er merkt: er ermüdet schneller. Sein letztes Konzert gibt er 1955 in Washington. Er zieht sich zurück auf sein Landgut, das er nahe seinem Geburtsort Renacati in den zwanziger Jahren aufgebaut hatte. Dort stirbt er am 30. November 1957.

Mit Enrico Caruso und zuletzt Luciano Pavarotti bildet er das wahre Dreigestirn der größten italienischen Tenöre der letzten hundert Jahre. Alle drei entstammten ähnlich einfachen Verhältnissen. Giglis Vermächtnis, seine wiederholte Mahnung, eine Stimme müsse sehr langsam wachsen, dürfe nie zu früh überfordert werden, gilt heute mehr denn je.