Den Blick freilegen
Mit Schwarz-Weiß-Fotos von industriellen Röhrensystemen, Turmgerüsten und Bohrgestängen wurde Hilla Becher gemeinsam mit ihrem Mann berühmt. Die Künstlerin starb nun im Alter von 81 Jahren. Ein Nachruf.
Hilla Wobeser, geboren 1934, hatte Fotografie gelernt, von der Pike auf, noch in ihrer Heimatstadt Potsdam. An der Düsseldorfer Kunstakademie war sie 1958 die erste Kandidatin, die ausschließlich Lichtbilder als Arbeitsprobe einreichte – und aufgenommen wurde. Im Studium lernte sie Bernd Becher kennen, einen Maler und Typographen, der Bergwerksgebäude im heimischen Siegerland vor dem bevorstehenden Abriss noch einmal im Bild festhalten wollte. Als Zeichnung, versteht sich. Hilla Becher:
"Bernd hat mich immer mitgenommen ins Siegerland. Und im Siegerland hat er selbst angefangen zu fotografieren. Seine Verwandtschaft, das waren alles Bergleute; Hüttenleute."
Mit nostalgischen Erinnerungsfotos sind "die Bechers" dann aber nicht berühmt geworden. Nach der Ausstellung "Anonyme Skulpturen" auf der documenta 5 hatten sie sich 1972 einen Platz in den Museen, ihren Rang auf dem Kunstmarkt erobert mit fast schon abstrakten Schwarzweißfotos der Röhrensysteme, Turmgerüste und Bohrgestänge von Industriekolossen. Da wurde zu typologischen Serien zusammengefasste Fabrikarchitektur als menschengemachtes Konstrukt kenntlich, als prägendes Merkmal einer je spezifischen Kulturlandschaft. Heinz Liesbrock:
"Weil man lokale Varianten zu beobachten lernt. Etwa dass in Belgien und in Frankreich durchgängig die Fördertürme der Zechen mit kleinen, an Pagoden erinnernden Dächern verziert sind. Wovon Frau Becher sagt: ich glaube, die Mentalität dort verträgt es nicht gut, die reine Funktionalität zu schaffen."
Auch mal bewaldete Bergkuppen
Heinz Liesbrock hat 2010 mit seiner eindrucksvollen Ausstellung "Bergwerke und Hütten" im Bottroper Josef Albers Museum den Anteil Hilla Bechers am fotografischen Lebenswerk hervorgehoben. Zum ersten Mal waren nicht ausschließlich menschenleere, als monolithische Skulpturen inszenierte Bauten zu sehen.
Aus der Vogelschau glitt der Blick auch schon mal über bewaldete Bergkuppen in Talkessel mit kleinen Hüttenwerken, die ebenso wie die gigantischen Industriekolosse als Fremdkörper zwischen Äckern und Wiesen standen. Das waren keine Ausreißer, keine Verstöße gegen das so oft beschworene "Genre Industriefotografie", sondern Facetten der fotografischen, der fotokünstlerischen Vorgehensweise. Liesbrock:
"Dieser dokumentarische Anspruch, etwas festzuhalten für die Erinnerung: Mir ist dabei auch eine Formulierung von Walker Evans in den Sinn gekommen, dass ihn interessiere, was eine spätere Zeit als ihre eigene Vergangenheit begreifen werde."
Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser industriell geprägten Erinnerungslandschaften von Kohleförderung, Eisenerz-Verhüttung und Stahlerzeugung erkundeten die Bechers weltweit, in Frankreich oder Großbritannien, von Lothringen bis Pittsburgh. Hilla Becher:
"Wir sind gereist mit einem VW-Bus – das war damals ein ausgedientes Polizeiauto – in dem wir gleichzeitig auch schlafen konnten. Später, in Amerika, da haben wir dann in Motels geschlafen und da konnten wir dann auch die Filme entwickeln."
"Im Kunstmarkt klar erkennbar als Becher-Schüler"
Es war eine im besten Sinne handwerklich begriffene Arbeit des Fotografierens: selbstverständlich analog, mit schwerer Stativkamera. Bernd Becher griff schon mal zur Axt, um einen Baum umzuhauen, die Sicht freizulegen. Als er aber 1976 zu akademischen Ehren kam, an der Düsseldorfer Kunstakademie eine Professur erhielt, da lehrten beide gemeinsam, begründeten zusammen die "Becher-Schule". Dazu zählen nicht nur Stars wie Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, sondern auch ein Student der zweiten oder gar dritten Generation wie Götz Diergarten:
"Im Kunstmarkt klar erkennbar als Becher-Schüler. Nicht in dem Sujet, was ich mache, sondern wie ich arbeite: Einfach der typologische Ansatz, in Serien zu arbeiten bei bedecktem Himmel. Ich mache das für die Farben, Bechers haben das für die skulpturale Wirkung der Schwarzweißaufnahmen gemacht. Da kann man schon sagen: klarer Becher-Schüler."
In Diergartens Farbfotos beherrschen schon mal Strandkörbe, knallbunte Umkleidekabinen die Szene. Nicht sehr becher-like, zumindest nicht auf den ersten Blick. Und gerade deshalb der beste Beweis, dass hier nicht nach Schema F gearbeitet wurde, sondern sehr individuell, das dokumentarische Sujet fest im Blick, die künstlerische Absicht sorgsam reflektierend. Allenfalls ein "Markenzeichen" gibt es, das wohl jeden ihrer Schüler zeitlebens mit Bernd und Hilla Becher verbinden wird: Es geht ihnen um mehr als bloße Fotografie, sie lassen sich aber auch nicht zu Sklaven eines abstrakten Konzepts machen. Zumindest hat es Hilla Becher so gesehen in der Erinnerung an Bernd Becher:
"Bis zum Ende hat er immer wieder gesagt, wir haben es nicht geschafft, es fehlt so viel, es ist nicht fertig. Und ich habe ihm immer wieder gesagt: Ist ja auch nicht nötig."