Zum Tod der ungarischen Philosophin Ágnes Heller

"Ich hatte nie Angst"

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Ágnes Heller mit Brille schaut in die Kamera.
Die ungarische Philosophin und Jahrhundertzeugin Ágnes Heller. © imago images / Horst Galuschka
Von Clemens Verenkotte |
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Die ungarische Philosophin und Soziologin Ágnes Heller ist im Alter von 90 Jahren im Plattensee-Bad Balatonalmadi gestorben. Sie galt als eine der wichtigsten intellektuellen Stimmen der Gegenwart und war eine Kritikerin von Viktor Orbán.
"Ich hatte nie Angst. Ich glaube, Angst ist eine schlechte Motivation. Und ich glaube immer, dass das Schlechteste Menschen passiert, wenn sie Angst haben."
Das darf als ihr Lebensmotto gelten - niemals Angst haben, auch nicht vor der größten, übermächtigen Bedrohung, obgleich Ungarns bedeutendste Philosophin oft dieser maßlosen Angst ausgesetzt war.

Überlebende des Holocaust

Ágnes Heller, 1929 in Budapest geboren, erlebte eine wohlbehütete Kindheit in ihrem jüdischen Elternhaus. Als Hitlers Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg entfesselte, sorgte ihr Vater, ein Rechtsanwalt, für die Ausreise zahlreicher Juden aus Ungarn.
1944, das Schicksalsjahr Ungarns im Zweiten Weltkrieg mit der Machtübernahme der faschistischen Pfeilkreuzler: Ihr Vater wurde deportiert und im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Ihre Mutter und sie entgingen oftmals um Haaresbreite der Ermordung, etwa auch bei den Massenexekutionen am Donau-Ufer in Budapest. Ans Ufer der Donau habe sie sehr lange nicht mehr gehen können, der Strom und die Todesangst seien miteinander verschmolzen.

Vielfach geehrt

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm Agnes Heller das Studium auf, zunächst Naturwissenschaften - Physik und Chemie - dann, als sie zum ersten Mal den Philosophen Georg Lukács an der Uni Budapest hörte, wechselte sie sofort das Studienfach, promovierte bei ihm und würde seine Assistentin.
Ihre eindeutige Ablehnung des Totalitarismus führte sie immer wieder in erneute Gefahr, sie wurde von der Universität entlassen, verfolgt, blieb bis in die 70er Jahre, trotz alledem. 1977 erhielten sie und ihr Mann die Gelegenheit, nach Australien zu emigrieren, in Melbourne wurde sie Professorin, wechselte nach New York, erhielt die Hannah-Arendt-Professur an der New Yorker New School for Social Research.
Vorträge, Einladungen, Ehrungen - die Würdigungen Ihre intellektuellen Leistungen rissen nicht ab. Sie pendelte nach der politischen Wende in ihrer Heimat zwischen New York und Budapest. Die politische Entwicklung in Ungarn verfolgte sie stets mit analytischer Schärfe.

Gegnerin von Viktor Orbán

Als Viktor Orbán 2010, nach achtjähriger Abstinenz von der Regierungsmacht wiedergewählt wurde, war es Agnes Heller, die ihre Stimme erhob - bei Demonstrationen, in Vorträgen, gegenüber den Medien, auch den deutschen, wie im Jahr 2011:
"Orbán ist auch eine Vaterfigur. Das ist wieder einmal ein Mann. Er darf unsere Sorgen auf sich nehmen. Und für uns entscheiden und statt uns denken. Und er sagt, was wir denken sollen, was wir tun sollen, und dann ist alles in Ordnung."
Agnes Heller starb am Freitagnachmittag im Alter von 90 Jahren.
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