Zum Tod des Dokumentarfilmers Klaus Wildenhahn

Die Wahrhaftigkeit des Alltäglichen

Der Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn
"Ich wollte Dokumentarfilme machen", wusste Klaus Wildenhahn, nachdem er die US-Filme des Direct Cinema gesehen hatte. © Quinka Stoehr
Regisseurin Quinka Stoehr im Gespräch mit Timo Grampes |
Mit der Kamera habe er "die Intensität des Augenblicks" in Alltagsszenen eingefangen, sagt Regisseurin Quinka Stoehr über Klaus Wildenhahn. Der Dokumentarfilmer brachte das Direct Cinema nach Deutschland. Nun ist Wildenhahn im Alter von 88 Jahren verstorben.
"Nationalität: Amerikaner, Beruf: Komponist" – Mit diesem knappen Worten stellt Regisseur Klaus Wildenhahn den Künstler John Cage in seinem Dokumentarfilm von 1966 vor. Es ist kein "Hochglanzporträt" des Künstlers, kein Erklär-Film, der dem Zuschauer vorschreibt, wie er den Künstler und sein Werk zu begreifen habe.
Stattdessen zeigt er Cage bei der Arbeit, nicht ohne die prekäre finanzielle Situation des Künstlers zu umreißen: "Monatliche Arbeitslosenunterstützung: die Hälfte vom Normalverdienst, etwa 40 Dollar. Einkommen durch Unterricht: vielleicht 25 Dollar. Also: 65 Dollar Einkommen in einem Engagement-freien Monat", heißt es in dem knappen Kommentar, der den Bildern unterlegt ist.

Möglichst nahe an der Realität

In mehr als 40 Filmen hat Wildenhahn Arbeiter am Fließband bei VW gezeigt, Künstler wie Cage oder Pina Bausch porträtiert – oder den Alltag auf Sankt Pauli geschildert. Mit leichter 16-mm-Kamera statt starr vom Stativ gefilmt. Mit Originalton, auf dem man noch das Rattern der Kamera hört anstelle von opulenter Filmmusik. Immer möglichst nahe an der Realität des Alltags.
Es ist der Versuch, "eine Intensität des Augenblicks" festzuhalten, "die wahrhaftig" ist, sagt Regisseurin Quinka Stoehr, die Klaus Wildenhahn gut kannte – und ihn in ihrem Dokumentarfilm "Klaus Wildenhahn. Direct! Public and Private" porträtiert hat.
"Man ist mitten drin, man ist dabei" und nehme Anteil, statt belehrt zu werden.
Mit seinen Filmen gehört Klaus Wildenhahn in den 60-ern und 70-ern zu den jungen Wilden des Dokumentarfilms. Damals prägten US-Dokumentarfilmer wie Richard Leacock, D. A. Pennebaker und Albert Maysles den neuen Stil des Direct Cinema. Ungekünstelt, direkt sollten die Filme sein, die den zukünftigen US-Präsidenten Kennedy während der Vorwahlen zeigten oder Eddie Sachs porträtierten: einen Rennfahrer, der sich immer mit dem zweiten Platz begnügen musste.
"Das waren eigentlich Storys, die auf eine gewisse Dramatik angelegt waren", erinnert sich Wildenhahn selbst an seinen ersten Eindruck der neuen Filme aus den USA.
"Aber dann war die Umsetzung wiederum so verblüffend nicht-spektakulär, sondern eben die kleinen Zuckungen, die Mühe, die durch den sogenannten Alltag geht, nur eben am Beispiel einer dramatischen Situation."

"Ich wollte Dokumentarfilme machen"

Von da an war Wildenhahns Lebensziel klar: "Ich wollte Dokumentarfilme machen, weil ich so angesteckt war von den Amerikanern. Nachdem ich die gesehen und gesprochen hatte, war für mich klar: Das musste sein. Das wär mein Weg."
Wildenhahn brachte den neuen Stil des Direct Cinema nach Deutschland, interpretierte ihn auf seine eigene Weise – und sorgte mit der ungekünstelten Darstellung von Alltag für Diskussionen und Kontroversen. Als Dokumentarfilmer beim NDR Fernsehen prägte er Generationen von Filmemachern.
(lk)
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