Nachruf auf Hans Belting
Der deutsche Kunsthistoriker Hans Belting ist am 9. Januar 2023 in Berlin gestorben. © picture alliance / ZB / Marc Tirl
Bildwissenschaftler avant la lettre
11:27 Minuten
Mit seinem fundierten kunsthistorischen Wissen aus der Religions- und Kultgeschichte prägte Hans Belting in Deutschland die Bildwissenschaft. Er zeigte, welche Einflüsse aus der byzantinischen Zeit noch heute in Bildern fortleben.
Der Kunsthistoriker und Medientheoretiker Hans Belting hat mit vielen Fachpublikationen für Aufsehen gesorgt: als Mann des Mittelalters, als Experte für byzantinische Kunst, als Autor zu Hieronymus Bosch bis hin zu den Phänomenen der Moderne. Am Dienstag wurde bekannt, dass der große Bilderklärer im Alter von 87 Jahren gestorben ist.
Hans Belting hat „im Grunde genommen an den Grundlagen der Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft gesägt, indem er den Begriff der Kunst aus historischer Perspektive infrage gestellt hat“, sagt die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel über ihren verstorbenen Kollegen und Freund. „Das war der revolutionäre Schritt – und er war einfach auch immer offen für Neues“.
Kunstbegriff aus historischer Perspektive infrage gestellt
So gab er Anfang der 90er-Jahre seine Professur in München auf und ging nach Karlsruhe an die neu gegründete Hochschule für Gestaltung, die er wie das Zentrum für Kuns und Medien (ZKM) wesentlich mitprägte. Zu der Zeit war er bereits ein international renommierter Kunsthistoriker. Ein ungewöhnlicher Schritt.
Belting war seiner Zeit weit voraus, wie Weigel erklärt: Er hat in Deutschland die Bildwissenschaft mitentwickelt, mit dem entscheidenden Unterschied zur angloamerikanischen Version, dass er sie historisch fundiert hat. Dafür konnte er aus seiner unglaublichen Kenntnis der Geschichte von Bildern aus der Religions- und Kultgeschichte schöpfen. „Also anders als viele theoretische Diskurse, die im rein theoretischen Bereich bleiben, ist dieser Schritt bei ihm quellengesättigt“, sagt Weigel.
Historische Fundierung der Disziplin
In seinem Buch „Bild und Kult. Zur Geschichte des Bildes vor der Kunst“ hat Belting etwa den Import der Ikonen aus der byzantinischen Kunst nach Westeuropa thematisiert. Dabei habe er das, was heute als Anfang des Bildes, also des Bildes, wie es die europäische Kunstgeschichte beschreibt, als Tafelbild, auf dem eine narrative Szene gezeigt wird, als eine Adaption und Veränderung der Ikonen beschrieben.
Und in seinem Werk „Das Bild und sein Publikum im Mittelalter: Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion“ habe er die Entwicklung von Empathie gegenüber Figuren, die im Bild dargestellt werden, als neuen wichtigen Schritt gegenüber den Ikonen aus der byzantinischen Kunst beschrieben. „Das sehe ich als eine Urszene, die ihn natürlich später dann auch dahin gebracht hat, sich sehr stark auf diese Triade Medium – Körper – Bild zu beziehen.“
Lebenslange Offenheit
2013 erschien sein Buch „Faces. Eine Geschichte des Gesichts“. Dazu sagte er selbst einmal: „Was ist das Gesicht? Es entzieht sich immer wieder den Bildern, es entzieht sich dem Zugriff. Es entzieht sich sogar seinem eigenen Träger, der mit dem Gesicht eben altert, der mit dem Gesicht auch ausgeliefert ist. Hanns Zischler hat mal sehr schön gesagt: ‚Das Gesicht ist der gesellschaftliche Teil von uns, der Körper der Natur.’“ Das war die Zeit der ersten kritischen Auseinandersetzung mit den sozialen Medien und der Selfies.
Was Hans Belting vor allem ausgezeichnet habe, erklärt seine Freundin Sigrid Weigel, sei seine lebenslange Offenheit gewesen:
„Er hatte überhaupt keinen Dünkel gegenüber verschiedenen Hierarchien in der Akademie und war eigentlich immer bereit, sich einzulassen auf jüngere Leute. Wenn ihn ein Doktorand oder auch eine Studentin was gefragt hat, war er immer sofort bereit, sich damit auch intensiv zu beschäftigen. Also diese Offenheit, die hat mich eigentlich am meisten beeindruckt.“