Zum Tod des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda

"Ein melancholischer Suchender"

Andrzej Wajda
Der polnische Regisseur Andrzej Wajda. Mit seinen Historienfilmen inspirierte er Filmemacher wie Martin Scorsese. © picture alliance/dpa/Foto: Jakub Kaminski
Michal Oleszczyk im Gespräch mit Patrick Wellinski |
Er war einer der Giganten des europäischen Kinos, berühmt für Historienfilme wie "Das Massaker von Katyn". Mit 90 ist Andrzej Wajda vergangene Woche gestorben. Sein Interesse für "die Tragik der polnischen Geschichte" habe ihn zum "polnischsten" Künstler gemacht, sagt Michal Oleszczyk, Leiter des Gdynia-Filmfestivals.
Patrick Wellinski: Sie haben für den letzten öffentlichen Auftritt gesorgt, den Wajda hatte. Vor knapp drei Wochen bei Ihrem Festival wurde eine Sondervorführung seines letzten Films "Nachbilder" organisiert. Wie haben Sie Ihn da erlebt?
!!Michal Oleszczyk:!! Das war ein ganz besonderer Abend. Wir haben mit der Planung sogar schon ein halbes Jahr vorher begonnen, weil wir möglichst viele Weggefährten und Kollegen von Andrzej Wajda einladen wollten. Die Gala fand dann auch am wichtigsten Abend des Festivals statt. Und alle waren da, Daniel Olbrychski oder Andrzej Seweryn. All diese Schauspieler haben ihm sehr persönlich auf der Bühne gedankt und das war ein sehr bewegender Moment. Wajda selber war sehr begeistert und voller Energie. Er war in guter Verfassung und sagte, dass 90 doch kein Alter sei und dass er schon seinen nächsten Film plane.
Wellinski: In allen Texten, die in Polen aber auch international jetzt erscheinen, gibt es da ein Wort und eine These, die alle aufstellen, dass "Polen" und die Geschichte Polens sein großes Thema war. Warum hat gerade er sich dazu berufen gefühlt? Liegt das vielleicht an seiner Biografie?
Oleszczyk: Nein, ich glaube es liegt eher an Wajdas großer Faszination an der polnischen Literatur und Malerei, die er versuchte in seinen Filmen wiederzubeleben. Und wenn wir uns sein Werk ansehen, dann merkt man, dass das fast alles Literaturverfilmungen sind.

Der "polnischste unter den polnischen Künstlern"

Mehr noch: Es sind Verfilmungen von großen Werken aus der Zeit der polnischen Romantik - also der Zeit von Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts. Bücher von Adam Mickiewicz oder Tadeusz Borowski. Wajda hat an diesen Stoffen vor allem die melancholische Tragik der polnischen Geschichte interessiert. Das macht ihn meiner Meinung nach zum polnischsten unter den polnischen Künstlern, weil er ständig diesen Dialog zwischen seiner Kunst und der Geschichte Polens gesucht hat.
Wellinski: Wie kann man das beschreiben? Was hat er eigentlich gemacht? Hat er die Geschichte neu geschrieben, hat er sie dokumentiert, hat er sie interpretiert?
Oleszczyk: Ich glaube, von allem ein bisschen. Wie Sie schon sagten, es gibt Filme, in denen Wajda versuchte das politische Geschehen nahezu in Echtzeit zu fassen. Mir fällt da zum Beispiel "Der Mann aus Eisen" ein von 1981, der ja quasi parallel zu den Streiks der Werftarbeiter in Danzig stattfand. Es gibt ja ganze dokumentarische Strecken in dem Film.
Michal Oleszczyk, Leiter des wichtigsten polnischen Filmfestivals in Gdynia
Michal Oleszczyk, Leiter des wichtigsten polnischen Filmfestivals in Gdynia© Slawomir Pultyn
Dann gibt es sicherlich auch Filme, in denen er versucht historische Ereignisse zu rekonstruierten. Doch die interessantesten Wajda-Werke sind die, in denen er die Geschichte nach seiner Vorstellung umgeformt hat. Ein - außerhalb Polens - weniger bekannter Film ist "Legionäre" von 1965. Wajda hat damit ein eindringliches Vier-Stunden-Epos geschaffen: über polnische Soldaten, die an der Seite Napoleons um die eigene Unabhängigkeit kämpfen. Alles in Schwarz-weiß mit exquisiten Cinemascope-Bildern, die eine Wucht von großen Gemälden entwickeln. Und ich glaube, das waren seine stärksten Filme, in denen er Geschichte nahm, und sie nach seiner Vorstellung auf der Leinwand umgeformt hat.

"Wajda war ein Suchender"

Wellinski: Lassen Sie uns mal auf den Stil von Wajda gucken. Da fällt irgendwie auf, dass es eigentlich zwei Wajdas gab. Das ist der eine, sehr ernsthafte Erinnerungspolitiker, Historiker, wie eben in "Asche und Diamant" bis "Das Massaker von Katyn" und dann gibt es den anderen, verspielten, fast schon unischeren Avantgardisten, der sich in "Alles zu verkaufen", "Die unschuldigen Zauberer" oder auch in seinem "Der Kalmus" von 2009. Gibt es also nicht den einen Wajda-Stil, sondern mehrere?
Oleszczyk: Ja, das ist ganz gut zusammengefasst. Ich glaube, Wajda hat keinen einheitlichen Stil entwickelt. Das unterscheidet ihn von Kollegen wie zum Beispiel Michelangelo Antonioni, dessen Stil in jedem seiner Filme gleich war. Wajda war ein Suchender, der sich mit jedem Projekt eine neue Aufgabe gestellt hat. Und dann haben sich auch seine Interessen mit den Jahrzehnten geändert.
Es stimmt, dass die meisten ihn mit den Historienfilmen verbinden werden, mit Bildern voller überhöhter Symbolik. Aber es gibt dann auch diese anderen Filme von denen Sie gesprochen haben, ich hätte da noch den Film "Fliegenjagd" von 1969 hinzugefügt, wo Wajda eben experimentiert hat.

Wajda inspirierte Regisseure wie Martin Scorsese

Ich glaube, Wajda war ein sehr ungeduldiger Künstler, einer der immer suchte, der getrieben war; der aber dadurch auch offen für alle Einflüsse und Inspirationen war. Beispielsweise seine Faszination von der japanischen Kultur. Ihm hat Polen sein bislang einziges Museum zur japanischen Kunst zu verdanken. Auch das ein Zeichen dieser Offenheit und Suche.
Wellinski: Wie stilprägend war Wajda für Kollegen aus dem Ausland. Wer hat sich wie von ihm wie inspirieren lassen?
Oleszczyk: Ja, es gab einige. Der bekannteste Name ist sicherlich Martin Scorsese, der regelmäßig betont wie wichtig die Filme Wajdas für sein eigenes Schaffen sind. Das sieht man zum Beispiel bei dem leider nicht so gelungenen Spielfilm "Bringing Out The Dead" von 1999 mit Nicholas Cage in der Hauptrolle, wo es ganz viele visuelle Motive und Verweise aus "Asche und Diamant" gibt.
Aber auch in Europa war Wajdas Einfluss groß. Ich denke da an den griechischen Regisseur Theo Angelopoulos, der teilweise die Geschichte seines Landes mit Wajdas Mitteln erzählt hat und sich immer wieder auf "Der Kanal" oder eben "Asche und Diamant" bezog.
Wellinski: Was wird denn jetzt eigentlich aus dem polnischen Kino, dem es eigentlich ganz gut geht, nach dem Tod von Wajda. Denn er war ja immer da. Auch als er mal keinen Film gemacht hat, hat er sich regelmäßig eingemischt?
Oleszczyk: Ja, der Verlust seiner Person schmerzt natürlich sehr. Aber ich gehöre nicht zu den Pessimisten, die vom Ende des polnischen Kinos sprechen. Wir sollten nicht vergessen, dass in den letzten zwanzig Jahren Wajda zwar regelmäßig Filme gedreht hat und diese stark diskutiert wurden, so war es nicht er, der das Bild des polnischen Kinos in der Welt geprägt hat. Das haben andere gemacht.

"Das Kino hat sich weiterentwickelt"

Es ist mittlerweile eine junge Generation von Regisseuren da, die auf den Festivals und in Polen große Erfolge feiern. Wajda Rolle war in den letzten Jahren die eines Mentors, eines Beobachters und Kommentators. Seine Filme waren aber schon lange nicht mehr das Zentrum des polnischen Filmdiskurses. Es ist also ein großer Meister von uns gegangen, doch dem polnischen Kino geht es gut, es ist vital und entwickelt sich weiter. Wajdas Werk wird weiterhin für sich sprechen und irgendwie im Hintergrund ein wichtiger Referenzpunkt bleiben.
Wellinski: Also sucht man keinen Nachfolger?
Oleszczyk: Ich denke, das geht nicht. Es wird keine Nachfolger für Regisseure dieses Kalibers geben. Keinen zweiten Antonioni, Bergman oder Wajda, die ja das Kino ihres Landes derartig geprägt haben. Das Kino hat sich weiterentwickelt, es ist vielseitiger und kleinteiliger geworden, da scheint es keinen Platz mehr für solche Giganten zu geben.
Wellinski: Michal Oleszczyk. Vielen Dank für Ihre Zeit.
Mehr zum Thema