Zum Tod des "Talk Talk"-Sängers Mark Hollis

Ein Popstar von mythischer Größe

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Mark Hollis posiert vor dramatischen Wolken für ein Foto.
Mark Hollis (1955-2019): Der britische Musiker wurde vor allem als Sänger der Band Talk Talk bekannt. © picture alliance / Photoshot
Jens Balzer im Gespräch mit Carsten Beyer · 26.02.2019
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Mark Hollis, Sänger der Band Talk Talk, ist im Alter von 64 Jahren gestorben. Mit "It’s My Life" und "Such A Shame" gelangen ihm Welthits, doch er zog sich aus dem Popgeschäft zurück und wurde "zum erratischen Avantgardisten", urteilt Jens Balzer.
In den ersten Nachrufen in der britischen Presse wird Mark Hollis als einer der größten Musiker seiner Generation gewürdigt. Und das, obwohl man schon seit sehr langer Zeit nichts mehr von ihm gehört hatte.
Geprägt hatte er mit seiner Band Talk Talk die Pop-Szene der 1980er Jahre. Sein Weg führte "vom Pop-Star zum erratischen Avandgardisten", sagt der Musikjournalist Jens Balzer in unserem Programm.
In London gründete er Talk Talk im Umfeld der sogenannten New-Romantic-Bewegung. Bekannt wurde er mit Hits wie "It’s My Life" und "Such A Shame", die bis heute in keiner 80er-Oldie-Disco fehlen dürfen.
"Da spielte er Gitarre und Keyboard und sang mit dieser extrem extemporierenden, sehr leidenschaftlichen, aber auch so leicht heiseren und näselden Stimme zu schweren, stark angedickten, sehr pathetischen Synthesizer-Sounds", sagt Balzer.

Synthesizer statt Gitarre

Die New Romantic Bewegung kam aus dem Punk, erläutert der Journalist. "In dieser Szene wechselte man früh von der doch eher klassischen Gitarrenrock-Orientierung des Punk zu den Synthesizern und anderen elektronischen Instrumenten. Das Artifizielle, Künstliche war hier schnell wesentlich wichtiger als die musikalische Rohheit, die den frühen Punk ja auch auszeichnet."
Bei den New Romantics wurde der Punk gewissermaßen wieder an die vorangegangene Ära des Glamrock angeschlossen, sagt Balzer. Eines der wesentlichen Idole war David Bowie.
Paul Webb, Mark Hollis und Lee Harris von der britischen Band "Talk Talk", aufgenommen im Januar 1985
Die Mitglieder der britischen Band "Talk Talk"© dpa
Andere bekannte Bands dieser Zeit hießen Spandau Ballet oder Duran Duran, als deren Support Talk Talk 1981 zum ersten Mal auf Tour gegangen waren. Diese Bands hätten sich aber schnell den Ruf der Oberflächlichkeit eingehandelt, sagt Balzer. Große Teile der Musikszene hätten sich von diesen New-Romantics distanziert.

Wider die glattgebügelten Hitparaden-Sounds

Talk Talk hätten diesen Konflikt gleichsam von innen zu sprengen gesucht. So habe Mark Hollis etwa immer konsequent am Playback vorbeigesungen, sagt Balzer.
"Wenn man sich das heute nochmal ansieht, finde ich, sieht er immer aus wie ein Muppet, der irgendwie in das falsche Video geraten ist."
Die glattgebügelten Hitparaden-Bands um ihn herum - inbesondere Spandau Ballet - habe er verachtet.
Im Thatcher-England hätten Talk Talk "alles getan, um da schnellstmöglich in eine sehr widerständige Position zu bekommen", sagt Balzer. Das erkläre auch "die historische Größe und die Bewunderung, die ihm immer noch entgegen schlägt, weil das ja heute kaum noch jemandem gelingt, eben so eine widerständige Position zu bewahren".

Ein Jahr im Studio verkrochen

Das dritte Album von Talk Talk, "The Colour of Spring" von 1986, bringt den Abschied von den Synthesizers - "die wesentliche Instrumente sind hier Gitarre, Klavier und Orgel". Es wird noch mal ein enormer Erfolg. Der Band bringt es einen opulenten Vorschuss von ihrer Plattenfirma EMI für das nächste Album ein.
Mit diesem Vorschuss haben sich Talk Talk dann ein Jahr lang in ein Studio in London verkrochen, erzählt Balzer, "um dort - so geht jedenfalls die Legende - meistens in absoluter Dunkelheit vor sich hin zu improvisieren und die improvisierte Musik dann aus Unmengen von kleinen Tonbandschnipseln zu den fertigen Liedern zusammenzuschneiden".
Das fertige Werk "The Sprit of Eden" erschien dann 1988 und "gilt heute als einer der großen Pop-Avantgarde-Werke der letzten Jahrzehnte", sagt Balzer - zugleich war es "komplett unverkaufbar", ebenso wie die nächste Platte "Laughin Stock" aus dem Jahr 1991.

Einfluss auf die Neunziger

Durch den radikalen Bruch mit den klassischen Pop-Gepflogenheiten habe Talk Talk sehr viele künstlerisch ambitionierte Bands der neunziger Jahre beeinflusst, insbesondere den sogenannten Postrock von Gruppen wie Tortoise oder auch Radiohead, in Deutschland das Weiße Album von Tocotronic aus dem Jahr 2002 oder die frühen Alben von Kante.
Hollis habe 1998 noch mal ein Soloalbum herausgebracht - "noch stiller und minimalistischer als die letzten Talk-Talk-Werke" - dann habe er sich ins Privatleben verabschiedet und sich nach eigener Aussage um die Erziehung seines Sohnes gekümmert. "Auch das hat sicher zu seiner mythischen Größe beigetragen", sagt Balzer.
(huc)
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