Die Kunst, Unfallorte zu fotografieren
06:22 Minuten
Arnold Odermatt wurde als Polizist oft zu Unfallorten gerufen. Seine Aufgabe: Skizzen zur Dokumentation zeichnen. Doch er fotografierte die Karambolagen lieber - und wurde damit berühmt.
Umgekippte LKWs, Autowracks, Berge aus Schrott nach Unfällen: Der Schweizer Arnold Odermatt zückte als Polizist die Kamera an Unfallorten. Vierzig Jahre lang fotografierte er Unfälle, vornehmlich zu Dokumentationszwecken. Doch dann entdeckte sein Sohn Urs die Bilder Anfang der 1990er-Jahre, als der Vater schon in Pension war. Und erkannte einen hohen, künstlerischen Wert.
Urs Odermatt ist seitdem Herausgeber des väterlichen Werks. Dessen Fotos fanden viel Anklang - 2001 wurde Arnold Odermatt sogar zur Biennale nach Venedig eingeladen. Sein nüchternes Auge machte ihn berühmt. Nun ist er mit 96 Jahren gestorben.
Kleine Szenen vor Schweizer Berglandschaft
Das Fotografieren sei eigentlich gar nicht seine Aufgabe gewesen, berichtet die Fotografin Ricarda Roggan. Arnold Odermatt war als Beamter vielmehr dafür zuständig, Skizzen zu zeichnen und diese den Unfallprotokollen beizulegen.
Odermatt habe "aus Eigeninteresse heraus" mit dem Fotografieren angefangen und die Bilder in der eigenen Küche entwickelt. Irgendwann hätten Odermatts Vorgesetzte dann akzeptiert, dass er keine Skizzen mehr machen wollte, sondern Fotos; ihm sei eine Dunkelkammer in einer Besenkammer des Polizeigebäudes eingerichtet worden.
"Diese Bilder sind etwas Besonderes. Es ist, als ob jemand ungefähr sieben Schritte zurücktritt von der Szene und wesentlich mehr noch ins Blickfeld nimmt", sagt Roggan. Es seien besonders die kleinen Szenen und dahinter die "wunderbare Schweizer Berglandschaft", die Odermatts Bilder zu etwas Besonderem machten. Außerdem mische sich seine Kunst mit einer frühen Auffassung von Produktfotografie.
"Das ist insgesamt ein schönes Amalgam aus diesen verschiedenen Dingen, die er schafft, miteinander zu verschmelzen, sodass es eine große Freude ist, die Fotos immer wieder anzuschauen", sagt Roggan.
Nebenbei habe Arnold Odermatt auch "eine Art fotografisches Tagebuch" für sich selbst angefertigt. "Da beginnt der Übergang von den praktisch gedachten Tatort-Beschreibungen hin zu dem, was man als Kunst bezeichnen würde."
Odermatt habe immer den Moment abgewartet, wenn die Verletzten und Toten abtransportiert worden waren. Roggan bezeichnet das als "Verlassenheit der Szene". Seine Bilder seien nie voyeuristisch oder in einer "reißerischen Manier" geschossen worden. Im Gegenteil: Sie ließen all das weg, was Neugier an einem Unfall hätte wecken können.