Abschied vom letzten Chanson-Giganten
Der Tod Charles Aznavours sei "ein Riesenverlust für die Chanson-Szene", sagt unser Musikkritiker Carsten Beyer. "Diese Leute, die jeder kannte, auf die man sich sofort einigen konnte, wenn es darum ging, die Legenden der Szene zu benennen, die sind nun alle tot."
Oliver Schwesig: Seinen 90. Geburtstag hat Charles Aznavour auf der Bühne erlebt, und einer, der es wissen muss, ist Carsten Beyer, der war nämlich dabei. Wenn ein Sänger in einem so hohen Alter noch auf die Bühne tritt, dann stellt sich ja die Frage: Tut er sich und seinen Fans damit tatsächlich einen Gefallen oder hämmert er da schon an seinem eigenen Denkmal? Wie war das denn bei Charles Aznavour?
Carsten Beyer: Ja, das war ein etwas seltsamer Abend, muss ich sagen: Es klang ja in diesem Beitrag gerade eben schon an: Charles Aznavour ist bis ins hohe Alter noch immer live aufgetreten, er war noch voller Energie und Tatendrang. Auch in diesem Jahr hatte er in ganz Europa Konzerte geplant und wenn er nicht diesen Unfall gehabt hätte, hätte er die mit Sicherheit auch gespielt.
Aber dass einer der größten französischen Chansonniers seinen 90. Geburtstag in Berlin feiert und nicht in seinem geliebten Paris, das war schon eine kleine Sensation.
Man muss aber leider sagen, das deutsche Publikum hat ihm das damals nicht wirklich gedankt. In den Sitzreihen der O2 Arena klafften große Lücken – und einen Teil der Halle hatten die Veranstalter sogar komplett mit Planen abgehängt, damit es nicht so leer aussah, also das war schon eine kleine Enttäuschung damals mit Sicherheit auch für Charles Aznavour selbst, auch wenn er es sich nicht hat anmerken lassen.
"Ein Riesenverlust für die Chanson-Szene"
Oliver Schwesig: Trotzdem, wenn man von diesen Problemen in den letzten Jahren einmal absieht: Wie schwer trifft der Tod von Charles Aznavour die französische Chanson- Szene?
Carsten Beyer: Ja, das ist natürlich ein Riesenverlust für die Chanson-Szene. Charles Aznavour war vielleicht einer der letzten Chanson-Giganten: Zeitgenossen wie Yves Montand, Gilbert Bécaud oder George Brassens sind alle lange tot: Vor fünf Jahren starb dann auch noch Georges Moustaki. Also, diese Leute, die jeder kannte, auf die man sich – auch generationsübergreifend – sofort einigen konnte, wenn es darum ging, die Legenden der Szene zu benennen, die sind nun alle tot.
Und was natürlich ebenfalls ein großer Verlust ist: Charles Aznavour war auch ein absolut außergewöhnlicher Mensch: Er war Schauspieler, er war Buchautor, er war Offizier der französischen Ehrenlegion und er war ein Mann des öffentlichen Lebens, der sich immer wieder auch eingemischt in politische Diskussionen.
Vor allem hat er sich unermüdlich für die Belange seiner ursprünglichen Heimat Armenien eingesetzt: Er war armenischer Botschafter in der Schweiz und bei den Vereinten Nationen vertreten, er hat unermüdlich Geld gesammelt nach dem schlimmen Erdbeben von Spitak im Jahr 1988 – und er hat noch vor zwei Jahren, 2016 in Jerewan an den Gedenkfeierlichkeiten zum Beginn des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich teilgenommen – zusammen mit George Clooney, also das zeigt schon, wie sehr dieser Mann auch im hohen Alter noch am gesellschaftlichen und politischen Leben teilgenommen hat.
"Er hat unermüdlich komponiert"
Oliver Schwesig: Jetzt, nach seinem Tod, wird überall getrauert: In Frankreich, in Armenien und auch bei uns in Deutschland, denn auch hier hatte er viele Fans. Was bleibt denn nun von diesem Mann?
Carsten Beyer: Ja, es bleiben natürlich in erster Linie seine Chansons. Über 1000 Stück sollen es angeblich sein, denn er hat ja wirklich unermüdlich komponiert: Das letzte Album "Encores" ("Zugaben") ist erst vor drei Jahren erschienen mit 12 ganz neuen Stücken. Das schaffen auch nur die wenigsten.
Wenn man an solche Leute denkt in so einem hohen Alter, fallen einem so Figuren wie Jopi Heesters ein, wo man am Ende dachte, der ist nur noch die Karikatur seiner selbst. Das war Charles Aznavour aber nicht, er wirklich noch aktiv. Also, das bleibt, die Musik.
Und was auch noch bleibt, das sind die Filme: "Schießen sie auf den Pianisten" von Francois Truffaut, "Die Fantome des Hutmachers" von Claude Chabrol oder "Die Blechtrommel" von Volker Schlöndorff – alles tolle Filme, kann man sich alle nochmal anschauen.
Und es bleibt natürlich die Erinnerung an den Menschen Charles Aznavour: Das sagt man ja immer gerne in einem Sterbefall, aber diesmal ist es wirklich wahr: Solche Menschen werden nicht alle Tage geboren!