"Ein unbeugsamer Mensch"
Er war fleißig, unbeugsam und geradezu süchtig nach der Bühne: Über Leben und Werk von Dieter Hildebrandt spricht im Interview sein langjähriger Freund Werner Schneyder.
Ulrike Timm: Dieter Hildebrandt ist gestorben im Alter von 86 Jahren. Am Telefon ist jetzt ein Wegbegleiter von Dieter Hildebrandt, der Kabarettist Werner Schneyder. Ich grüße Sie!
Werner Schneyder: Guten Tag!
Timm: Herr Schneyder, ich vermute, Sie sind auch als Freund sehr erschüttert. Sie haben mit Dieter Hildebrandt zusammengearbeitet. Was ist das erste, was Ihnen vor Augen, vor Ohren kommt, wenn Sie an Dieter Hildebrandt denken?
Schneyder: Das ist absolut nicht darstellbar, weil das ist so ein Sammelsurium von Eindrücken, Momenten, es geht einem so viel durch den Kopf, und wenn ich jetzt gerade eben seine Stimme gehört habe und seine Definition von Kabarett, dann denke ich in der Sekunde an die wirklich hunderte Male, wo wir nebeneinander gestanden sind und diese Fragen beantwortet haben. Es ist ein Stück Biografie, das ist ein wesentliches Stück Biografie, und ich bin unsagbar traurig.
Timm: Er hat ja eben auch davon gesprochen, dass das Kabarett die Ruhe und den Raum zum Nachdenken gibt. Das politische Kabarett des Dieter Hildebrandt, der Spaß an der zugespitzten Sprache, das war ja auch etwas sehr Besonderes in den letzten 10, 20 Jahren, wo doch die Comedy immer mehr Raum gewonnen hat.
Schneyder: Das würde ich nicht überschätzen. Man soll diesen Vergleich auch nicht immer bemühen. Comedy ist etwas anderes. Es gibt wenig gute Comedians, und wenn eine Branche Konjunktur hat, dann schwemmt das eben auch jeden Dreck hinauf. Man kann einen Mann wie Hildebrandt jetzt … Der Vergleich tut mir fast weh, weil es war ja nie so, dass das politische Kabarett weg war, sondern es war halt ein bisschen in den Hintergrund getreten, auch medial. Aber eben, sagen wir mal, so ein sehr unbeugsamer und fleißiger Mensch wie der Dieter Hildebrandt war ja immer auf der Matte.
Timm: Unbeugsam und fleißig bis fast zuletzt: Noch vor wenigen Wochen ist Dieter Hildebrandt mit einem Soloprogramm aufgetreten. Er hat sich aus der Fernseharbeit ja schon vor einigen Jahren zurückgezogen, aber er brauchte die Bühne, er brauchte den direkten Kontakt zum Menschen. Ist das vielleicht seine größte Eigenheit, dass er wirklich das Kabarett im Zusammenspiel mit seinem Publikum auch neu erfand und jeden Abend neu gestaltete?
Schneyder: Mir fällt dazu nie ein besseres Wort ein als "Triebtäter". So ein Mann wie Dieter Hildebrandt ist ein Triebtäter. Das ist also auch Suchtverhalten im besten Sinn des Wortes. Man will mit den Menschen Kontakt haben, man will etwas dazu sagen, was passiert, man will aus sich alles herausholen, artistisch und wenn Sie wollen auch moralisch-artistisch, um die Leute zu irritieren. Ich sage immer, es gibt ja diese berühmten Phasen, was kann Kabarett bewirken? Da sagen manche immer, im Grunde kann es nichts bewirken, weil die Politiker machen so und so das, was die Politik will. Es kann etwas bewirken. Es kann in Leuten Zweifel deponieren. Es kann Leute anregen, zu sagen, hat er da recht oder hat er da nicht recht? Es kann zu Streit zwischen Paaren führen, es kann Publikum teilen – und all das hat der Hildebrandt meisterlich beherrscht.
Timm: Werner Schneyder in einer ersten Reaktion auf den Tod des Kabarettisten Dieter Hildebrandt, seines Freundes. Herr Schneyder, ich danke Ihnen sehr, dass Sie so schnell für ein kurzes Gespräch zur Verfügung standen. Dieter Hildebrandt – gerade wurde bekannt: Er ist an Krebs erkrankt. Heute Vormittag ist er gestorben an dieser Krankheit mit 86 Jahren. Er wird fehlen, er hinterlässt eine Lücke, die für das politische Kabarett nicht zu schließen ist. heute Nachmittag im Radiofeuilleton werden wir noch näher auf Dieter Hildebrandt eingehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.