Deutschlandfunk Kultur sendet ab dem 30. Mai 2018 die Sendereihe "Begegnungen". In fünf Gesprächen berichtet Dieter Schnebel dabei von seinem Leben zwischen experimenteller Musik und kritischer Theologie und von den tragischen und komischen Seiten des Lebens.
Ein radikaler Avantgardist
Bekannt wurde der Theologe und Musikwissenschaftler Dieter Schnebel für seine Kompositionen im Bereich der experimentellen Musik. Am Pfingstsonntag ist er im Alter von 88 Jahren gestorben. Regisseur Achim Freyer erinnert sich.
Nahezu zwanzig Jahre lehrte Dieter Schnebel an der Hochschule der Künste Berlin als Professor für Experimentelle Musik und prägte damit ganze Generationen. Unter anderem gehörten der Schweizer Komponist und Theatermusiker Michael Wertmüller sowie die isrealische Komponistin Chaya Czernowin in Berlin zu seinen Schülern. Nach Mitteilung seiner Famile starb Schnebel nun im Alter von 88 Jahren.
Große Würdigung vor allem für "Glossolalie" und "Maulwerke"
Bereits in den 50er Jahren experimentierte Schnebel als junger Musiker in seinen ersten Kompositionen mit seriellen Techniken und arbeitete dafür mit technisch veränderten Stimmen. Früh und sehr intensiv arbeitete er dann an der Umsetzung von Konzepten für das experimentelle Komponieren. Ausgesprochen breite Aufmerksamkeit erlangte Schnebel zu Beginn der 60er Jahre mit seiner Komposition "Nostalgie". Dabei erhält der Dirigent lediglich choreographische Anweisungen für sein Dirigat. Das Publikum hört das Werk nicht, sondern muss es sich vorstellen anhand der Arbeit des Dirigenten.
Als eines seiner einflussreichsten Werke gilt "Glossolalie" aus dem Jahr 1961. Dabei werden in freier Interpretation Fragmente aus 40 Sprachen kombiniert von Sprechern und Instrumentalisten. Es gehört zu den Schlüsselwerken der Auseinandersetzung von Musik und Sprache in der experimentellen Musik, die ihren Höhepunkt im Schnebels Projekt "Maulwerke" (1968/1974) fand.
Schnebel arbeitete neben seiner Tätigkeit als Theologe und Komponist zunächst als Musiklehrer und erhielt dann 1976 die eigens für ihn geschaffene Professor für Experimentelle Musik und Musikwissenschaft an der HdK Berlin. Seine Arbeit als Theologe spiegelte sich dabei auch in seinem Werk, in dem er sich immer wieder mit spirituelle Themen auseinandersetzte.
Er revolutionierte die Kompositionstechnik
Deutschlandfunk Kultur-Musikredakteur Rainer Pöllmann kannte Schnebel auch aus der direkten Zusammenarbeit: "Mit ihm ist nun eine Generation wirklich ganz abgetreten, die unmittelbar nach der Katastrophe der Nazizeit und des 2. Weltkrieges, Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre, die Musikwelt aus den Angeln gehoben hat." In mancher Hinsich sei Schnebel sogar der Radikalste dieser Generation um Stockhausen, Boulez und Cage: "Weil er sehr, sehr früh das Werk in Frage gestellt hat, nicht nur die Kompositionstechnik revolutioniert hat, sondern überhaupt die Grundsatzfragen gestellt hat: Was ist Musik, was ist Hören, was ist Musikmachen?" Schnebel habe hier eine "ungeheure Freiheit des Denkens praktiziert und Fragen gestellt, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt."
Er habe sich immer zwischen zwei Polen bewegt: der "radikalen Infragegestellung dessen, was Musik ist" und "seiner großen Liebe zur Musik". Im Mittelpunkt seines Schaffens habe gestanden, Freiräume zu schaffen, Freiräume der Aufführung. So gibt es von ihm Musik zum Lesen, es gibt Werke, bei denen gar nichts zu hören ist, es gibt visible music. Das Szenisch-Optische spielt bei ihm zunehmend eine immer größere Rolle", so Rainer Pöllmann:
"Was hier jetzt abgebrochen ist, ist sehr sehr schmerzhaft"
Im Deutschlandfunk Kultur erinnert sich der Regisseur Achim Freyer an seine ersten Begnungen mit der Musik und den Arbeiten Schnebels, die ihm - damals noch in der DDR - ein befreundeter Komponist nahebrachte: "Kagel und Schnebel und Cage - diese drei Namen klangen mir so märchenhaft, dass ich sehr neugierig wurde und wir hörten bis in die Nacht Werke etwa mit Akkordeon und ungewöhnlichen Instrumenten - wunderbare Musik und mir war innerlich so klar, ich muss raus, ich muss weg diese Menschen kennenlernen - das sind Künstler und Denkweisen, die in der DDR keinen Raum hatten und gar kein Pendent." Später - Freyer hatte die DDR 1972 verlassen - habe er den Komponisten dann auch sehr bald persönlich in Frankfurt getroffen. "Das Überraschende an Schnebel war, dass er Dinge liebte, die man überhaupt einem zeitgenössischen Komponisten nicht zutrauen würde."
Freyer nennt seinen Künstlerfreund einen "ganz stillen, innerlichen und seelisch intakten Menschen" und zwar "weil in ihm so eine große Menschlichkeit und ein Herz lebte, wie ich es ganz selten erlebt habe." Im Rückblick schwärmt Freyer von den Arbeiten Schnebels und von seiner Zusammenarbeit mit dem Komponisten: "Alles was man vorschlug, hat er sofort erleben können und verstanden und das hat beflügelt. Manchmal hat man gar nicht mehr gesprochen und hat nur noch gemacht und gewusst, dass das funktionierte und stimmte."
"Was hier jetzt abgebrochen ist, ist sehr sehr schmerzhaft. Ich finde gar keine Worte", erklärte Achim Freyer bewegt in tiefer Trauer:
(sru)