"Er war ein Berserker der Kunst"
Er galt als Exzentriker, als Vater der autodestruktiven Kunst und als Erfinder der Gitarrenzertrümmerung. Nun ist Gustav Metzger im Alter von 90 Jahren in London gestorben. Er war radikal im besten Sinne des Wortes, sagt der Grafikkünstler Klaus Staeck.
Marietta Schwarz: Vier Monate bis 20 Jahre, so gab Gustav Metzger die Lebensdauer seiner Kunstwerke an. Gustav Metzger gilt als der Schöpfer der autodestruktiven Kunst, also Kunst, die sich selbst zerstört, früher oder später, weshalb die meisten seiner Objekte auch nur noch auf Fotografien erhalten sind. Gustav Metzger, 1926 in Nürnberg geboren, kam mit einem der letzten jüdischen Kindertransporte 1939 nach England, seine Eltern wurden von den Nazis ermordet. Als Künstler blieb er ein Leben lang Exzentriker, Asket und Kapitalismusgegner, jetzt ist er im Alter von 90 Jahren in London gestorben. Der Künstler Klaus Staeck, früher Präsident der Akademie der Künste, war bei zwei Veranstaltungen mit Gustav Metzger dabei. Was waren das denn für Veranstaltungen?
Staeck: Na, das eine war mal im Rahmen der Ausstellung "Kunst und Politik", die im Kunstverein in Hannover begonnen hatte und dann ans ICA nach London wanderte. Da gab es dann eine große Diskussionsveranstaltung mit Beuys, mit Hans Haacke – mit ihm und einigen anderen. Und da war er natürlich zu Hause, in London, und einer der ganz großen Kollegen.
Schwarz: War er denn Teil dieser Kunstszene?
"Anerkannter Außenseiter"
Staeck: Im eigentlichen Sinne, glaube ich nicht, nein. Er war immer ein – sagen wir ruhig: ein Exzentriker, ein anerkannter Außenseiter, um es mal so zu formulieren. Durch seine radikale Art, mit der Kunst umzugehen, wie er zerstörerisch auch Kunst zerstörte. Nein, er war jemand, der radikal im besten Sinne des Wortes war.
Schwarz: Einer, der immer dagegen war, dagegenhielt.
Staeck: Na ja, dagegen … Gegen den Kunstbetrieb schon, das war damals schon nicht alltäglich, dass er auch am Rande der Fluxus-Bewegung agiert hat. Und wir haben uns zusammengetan dann noch mal, 1999 am Rande der "Westkunst", dieser großen Mammutausstellung. Haben in Köln die Hahnentorburg gemietet, wenn man so will, und eine kleine Gegenausstellung versucht. Weil wir der Meinung waren: Diese "Westkunst", die war derartig westlastig, um es so auszudrücken. Und Sponsoren standen im Vordergrund und, und, und. Und eben auch sehr eine Zeit der deutschen Kunst ausblendend, die immer nicht die angenehmste war nach außen. Und das hat ihn natürlich als den Flüchtling, der er nun mal war, nicht bloß gestört, sondern wir waren immer der Meinung: Wenn uns etwas stört, dann muss man was dagegensetzen. Insofern war er, heute würde man sagen: ein Aktivist.
Schwarz: Man liest jetzt immer wieder von Zeitungsstapeln, von Autoabgasen, die irgendwo reingeblasen wurden, von merkwürdigen Readymades. Wie sah denn diese Kunst von Gustav Metzger aus? Also, er hat ja auch viele Manifeste verfasst, er hat Diavorträge gehalten …
Staeck: Richtig, ja.
Schwarz: Aber ist das die Form der Kunst gewesen, die er gewählt hat?
Gegen Nuklearwaffen und Umweltzerstörung
Staeck: Na gut, er war auch der Mann des Wortes tatsächlich, auch ein Theoretiker, wenn man so will, und einer der Ersten, der sich auch um die Zerstörung der Umwelt gekümmert hat. Ein hoch politischer Künstler; engagierte sich seit den 60er-Jahren gegen Nuklearwaffen, war also jemand, der aktiv am politischen Leben teilnahm und nicht so ein Bewohner des Elfenbeinturms etwa hätte sein können, überhaupt von seinem ganzen Naturell her. Ich habe ihn auch mal ganz persönlich erlebt bei unserer Ausstellung in der Hahnentorburg in Köln, wie ein Kollege kam und da rauchte. Und er sprang auf diesen Kollegen zu, riss ihm quasi die Zigarette aus dem Mund und führte einen Veitstanz auf dieser Zigarre auf. Das Publikum erstarrte! Niemand anders hätte das machen können, da hätte das vielleicht sogar lächerlich ausgesehen.
Schwarz: Also, es war aggressiv, oder wie würden Sie das darstellen?
Staeck: Ja, offensiv. Aggressiv ist immer gleich so verdächtig als zerstörerisch. Es gibt ja auch, ich behaupte mal, ein produktives Zerstören. Das war seine Art. Also, Strukturen, die er für überholt hielt, die er auch für angreifbar hielt, die ist er angegangen mit allen möglichen Aktionen. Und da war er eigentlich eine Einzelerscheinung. Also, er war jemand, der eine ganz eigene Handschrift hatte. Ich glaube, auch bedingt durch seine Erfahrung durch Flucht und entsprechendes anschließendes Leben in London als Kind von orthodoxen jüdischen Eltern.
Schwarz: Wie würden Sie diese Handschrift oder wie würden Sie diese künstlerische Produktion bewerten?
"Vater der Gitarrenzertrümmerung"
Staeck: Gott, ich bin kein Kunsthistoriker und deshalb halte ich mich bei der Bewertung von den Arbeiten meiner geschätzten Kollegen zurück. Etwas, das in Erinnerung geblieben ist: Er war ja der Vater, wenn man so will, der Gitarrenzertrümmerung. Er hat für die Gruppe The Who und Pink Floyd – war er praktisch auch ein Vorbild ... Es gab ja fast eine Generation von Bands, die ihre Konzerte damit beendeten, indem sie die Gitarren zerschlugen. Das war er!
Schwarz: Das ist also nicht nur ein Mythos, dass es von ihm kam?
Staeck: Nein, nein, das ist schon, das ist er. Und diese Radikalität dann auch wieder, bei aller Humanität, die er gleichzeitig ausstrahlte aufgrund seiner Persönlichkeit. Das war er, insofern unverwechselbar. An Gustav erinnere ich mich als einen … ja, auch einen Berserker der Kunst. Den konnte man auch nicht einfangen mit was auch immer. Zum Kunstmarkt schon mal gar nicht.
Schwarz: Walter Benjamin hat mal gesagt, der destruktive Charakter ist jung und heiter. Traf das auf Gustav Metzger zu?
Staeck: Na ja, wenn es so was wie eine Altersheiterkeit gibt, warum nicht? Da müsste man dann andere Spezialisten fragen. Auf mich hat er jedenfalls immer den Eindruck gemacht eines ganz Ernsthaften, da konnte man sich auch glaube ich keine Schwäche … Ich kam mir immer so vor, als könne man sich keine Schwäche ihm gegenüber leisten. In seiner Radikalität war er schon beeindruckend. Also, es gab keine halben Sachen. Was er machte, das machte er gründlich. Und die Destruktion ist ja nun in der Regel das Äußerste.
Schwarz: Ja, die Kunst, die man schafft, verschwindet einfach. Also ein Mittel, um sich diesem Markt, dem Kunstmarkt eben zu entziehen. Jetzt ist er ja in den vergangenen Jahren wiederentdeckt worden, Gustav Metzger, vor allem als Destruktionskünstler, wurde zu Biennalen und großen Ausstellungen eingeladen. Eigentlich hätte er sich ja, wenn er konsequent geblieben wäre, gar nicht darauf einlassen dürfen, oder?
Staeck: Na ja, ich habe ja gesagt, wie er darauf reagiert hat. Diese documenta 13 zum Beispiel, seine Werke zu zeigen und sie doch nicht zu zeigen, sie zu verhüllen. Die Vitrinen waren mit Tüchern zugedeckt. Gleichzeitig …
Schwarz: Aber man wollte das ja haben, genau das wollte man von ihm ja sehen.
"Er war nicht gesellig, sondern streng"
Staeck: Ja, er war jemand, der … Zumindest wurde er auch immer wieder eingeladen, das ist doch auch selbstverständlich, dass man nicht bloß sagte: Ja, da ist einer, der macht alles kaputt, wie der Normalbürger dann, glaube ich, darauf reagieren würde, wenn man ihn mit der Arbeit von Gustav Metzger konfrontiert, sondern er war schon ein geschätzter großer Künstler.
Schwarz: Und er lebte zuletzt sehr zurückgezogen in London, angeblich sogar ohne Telefon. Hatten Sie denn in den vergangenen Jahren noch Kontakt mit ihm, Herr Staeck?
Staeck: Nein, ich habe ihn mal irgendwann getroffen, aber auch mehr zufällig. Aber er war auch praktisch nicht erreichbar mehr. Das gehört eigentlich zu seiner Lebensart auch, er war nicht der Künstler, den man bei Vernissagen immer treffen konnte. Er war auch nicht gesellig, sondern er war streng. Man überlegte sich auch, wenn man mit ihm sprach, jedenfalls mir ging es so, wie er überlebt hat. Ich weiß es gar nicht. Im Zweifel sehr, sehr bescheiden.
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