Zum Tod von Hans Magnus Enzensberger
Hans Magnus Enzensberger war in vielen Genres zu Hause. © picture alliance / dpa / Viktor Chlad
Vielseitig, streitbar und produktiv
09:02 Minuten
Der Autor Hans Magnus Enzensberger ist mit 93 Jahren gestorben. Er galt als einer der einflussreichsten deutschen Intellektuellen und provozierte oft Widerspruch.
Der Lyriker, Schriftsteller, Essayist und Herausgeber Hans Magnus Enzensberger ist am Donnerstag mit 93 Jahren in München gestorben. Das teilen der Hanser-Verlag und der Suhrkamp-Verlag mit. Enzensberger galt als einer der einflussreichsten deutschen Intellektuellen.
Vor Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete er als Hörfunkredakteur beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart. Großes Aufsehen erregte er 1957 mit seinem Gedichtband "Verteidigung der Wölfe", der wie ein Wirbelwind in den stickigen Mief der Adenauer-Ära hineinfuhr.
Durch die Herausgabe der Zeitschrift "Kursbuch" und durch seine politischen Essays wurde er ab Mitte der 1960er-Jahre zu einer Orientierungsfigur der Studentenbewegung und der außerparlamentarischen Opposition, zu der er aber immer Distanz hielt. Er verfasste zahlreiche Essays zu Fragen der Gewalt, der Macht der Medien, der Mathematik und Intelligenzforschung.
Enzensberger Lyrik war nicht L'art pour l'art
Enzensbergers "Beidhändigkeit", also das Schreiben von Essays einerseits, aber auch von Romanen, Stücken und Gedichten andererseits, sieht Thorsten Jantschek als kennzeichnend an. Der Leiter der Abteilung Digitale Medien und Aktuelle Kultur beim Deutschlandfunk Kultur hebt vor allem die Charakteristik der Lyrik hervor: Enzensberger habe gemeint, dass er diese Ereignisse einfangen könne, manchmal sogar tagesaktuelle, oder auch Theorien und Mathematik. "Das hat den Raum der Lyrik von der reinen L'art-pour-l'art-Beschäftigung mit der Sprache oder dem sprachlichen Material immer in die Wirklichkeit ausgedehnt", so Jantschek.
"Die Wirklichkeit ist der Maßstab der Dinge, auch für das Schreiben, auch für die wolkigsten, luftigsten Gedichte dieses Sprachkünstlers."
Ein Turner, der keinem Salto aus dem Weg ging
Enzensberger, den Jantschek als älteren Mann persönlich kennengelernt hat, sei "alert" gewesen: Er sei ihm "wie ein Turner vorgekommen, so leicht, kraftvoll, dynamisch, wendig, aber auch kapriziös, also jemand, der keinem Salto aus dem Weg" gegangen sei. "Ein gedanklicher Salto oder ein sprachlicher Überschlag war immer drin bei ihm."
Enzensbergers Positionen zum US-geführten Irak-Krieg 2003, zur Europäischen Union oder etwa zur Rechtschreibreform sorgten auch für viel Widerspruch.
Kennzeichen vieler seiner Prosawerke war sein gekonntes Jonglieren mit Primär- und Sekundärliteratur. Für sein Schaffen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Georg-Büchner-Preis im Jahr 1963 und zuletzt den Frank-Schirrmacher-Preis 2015.