Harry Kupfer, geboren 1935 in Berlin, ist am 30. Dezember 2019 im Alter von 84 Jahren gestorben. Wir wiederholen deshalb ein Gespräch mit dem Opernregisseur, das Britta Bürger im Juni 2016 mit ihm in Deutschlandradio Kultur führte.
Harry Kupfer war 21 Jahre lang Chefregisseur der Komischen Oper in Berlin, 2002 nahm er seinen Abschied. Danach arbeitete er als freier Regisseur, inszenierte auch Operetten und Musicals. Fast bis zuletzt stand Harry Kupfer auf der Probebühne: Noch im März 2019 brachte er an der Komischen Oper Händels Barockdrama "Poro" heraus, kurz danach folgte Wagners "Tannhäuser" in Zürich.
Die Oper hat ihn lebenslang "umgehauen"
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Mit seinen Inszenierungen wurde er weit über die Grenzen der DDR hinaus bekannt. Harry Kupfer führte in Bayreuth Regie bei Wagners „Ring“ und machte international Karriere. Wie verschaffte er sich eine derartige künstlerische Freiheit?
"Der Barbier von Sevilla", aufgeführt von einer Wanderoper in einem Kinosaal kurz nach dem Krieg, war für Harry Kupfer die Initialzündung:
"Da war ich zwölf Jahre alt. Das war ein Kuriosum. In Berlin gab es zusammengewürfelte Operntruppen - Sänger, die aus dem Krieg kamen. Die hatten sich zu Operntruppen zusammengestellt und haben in den Kinos für die Kinder oder für die Schulen Oper gespielt. Und da habe ich im Filmtheater im Friedrichshain meine erste Oper mit zwölf Jahren gesehen. Das war der 'Barbier von Sevilla'. Das hat mich umgehauen."
Ohne Musik fiel ihm nichts ein
Harry Kupfer studierte Theaterwissenschaften, wollte aber nichts anderes werden als Opernregisseur:
"Mir fällt ohne Musik nix ein. Ich hab also alle Angebote, Schauspiel zu machen, immer abgelehnt. Die Intendanten sind dann zurückgeschreckt, weil ich gesagt habe: 'Wenn ich das Stück mache, dann werde ich so viel Musik einbauen, dass das acht Stunden dauert.' Und das ist wohl nicht möglich und damit ist es unterblieben."
Sein Weg führte über Stralsund, Halle, Weimar, Chemnitz und Dresden an die Komische Oper Berlin, wo er Chefregisseur wurde. Wegweisend war Kupfers intensive darstellerische Arbeit mit den Sängern und Sängerinnen.
"Ich muss sie erst einmal emotional kriegen, dass sie mitmachen. Und dann soweit kriegen, dass sie nicht ihren Verstand an der Kasse oder an der Garderobe abgeben, sondern dass sie mitdenken und vielleicht im Nachhinein etwas daraus nehmen können, was für sie wichtig ist."
Mit seinen Inszenierungen wurde er weit über die Grenzen der DDR hinaus bekannt. Er durfte sogar in Österreich oder den Niederlanden inszenieren. An westdeutschen Bühnen zu arbeiten, erlaubte man ihm zunächst nicht:
"Und dann kam mein erstes Angebot. Ich sollte 'Tannhäuser' in Frankfurt machen. Und das hat man mir untersagt. Ich durfte da nicht hin. Und dann kam Bayreuth. (...) Bayreuth konnte man nicht ablehnen, das war einfach zu hoch angebunden. Und seitdem ich in Bayreuth war, hatte ich keine Schwierigkeiten mehr."
Auf Schritt und Tritt verfolgt
Danach stand seiner internationalen Karriere nichts mehr im Wege. Allerdings musste er immer einen Teil seiner Gage abgeben und wurde auf Schritt und Tritt vom Staatssicherheitsdienst verfolgt, wie er später in seiner Akte nachlesen konnte.
Seit seinem Abschied von der Komischen Oper inszenierte Kupfer immer noch, unter anderem den "Rosenkavalier" von Richard Strauss an der Mailänder Scala.
Harry Kupfers Credo für seine Arbeit war: "Ich möchte alle Fragen der Welt in dieser schönen totalen Kunstform, der Oper, durchspielen, um dabei Vorschläge zu machen für das Zusammenleben der Menschen. Es ist mein unmittelbares Bedürfnis, mich in dieser Kunstgattung zu äußern, eigentlich meine Lebensform."