Zum Tod von Helga M. Novak

Die unbekannte Dichterin

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt ein Porträt der Schriftstellerin Helga M. Nowak.
Porträt der Schriftstellerin Helga M. Novak (eigentlich Maria Karlsdottir) vom 19. Januar 1971. © picture-alliance / dpa
Von Tobias Wenzel |
Die Kulturpresseschau dreht sich um den Tod der Dichterin Helga M. Novak, um die Filmpremiere von "Nymphomaniac" in Kopenhagen und weshalb Norweger bei viel Sex im Kino einschlafen und das Langsamfernsehen spannend finden.
"Wenn ich heute in meinem nur drei S-Bahn-Stationen von Erkner entfernt liegenden Wohnort ihren Namen nenne, ernte ich kaum mehr als ein Achselzucken", schreibt der Schriftsteller Gert Loschütz in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über die am Heiligabend gestorbene Dichterin Helga M. Novak. "Jüngere Leute, selbst solche, die mit Literatur befasst sind, antworten: Nee, nie gehört." Tragisch sei das. Schließlich sei sie "die große Dichterin der Mark", die Einzige, die Peter Huchel habe "das Wasser reichen" können: "Wie er in der Havellandschaft verwurzelt ist, ist sie es in der Spreewelt rund um Erkner."
Nur wieso kennen heute nur noch wenige diese Dichterin? "Ein Grund dafür ist sicherlich, dass sie in der DDR totgeschwiegen wurde", versucht sich Loschütz an einer Erklärung, "kein einziges ihrer Bücher ist dort erschienen, sodass man noch nicht einmal sagen kann, sie sei vergessen worden. Nein, die Autorin Novak existierte und existiert einfach nicht: wenn man so will, ein Sieg der den Staat überdauernden Totschweigestrategie des MfS".
Klingt ein bisschen so, als wäre Helga M. Novak, die zweimal aus der DDR nach Island floh, nur Opfer des Systems gewesen. Meike Feßmann erinnert allerdings in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG daran, dass sich die Dichterin unter dem Decknamen "Renate" als IM bei der Stasi verpflichtete. Feßmann zeichnet in ihrem Nachruf ein ambivalentes Bild der Schriftstellerin, "ein Leben voller Auf- und Abbrüche, überschwänglicher Hin- und Abwendungen, das Leben einer großen Poetin". Die Kindheit und Jugend des adoptierten Mädchens sei "von Lieblosigkeit und Kälte" bestimmt gewesen. Sie selbst habe später ihre eigenen Kinder weggegeben und sei eine Anarchistin geworden, im politischen wie im "seelischen Sinne": "Ohne allzu große Gewissensbisse schrieb sie Bitt- und Bettelbriefe an den einen Mann, während sie mit einem anderen unterwegs war, forderte Loyalitäten ein, denen sie sich selbst nicht unterwerfen wollte."
An der Loyalität anderer ist "Joe", die weibliche Hauptfigur in Lars von Triers "Nymphomaniac", erst gar nicht interessiert. Thomas Steinfeld von der SZ wollte nicht warten, bis der Film in Deutschland läuft, und ist deshalb in Kopenhagen ins Kino gegangen. Wie er "Nymphomaniac" gefunden hat, verrät er nicht. Vielleicht, weil ihn über vier Stunden nackte Haut in einen meinungslosen Dämmerzustand versetzt haben. Stattdessen erzählt er den Film vor allem nach. Der beginne so: "Auf dem Asphalt liegt, ohnmächtig, blaugeschlagen und blutend, eine zarte, aber nicht mehr junge Frau. [ ... ] Widerstrebend lässt sie sich von einem älteren, freundlichen Mann auflesen." Ihm erzählt sie ihr nymphomanes Leben, das damit beginnt, dass sie mit einer Freundin um "eine große Tüte Schokodrops" wettet, wer die meisten Männer während einer Zugfahrt vernascht. Auf der Berlinale im Februar solle eine noch längere Version des Films gezeigt werden. Die unterscheide sich von der dänischen Kinoversion unter anderem darin, "dass es noch mehr Genitalien zu sehen gebe".
Die Norweger schlafen vermutlich bei so viel Sex im Kino ein. Denn spannend finden sie, was andere zu Tode langweilt: das "sakte-TV", das "Langsamfernsehen". Darüber berichtet Reinhard Wolff in der TAZ: "Im Februar gab es beispielsweise einen Brennholz-Abend: 12 Stunden lang war Holzhacken, Holzstapeln und Heizen mit Holz das Thema. Das ging von den speziellen Geräuschen verschiedener Motorsägen und der Technik des Holzhackens bis zur Vielzahl eindrucksvoller Holzstapelkonstruktionen mit ihren Vor- und Nachteilen. Und darüber, was der Holzstapel über den Menschen sagt, der ihn gestapelt hat."
Die Norweger sind begeistert. Auch von der achtstündigen Sendung über das Stricken. Vor kurzem habe der öffentlich-rechtliche Fernsehsender seine Zuschauer gebeten, Vorschläge für weitere Ausgaben des Langsamfernsehens zu machen. Ein Wunsch: "einem Mutterschaf zuschauen, bis es gebiert".